Umstrittener Theatermacher zieht Bilanz "Ich bin kein Märtyrer. Ich bin ein sehr fröhlicher Mensch"

Matthias Lilienthal wollte als Intendant an den Münchner Kammerspielen vieles anders machen - und wurde dafür gelobt, aber auch scharf kritisiert. Jetzt geht er nach nur einer Amtszeit. Was bleibt?
Ein Interview von Wolfgang Höbel
Matthias Lilienthal: "Ich finde, wir haben ziemlich viel gekämpft"

Matthias Lilienthal: "Ich finde, wir haben ziemlich viel gekämpft"

Foto: Peter Kneffel/ picture alliance/ dpa

Sollen die Stadttheater sich vor allem der Aufführung literarischer Stoffe und der Pflege des Bildungskanons widmen - oder lieber offene, performative Darstellungsformen präsentieren? In diesem Kultur-Dauerstreit ist Matthias Lilienthal eine Reizfigur. Schon vor seinem Antritt als Chef der Münchner Kammerspiele hat er die Einfühlungsarbeit von Tschechow und anderen Klassikerregisseuren "Kunstkacke" genannt. Er ruft dazu auf, "Theaterinhalte und Theaterästhetiken neu zu definieren", die "Verkrustungen des deutschen Theatersystems aufzubrechen" und die Größe fester Darstellerensembles zu überdenken. Von konservativen Kritikerinnen und Kritikern hat ihm das den Vorwurf eingebracht, seine Arbeit ziele darauf ab, das bewährte deutsche Stadttheatersystem abzuschaffen.

SPIEGEL: Herr Lilienthal, als Sie 2015 als Chef der Münchner Kammerspiele antraten, galten Sie als Erneuerer des Stadttheaters. Nun hören Sie nach nur einer Intendantenamtszeit auf. Warum haben Sie das Handtuch geworfen?

Lilienthal: Ich habe nicht das Handtuch geworfen. Die Stadt hat mir, als es um die Verlängerung ging, keinen neuen Vertrag angeboten. Daraufhin habe ich, wie man so sagt, meinen Hut genommen. Es hieß zwar, man könnte nochmal reden, doch das hätte keine Aussicht auf Erfolg. Ich wurde aber nicht rausgeschmissen. Die Stadt hat den Vertrag erfüllt, ich auch.

SPIEGEL: Ihre Weiterbeschäftigung scheiterte am Widerstand der im Münchner Stadtrat mitregierenden CSU. Empfinden Sie das nicht als Niederlage?

Lilienthal: Mir sind fünf schöne Jahre, in denen die Stadt und man selbst sich gut amüsiert haben, lieber als zehn Jahre, von denen einige womöglich ein bisschen dröge wären. Erfolg oder Scheitern lassen sich nicht durch die Länge einer Intendanz beschreiben. Ich finde, wir haben an unserem Theater das aufregendste Ensemble der Republik zusammengebracht. Unsere Arbeit ist mit internationalen Regisseurinnen und Regisseuren wie Yael Ronen, Florentina Holzinger, Toshiki Okada oder Rabih Mroué gut aufgegangen. Und ich finde, dass wir gezeigt haben, wie gut sich der Betrieb eines Produktionshauses für freie Gruppen und der Betrieb eines Stadttheaters miteinander kombinieren lassen. Viele unserer Aufführungen wurden ausgezeichnet, das Haus wurde zum Theater des Jahres gewählt.

"Höhen und Tiefen gibt es öfters im Theater, aber bei uns waren sie extrem."

Matthias Lilienthal

SPIEGEL: Aber Sie waren, vor allem in der ersten und zweiten Spielzeit, auch mit den Protesten eines eher konservativen Münchner Theaterpublikums und eines Teils der örtlichen Kritik konfrontiert: Ihnen wurde vorgehalten, statt Aufführungen von literarischen Stoffen nur performatives "Pipifax-Theater" mit eindeutiger politischer Botschaft anzubieten.

Lilienthal: Das war eine emotionale Eruption. Sie kam von Menschen, die sich nicht in unserem Theater wiederfanden. Der Unmut entlud sich, als Ende 2016 drei Schauspielerinnen kündigten und eine Premiere platzte. Jetzt sind viele Menschen in der Stadt in Tränen aufgelöst, weil wir aufhören. Solche Höhen und Tiefen gibt es öfter im Theater, aber bei uns waren sie extrem. Auch deshalb gehe ich gut gelaunt weg. Wir hatten mit Produktionen wie "Farm Fatale", "Die Kränkungen der Menschheit", "Dionysos Stadt" und anderen Produktionen eine große Zahl von geglückten Projekten. Die Mitarbeiter*innen und das Ensemble haben jeden Grund, stolz zu sein.

SPIEGEL: Als Sie in München anfingen, warf man Ihnen vor, Sie würden die Auflösung von Schauspielensembles betreiben, weil sie vergleichsweise wenige Schauspielerinnen und Schauspieler fest beschäftigt haben. Und nun preisen ausgerechnet Sie die Ensemblearbeit?

Lilienthal: Ich wollte auf keinen Fall Schauspieler*innen im Engagement haben, denen ich nicht genug Arbeit anbieten kann und die dann in der Kantine schimpfen. Von den Menschen, die hier arbeiten, wurden viele ausgezeichnet, zum Beispiel als Nachwuchsschauspielerin des Jahres und als Schauspieler des Jahres. Und die Münchnerinnen und Münchner lieben dieses Ensemble inzwischen über alles.

SPIEGEL: Trotzdem dürfen Sie nicht weitermachen, im Herbst übernimmt Barbara Mundel als neue Intendantin. Ist das Zukunftsmodell fürs Stadttheater, das man sich von Ihrer Intendanz versprochen hat, gescheitert?

Lilienthal: Die Wahrheit ist: Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, ein Stadttheater zugleich als Produktionshaus mit vielen internationalen Regisseur*innen zu führen. Das wird eben jetzt so nicht fortgesetzt.

SPIEGEL: Sehen Sie sich als sowas wie einen Märtyrer des Theaterfortschritts?

Lilienthal: In Beirut sieht man auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt an den Hausmauern immer die Konterfeis von Märtyrern. Das sind Menschen, die sich mit Sprengstoff in die Luft gejagt haben. Ich bin kein Märtyrer. Ich bin ich ein sehr lebendiger und fröhlicher Mensch.

SPIEGEL: Hätten Sie nicht doch mehr um Ihren Job und eine zweite Amtszeit kämpfen müssen, damit Sie eine richtige Kammerspiel-Ära hätten begründen können?

Lilienthal: Ich finde, wir haben ziemlich viel gekämpft. Ich bin dankbar, dass die Stadt München uns dieses luxuriöse Spielzeug Kammerspiele für fünf Jahren überlassen hat. Und beim Wort "Ära" zucke ich sowieso zusammen. Ob eine Intendanz nachhaltig etwas verändert hat, kann man immer erst mit zeitlichem Abstand beurteilen, vielleicht in fünf oder zehn Jahren. Im Augenblick würde ich sagen, dass unsere Arbeit in München für das deutschsprachige Theater der Zehnerjahre schon etwas Signifikantes hatte.

Zum Ende von Lilienthals Intendanz gibt es am Samstag eine "Opening Ceremony" im Münchner Olympiastadion unter der Regie von Toshiki Okada.

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