NEU IN DEUTSCHLAND Marx im Tempel
Pharao (Polen). In Ägyptens Sand auf Breitleinwand drehen zwei heilige Skarabäen verbissen ihre Mistkugel. Zweieinhalb Stunden später sticht ein Priester-Handlanger den jungen Pharao nieder; mit letztem Willen erwürgt der König seinen Mörder.
Zwischen Käferkampf und Meuchelmord rollt in bräunlichen Farben einer der teuersten Filme aus Polen (20 Millionen Zloty) - ein Historienkoloß mit Wüstenschlachten, ägyptischer Sonnenfinsternis und zeitgemäß barbusigen Tempel-Töchtern.
Nach der hochgeschlossenen »Mutter Johanna von den Engeln« griff der polnische Regisseur Jerzy Kawalerowicz, 44 ("Ich bin Atheist"), zum nationalen Lieblingsschmöker »Pharao« des Landsmannes Boleslaw Prus (1847 bis 1912): ein erfundener Ramses XIII. bekriegt Altägyptens Priesterkaste.
Kawalerowicz sah die Priester als »Träger der Tradition«, Ramses als »aufgeklärten Revolutionär« und das Ganze als »das ewige Problem des Kampfes um die Macht«. Der Kinogänger sieht jetzt einen marxistischen Kostümfilm über die Schwierigkeiten eines Sozialreformers mit der Klerisei.
Ob Ägyptens Innenpolitik polnisch zu verstehen ist, stellt Kawalerowicz dahin. Der Aufwand, jedenfalls, ist vorchristlich: Der Regisseur schickte 2500 Soldaten in die Wüste Kisil-Kum (Usbekistan), ließ ein Pferd rituell schlachten und nahm originale Tempel und Pyramiden bei Luxor und Gizeh auf.
Ramses, athletisch verkörpert von Jery Selnik, wird im Tempel von einer unprüden Priesterin (Barbara Bryl) ins Gebet genommen, hat unter den Gottesmännern aber auch ehrbare Gegner: Kawalerowicz malt nicht simpel schwarz-rot.
Denn der polnische Cecil B. de Mille gibt den Heroen Gedankenblässe und läßt zum perfekt inszenierten Bombast intellektuell konversieren - zuweilen zuviel. »Für Kunst«, erklärt er das erstrebte Zeitkolorit, »würden unsere Schauspielerinnen ganz nackt spielen, für Spekulation nicht.«
Barbara Bryl, Selnik in »Pharao": Ramses ins Gebet genommen