Zum Tod von Michael Degen Versöhner und Gentleman im Land der Täter

Michael Degen 2011 bei der Leipziger Buchmesse, damals sprach er dort über sein Buch "Familienbande"
Foto: Jörg-Florian Eisele / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Er war ein sagenhaft gut aussehender, oft unterforderter Schauspieler und ein hinreißender Erzähler. Der Schauspieler Michael Degen, zuvor schon durch viele Rollen in Krimiserien wie »Derrick« oder Familienunterhaltung wie »Diese Drombuschs« beim deutschen Fernsehpublikum ungeheuer beliebt, begann erst mit Mitte 60, öffentlich über sein Leben zu reden und zu schreiben. Das tat er auf nüchterne, berührende Weise. »Nicht alle waren Mörder« nannte Degen sein 1999 erschienenes und später verfilmtes Buch über eine Kindheit in Nazi-Deutschland, die er, der jüdische Junge, gemeinsam mit seiner Mutter in diversen Berliner Verstecken überlebt hatte.
Kann sein, dass der Titel zum Langzeitbestseller-Erfolg des Buchs beitrug. Im Land der Täter erzählte der jüdische Deutsche Degen von ein paar nichtjüdischen Deutschen, die inmitten der Nazi-Barbarei mutig genug waren, ihm und seiner Mutter zu helfen. Von Hetze, Not und erpressten Zärtlichkeiten, mit denen er einer sehr viel älteren Helferin zu Diensten sein musste. Er selbst hat zeitlebens an seiner in Todesangst durchlebten Jugend schwer getragen. »Ich bin ein Gebrochener«, hat Degen einmal in einem Interview gesagt. Nun ist Michael Degen im Alter von 90 Jahren gestorben.
Geboren wurde er 1932 in Chemnitz. Sein Vater, ein Sprachlehrer und nicht mit allzu viel Glück gesegneter Geschäftsmann, starb 1940 an den Misshandlungen, die ihm als Häftling im KZ Sachsenhausen zugefügt wurden. Das Grauen der Nazi-Herrschaft schildert Degen in seinem Erinnerungsbuch eindringlich, kühl, mit einem auch im Rückblick noch fast juvenilen Staunen. »Wie kann ein solches Volk so gute Komponisten haben?«, lautet die Frage eines russischen Soldaten im Buch.

Theaterstar Degen 1979 in Berlin in »Jettchen Geberts Geschichte«: Oft unterforderter Charmeur
Foto: kpa / Grimm / picture alliance / United ArchivesEnde der Vierzigerjahre bewarb sich Degen im Alter von 17 Jahren als Schauspieler am Deutschen Theater im Osten Berlins, nachdem er Goethes »Faust« komplett auswendig gelernt hatte. Er wurde zunächst als Komparse engagiert. Dann zog er für zwei Jahre nach Israel und spielte in Tel Aviv Theater. Nach Berlin kehrte er zurück, weil ihn, so behauptete er, »die Sehnsucht nach der deutschen Sprache« plagte.
An Zadek bewunderte er dessen »Rigorosität und Frechheit«
Degen wurde ins noch von Bertolt Brecht regierte Berliner Ensemble aufgenommen und legte dann in Westdeutschland, in Köln, Mannheim, Frankfurt, eine solide Stadttheaterkarriere hin. Im Westen Berlins führte er bei einem »Urfaust« zum ersten Mal Regie, die Titelrolle spielte er selbst. Später wurden die Regisseure Peter Zadek und George Tabori, beide Juden wie er, seine wichtigsten Theaterverbündeten. Den Regisseur Zadek, in dessen in Berlin und Hamburg präsentierter Inszenierung »Ghetto« er Mitte der Achtzigerjahre einen Triumph feierte, lobte Degen mit den Worten: »Niemand kommt an seine Rigorosität und Frechheit heran.«
Degen selbst begegnete dem großen Publikum als Versöhner und Charmeur, darin ein wenig dem Theatermann Gustaf Gründgens ähnlich, als dessen legitimer Nachfolger er mal von einem Theaterkritiker der »Frankfurter Allgemeinen« gepriesen wurde. Im Schatten solcher gewogenen Vergleiche war der Bühnenschauspieler Degen immer wieder hässlichen antisemitischen Attacken und anonymen Morddrohungen ausgesetzt.
In Frauen weckte er das Bedürfnis, ihm Suppe zu kochen
Als TV-Star begeisterte Michael Degen ein Riesenpublikum, zum Beispiel als Bendix Grünlich in einer »Buddenbrooks«-Version von 1979, aber auch in eher schlichten Rollen, wovon die Titel der von seiner Mitarbeit geadelten Projekte zeugen. »Anna Maria – Eine Frau geht ihren Weg« hießen die, »OP ruft Dr. Bruckner«, oder »Kidnapping – Ein Vater schlägt zurück«. Ab 2000 spielte Degen in gefühlt Dutzenden »Donna Leon«-Episoden einen grummeligen venezianischen Polizeifunktionär, den Vice-Questore Patta.

Schauspieler Degen mit Veronica Ferres im TV-Produkt »Eine ungehorsame Frau« von 1997: Seine Mitarbeit adelte oft seichte Produktionen
Foto: Ursula_Düren / picture-alliance / dpa»Michael Degen ist einer, der in Frauen das Bedürfnis weckt, ihm Hühnersuppe zu kochen und Pulswärmer zu stricken«, hat eine Reporterin der Zeitschrift »Stern« mal sehr süß über ihn geschrieben. Tatsächlich war die Zuneigung, die dem Autor und Schauspielkünstler Degen von einem großen deutschen Publikum entgegenschlug, erheblich und erfreulich. Sie hatte nicht nur mit seiner Verführungskraft als Darsteller und – zuletzt in dritter Ehe mit einer Hamburger Journalistin verheiratet – Kavalier zu tun. Sondern auch mit der Strahlkraft eines Mannes, der klug schreiben und sprechen konnte: über die Furchtbarkeiten, zu denen Menschen fähig sind.