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Mißtrauen einer Hinterbliebenen

aus DER SPIEGEL 14/1979

Im Kinosessel hinter Barbara Valentin sitzt ein junger Mann. Die Dunkelheit ermutigt ihn, sie, in ihren Nacken hineinsprechend, um eine Locke zu bitten. Sie sagt: »Wenn Sie eine Schere haben.« Dieser Bescheid läßt ihn wie den Sieger einer Wette kurz aufspringen, und neben ihm wird gelacht. Dadurch dreht sich das Anliegen scheinbar zu einem abgesprochenen Männerspaß.

Auf der Leinwand läuft »Flammende Herzen« von Walter Bockmayer und Rolf Bührmann, ein mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnetes Märchen über den Jammer von Hänsel und Gretel in New York. Es ist der Beginn einer Retrospektive von Filmen mit Barbara Valentin, welche das Düsseldorfer Filmforum veranstaltet. Sie spielt diese Gretel, eine todtraurige Kleingeldhure aus Kaiserslautern.

Nach der Vorführung werden die Besucher noch zu Altbier und einem Imbiß eingeladen. Da der junge Mann keine Schere hat finden können, erübrigt sich die Locke. Aus einer stellvertretenden Empfindlichkeit heraus,

* Mit Margit Carstensen in Fassbinders »Nora«.

einem Humoristen nicht mit einer als romantisch rangierenden Geste gefällig zu sein, bin ich froh darüber.

Diese innerliche Einmischung hat mit der Privatperson der Barbara Valentin zu tun. Sie war mal Skandalblondine mit einem knochenlos scheinenden Jugendgesicht, berühmt durch statisch überlastete Spaghettiträger-, ein Popanz aus dem gesteppten Kulturbeutel der fünfziger Jahre. Und die Zuteilung an bösem Leumund, die für sie abfiel, kann als knapp vermiedene Ermordung gelten.

Aus dem cinéastischen Publikum mit den vierfach geschlungenen und dennoch die Kniekehlen berührenden Schals hebt sich ein etwa fünfzigjähriger Mann in einem grauem Wintermantel ab. Er hält einen Briefbogen, der zur Hälfte mit einem Valentin-Photo beklebt ist. Er will ein Autogramm von ihr, sein für den Ordner vorgelochtes Leinenpapier zu einem Dokument aufwerten lassen.

Wahrscheinlich ist die Art, mit der er auf Abstand bleibt, eine von vielen Erregungsstufen, die er einhalten will, bevor er das Blatt mit dem Bild ihr auf den Tisch legt. Doch die übrigen Anwesenden stören sein Ritual. Diese lockeren Leute in bunter, renitenter Winterkleidung unterhalten längst sachliche Kontakte mit seiner Heiligen. Sie haben Stühle zu ihr auf Lücke gerückt und heben sich den Teller unters Kinn für die herabfallenden Zwiebeln der Mettbrötchen.

Barbara Valentins Rolle in »Flammmende Herzen« gilt als ihre beste. Die Zeitrechnung für diese Wertung ist 1973 anzusetzen; Rainer Werner Fassbinder engagierte sie für seine Serie »Welt am Draht«. Es folgten statuarische Nebenrollen in seinen Filmen »Nora«, »Martha« und »Effi Briest«. In »Angst essen Seele auf« war sie schon ausgiebig agierend.

Vor dieser Zeitrechung liegen etwa 40 Filme, an die sich Barbara Valentin nur grob erinnert. Es müssen ausnahmslos bebende Angebote aus dem Drahtverhau der Büstenhalterkörbchen gewesen sein. Ihr erster Film hieß »Du gehörst mir!«, das ist 21 Jahre her, wo sie, gerade 17, im Schaubehälter einer schwarzen Corsage dazustehen hatte.

Barbara Valentin ist jetzt 38, und die fortdauernde Erwähnung ihrer Wandlung beginnt sie zu ärgern; als ob sie früher ein hirnloser Einzeller gewesen wäre. Sie habe, sagt sie, sich nur keinen Moment lang als Schauspielerin empfunden, diesbezüglich nichts von sich gehalten. Eher war sie darauf gefaßt, »daß die mal aufwachen, daß morgen Ende ist«. Und ein Selbstmord, sagt sie, wäre daraus nicht geworden.

Ihre ursprüngliche Gewißheit, nie ein verfeuertes Talent gewesen zu sein, sondern mehr ein unaufgedeckter Irrtum, ist sicher keine gemütliche Geschichte. Doch sie mildert diese behauptete, magdalenenhafte Kehrtwendung einer Darstellerin, deren Busen mal ein Scherzpaket in dünnen Filmen war und deren Busen jetzt, in gedankenvollen Filmen, in der Himmelsrichtung der Kunst gezeigt wird.

Barbara Valentin ist im Sinne ihrer Wirkung und ihres täglich an die Medien verfütterten Rufes immer ein Star gewesen, jemand, der ohne künstlerisches Ansehen eine magnetische Eigenständigkeit hat.

In der Vorstellung ihres Entdeckers John Harns solle sie wie Jayne Mansfield werden. Harns war ein glücklosen Märchenerzähler aus Hollywood, der sich für einen Alchimisten hielt. Er traute sich zu, die optische Übertreibung von einer Frau zu fabrizieren.

Seine Einfälle zur Erschaffung dieses Geschöpfes waren jedoch kleiner als sein Ziel hoch war. Vor allem verrieten sie Ungeduld. Er trieb Barbara Valentin im Bikini vor die Rotte der Festival-Photographen. Sie rannte ins Wasser und zeigte sich bei der Rückkehr in dem probaten nassen Hemd.

Die Idee einer Karriere als unberührbarer Sündenfetisch verflachte durch mangelnde Dosierung. Barbara Valentin wurde eine vielgeknipste Anwesende, eine verfügbare Provokation. Und sie behandelte diese eher kleine Existenz auch nie als sei es eine große. Arrangierte Skandale buchte sie als Vergnügen. Die ehrabschneidenden Texte in den Boulevardblättern ertrug sie als Preis ihrer Öffentlichkeit. Sie hatte in keinem dieser Blätter, denen sie als Titelköder immer gut war, nur ein bißchen Hausmacht, keinen zeilenschindenden Spezi, der zu ihren Gunsten auf eine Verzerrung verzichten mochte.

Barbara Valentin war nicht mal die annähernde Wahrheit wert. Zum Beispiel lancierte aus Gründen der Selbstreklame ein Berliner Barbesitzer die Meldung, in der Nacht nach seiner Verlobung mit »Babsie« sei das Bett gekracht. An dieser Meldung ist weniger schlimm, daß ein abgetakelter Kerl ein federnder Bock gewesen sein will, unter dem eine Sexbombe auf die Dielen geht, als daß diese Sexbombe diesen Mann nur per Handschlag kannte.

Juristisch veranlaßte Gegendarstellungen konnten die jeweilige Schmach nur verdoppeln, weil das Wiederholen des Unzutreffenden dem Leser die gleiche sättigende Vesper gab. Einmal hieß es, Barbara Valentin habe sich im Kölner Dom lieben lassen. Diese Lüge sollte gelöscht werden, indem eine Berichtigung die Überschrift trug: »Sie war nie im Kölner Dom.« Das klang wie ein Vorwurf, ein Herzstück der abendländischen Kultur versäumt zu haben.

Barbara Valentin begriff ihr spezielles Martyrium, als die »Bild«-Zeitung mit anzüglicher Ermunterung an die Leser ihre Telephonnummer abdruckte. Sie wurde anonym von Männern angerufen, die, nachdem sie durchgeatmet · Mit Peter Kern.

hatten, ihren sexuellen Wagemut wie eine Rotzschleuder auf sie zielten.

Vor sechs Jahren, als Fassbinder über Agentur bei ihr anfragte, lebte Barbara Valentin in zweiter Ehe mit Sohn und Tochter in einer Münchner Villa. In den Illustrierten erschienen kontemplative Bildberichte, in denen Bauernschränke und kariert gedeckte Eßtische erwähnt wurden als Belege ihrer Läuterung.

Die Valentin, wurde geschrieben, hat sich gefangen. Doch gerade. als ihr breit gelebtes Glück ein Thema war, hatte sie undeutliche Anfälle von Angst, daß außer guten Büchern und Enkelkindern nichts mehr auf sie zukäme. Nach der ungefähren Datierbarkeit ihrer Anfälle kam Fassbinder pünktlich. Barbara Valentin geriet in einen ganz neuen Zusammenhang.

Sie fand in einer Sphäre Verwendung, der sie anmerkte, es gibt noch was. Ihre alte Bestimmung, ausschließlich für krachend feilgebotene Körperformen gut zu sein, wurde aufgelöst in die Nuancen dieses Fuchs. Das heißt, sie blieb die Frau, die von Hause aus kein Dach hat und mit beschädigtem Renommee keinen Aufwand im bürgerlichen Mitfühlen verdient. Doch sie durfte das Gemüt dieses Typs ausspielen, die seelische Schlagseite einer Person mit einem Vergnügungskörper, die Prozedur des Erfrierens als Objekt in außerehelichen Männerträumen.

Der Vorgang, für eine Schauspielerin genommen zu werden, machte Barbara Valentin, die von sich sagt »ich bin intelligent, das heißt, ich bin nicht doof«, mißtrauisch. Sie empfand sieh zuerst nur kurios, als Hinterbliebene einer überlebten Gattung, als archetypisches Schmuckstück aus der durch Tropfkerzen verdunkelten Kellerbar.

Ich glaube auch nicht an die pure, vom Himmel angezeigte Wiederentdeckung Barbara Valentins, sondern mehr an Fassbinders pünktliche Vorführung aus der Mode geratener Darsteller. Im Spiel ist jenes antizyklische Entzücken welches, konträr zu ihrer Zeit, sowohl Menschen wie Gegenstände auslösen können. Es ist das trendhafte Schönfinden eigentlich ausgereizter Gesichter, und als Entsprechung für die Gegenstände ist es der geschmackliche Salto für einen Cocktailsessel.

Fassbinders Einfall, Barbara Valentin zu besetzen, darf deshalb aber nicht zu einem Gebot der Stunde verkleinert werden. Denn er ist ja eher Anführer oder Erfinder solcher Pointen als deren Nachahmer, also ein Entdecker. Um den Dingen nicht mehr Namen zu geben als sie verdienen: Fassbinders gute Reputation verursachte Barbara Valentins neuen Marktwert. Das ist eine ganz normale, jedem Erfolg innewohnende Begebenheit, da sich kein Mensch durch Selbstentzündung zu steigern vermag.

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