PHOTOGRAPHIE Mehr Profil
Lange fummelte der Londoner Hof-Photograph Fred Speaight in seinem Studio an dem adligen Fräulein herum. Dann endlich hatte er das mächtige Taftkleid richtig drapiert, der Meister drückte auf den Fernauslöser. Doch als der Magnesium-Blitz verpufft war, vermißte der Lichtbildner seine Kamera.
»Aus lauter Langeweile« und weil er »mal was Neues ausprobieren wollte«, hatte sein Lehrling das schwere Monstrum aus Holz und Eisen eine Etage höher auf die Ballustrade des Studios geschleppt und von dort aus auf das junge Mädchen gerichtet.
Auf der Stelle feuerte der Lehrherr den eigenwilligen Helfer, im Zeugnis bemerkte er über ihn mit säuerlicher Ironie: »Er wird möglicherweise einmal ein brauchbares Photo zustandebringen, denn es handelt sich offenbar um einen sehr originellen jungen Mann.«
Derart unrühmlich begann, der betagte Mr. Speaight durfte es noch staunend miterleben, die Karriere eines Mannes, der seit Jahrzehnten zu den besten und berühmtesten Photographen der Welt zählt: Der inzwischen 70jährige Norman Parkinson ist, so die »Times«, der »unumstrittene Doyen der Mode- und Society-Photographie«.
Während des letzten halben Jahrhunderts drängten sich die Schönen, die Reichen und die Berühmten dieser Welt vor seiner Kamera, Werbemanager rühmten die sanfte Suggestiv-Kraft seiner Werbephotos, die Leserschaft von Modejournalen wie »Vogue« und »Harper''s Bazaar« entzückte er mit seiner Fähigkeit, den immer wieder gleichen Fummel immer wieder anders zu photographieren.
Mal verwandelte er sein Modell in einer surrealistisch anmutenden Komposition zur Statue, mal ließ er es einem Racheengel gleich durch ein Hotelfoyer rauschen; zum Blickfang machte er Werbephotos
für Hüte, Alptraum-Auftrag für die meisten Photographen, indem er die Kopfbedeckung zum abstrakten Farbklecks reduzierte; auf Sofas gehauchte elfenartige Wesen mit oder ohne Gewand brachte er aufs Papier, als seien sie mitten in der Bewegung erfroren - mit wieviel Witz und Einfallsreichtum Parkinson »50 Jahre Stil und Mode« im Bild festgehalten, wie nachhaltig er die gesamte Modephotographie umgekrempelt hat, dokumentiert ein opulenter Photoband, der jetzt in London erschienen ist. _(Norman Parkinson: »Fifty Years of Style ) _(and Fashion«. Weidenfeld and Nicholson, ) _(London; 200 Seiten; 16,50 Pfund. )
Als Parkinson 1935 - drei Jahre nach seinem Rausschmiß bei Mr. Speaight - für
die englische Ausgabe von »Harper''s Bazaar« engagiert wurde, dominierte in der Modephotographie die kunstvoll gestylte Langeweile: Die Models, überschminkt wie Teenager, die heimlich an Mutters Wimperntusche und Puderdose gegangen sind, wurden nahezu ausschließlich im Atelier in puppenhaft starrer Pose abgelichtet.
Parkinson trieb die Mädchen aus den sterilen Studios mit ihren Standardrequisiten - drei bis vier verschiedene Hintergrundvarianten, Sofa, Blumenvase - und machte ihnen Beine. »Meine Frauen waren anders«, begründete er seinen Erfolg, »sie gingen einkaufen, fuhren Auto, sprangen am Strand herum und traten auch schon mal nach dem Hund.«
Für ein gutes Photo war er immer gewillt, die Knochen hinzuhalten - die seiner Modelle: Wenn es ihm ins Bild paßte, ließ er sie per Kran auf riesige Monumente hieven, inmitten von Elefantenherden baden oder sich auf wasserumtosten Felsen in Positur setzen.
Seine Frau Wenda, die sich ihm 1947 als Modell vorgestellt hatte, plazierte er einmal auf dem Rücken eines Vogel Strauß. Als das Tier, Höchstgeschwindigkeit 50 Stundenkilometer, ungehalten davonstürmte, rief er ihr nach: »Mehr Profil, Liebling, mehr Profil.«
Rücksichtsvoller geht Parkinson mit seiner Porträtkundschaft um, die ihn schätzt wie keinen zweiten Photographen. Seit Jahrzehnten beispielsweise ist er Leibphotograph des britischen Adels, denn Parkinson vermag selbst aus dem schlimmsten Pferdegesicht ein halbwegs ansehnliches Antlitz zu machen.
Die Kamera sei kein Skalpell, mit dem »der Charakter des Porträtierten bloßgelegt« werden solle, sagt Lichtbildner Parkinson; vielmehr habe die Photographie die Aufgabe, »jeden so gut aussehen zu lassen wie möglich« - ein Saccharin-Stil, der ihm als Society-Photograph großen Erfolg bescherte.
Immerhin gelangte Prince Charles auf diese Weise zu einer Reihe ganz ansehnlicher Konterfeis; selbst seine Schwester Princess Anne, die Arrogans des königlichen Hofes, erscheint auf Parkinson-Photos charmant und sanftmütig. Wohl deshalb und auch wegen seiner ordentlichen Manieren, bei Star-Photographen keine Selbstverständlichkeit, durfte der Brite die Royal Family öfter photographieren als jeder andere Zunftgenosse.
Trotz aller Erfolge hat sich Parkinson, der aussieht wie der Prototyp eines britischen Colonels, den landestypischen Common Sense bewahrt: Anders als viele seiner berühmten Kollegen, wie etwa der Nymphchen-Lichtbildner David Hamilton, sieht er Photographen nicht als Kunstschaffende an, sondern schlicht als mehr oder minder gute Handwerker. »Im Vergleich zu den großen Malern sind wir Photographen doch nur kleine Fische.« _(Queen Elizabeth, ihre Mutter, ) _(Queen-Schwester Princess Margaret. )
Norman Parkinson: »Fifty Years of Style and Fashion«. Weidenfeld andNicholson, London; 200 Seiten; 16,50 Pfund.Queen Elizabeth, ihre Mutter, Queen-Schwester Princess Margaret.