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INTENDANTEN Mister Volldampf

Hamburgs kommender Schauspielhaus-Chef Michael Bogdanov eht in die Offensive und verspricht: Für weniger Geld mehr Show.
aus DER SPIEGEL 23/1989

Vor drei Jahren noch fühlte er sich als Tramp im internationalen Kulturbetrieb, mit leichtem Gepäck auf vielerlei Szenen zugange, auch einmal für eine Gast-Arbeit in Hamburg, und als Hobbyschriftsteller beschwor er damals in einer leider unveröffentlichten Erzählung den Schmuddel-Charme des Stadtteils St. Georg hinter dem Schauspielhaus: türkische Gemüseläden und Babystrich, Junkie-Absteige und Müsli-Imbiß, Flohmarkt und New-Wave-Schuppen - das war ein Pflaster, auf dem er sich wohl fühlte.

Doch ein halbes Jahr später lud Hamburgs Erster Bürgermeister den britischen Regisseur mit dem russischen Namen, dessen »Julius Cäsar«-Inszenierung ihn begeistert hatte, zum Essen ein und fragte ihn, vorsichtig und inoffiziell, ob er vielleicht Intendant dieses plüschig-prächtigen Schauspielhauses werden wolle. Die Sache erledigte sich, weil der kurzzeitig amtsmüde Peter Zadek sich zum Bleiben entschloß. Doch die Hamburg-Idee hat Bogdanov nie mehr ganz losgelassen, und nun tritt er, mit Beginn der nächsten Spielzeit, das schwierige Zadek-Erbe an.

Natürlich hat er sich im Herzen von St. Georg eingenistet, unweit der Szene-Kellerkneipe »Dorf«. Dort hält er spätabends an einem langen Holztisch hof, bei Mineralwasser, eng umringt von seinem Ensemble. Nach Zadek, der mit Streicheleinheiten geizte und sich zunehmend einbunkerte, haben die Schauspieler nun (und das mögen sie) einen Intendanten zum Anfassen, ja einen Intendanten zum Knuddeln. Wie ein rundliches Öfchen strahlt er Wärme, Zuversicht und Arbeitsfreude aus.

Die Revierfürsten des deutschen Staatstheaterbetriebs halten den Seiteneinsteiger auf ihrem Intendantenkarussell für eine Kindertheater-Größe, eine »drittklassige Figur« (Claus Peymann) oder auch schlicht für einen Narren: Er will schaffen, was ihnen »waghalsig« (Zadek) oder unmöglich scheint, er will das Schauspielhaus mit einem (gegenüber der Zadek-Zeit) um harte 3,2 Millionen Mark heruntergestutzten Etat zu neuem Glanz führen. Sein Erfolgs-Konzept, entwaffnend schlicht, heißt: »Wenn man weniger Geld hat, muß man mehr arbeiten.«

In dem sonnigen Tramp, der stets Zeit zu haben scheint, steckt ein unbändiges Arbeitstier, und so peilt er in Hamburg keinen Schmalhans-Kurs an, vielmehr eine Spektakel-Offensive mit populärem Appeal: Schon in seiner ersten Saison soll das Schauspielhaus entschieden mehr als das Doppelte wie zu Zadek-Zeiten produzieren - zwölf Premieren für die große Bühne und neun für den kleineren »Malersaal«.

Die vier dicksten Brocken hat er sich als Regisseur gleich selbst aufgehalst: Shakespeares »Hamlet« mit Ulrich Tukur als Star, Schillers »Maria Stuart« mit Eva Mattes und Ilse Ritter, das Schauspiel »Unter dem Milchwald« seines walisischen Lieblingsdichters Dylan Thomas und zum Saisonschluß das Oldtimer-Musical »Guys and Dolls«.

Bogdanov, 50, verbreitet einen pausbäckigen »Man muß nur wollen!«-Enthusiasmus. In 20 Profi-Jahren hat er an die 150 Inszenierungen über die Runden gebracht, und als Theaterchef in der britischen Provinz wie als Kodirektor des »National Theatre« hat er mit weniger Geld auskommen müssen als nun in Hamburg. Er hat sich, immer draufgängerisch, so ziemlich durchs ganze Shakespeare-Repertoire inszeniert; er hat den letzten aufregenden Theater-Unzuchtsprozeß Englands - angeklagt als Regisseur eines homosexuellen Vergewaltigunsversuchs in dem Stück »The Romans in Britain« auf der National-Bühne - mit Siegerlächeln überstanden; er hat sich als Uraufführungsregisseur des deutschen Musik-Gurus Karlheinz Stockhausen hervorgetan, und er hat eine ungenierte Neigung zu Trivialstoffen entfaltet: »Dracula« und »Canterbury Tales«, die »Meuterei auf der Bounty« als Musical, »Der Glöckner von Notre Dame« und »Die drei Musketiere« - dies in Tokio mit einem reinen Frauen-Ensemble.

Seine Lieblingsschöpfung, das Vehikel seiner Tramp-Lust, ist die eigene Wandertruppe »The English Shakespeare Company«, die in den letzten zwei Jahren rund um die Welt getingelt ist, im Repertoire die kompletten Königsdramen. Zum Abschluß der Tournee, vor ein paar Wochen, hat Bogdanov das Gesamtkunstwerk in einem Rekord-Kraftakt fürs Fernsehen aufgezeichnet: 23 Stunden Theater in sieben Drehtagen.

Die deutschen Sprachkenntnisse - hinreichend für den Hausgebrauch - hat Michael Bogdanov sich in zwei Studiensemestern in München angeeignet, allerdings kaum in germanistischen Hörsälen, vielmehr in Schwabinger Kneipen, wo er sich, die Gitarre unterm Arm, als irischer Folkloresänger den Lebensunterhalt verdiente. Daß Sprachschwierigkeiten ein Regie-Handikap sein könnten, mag er nicht wahrhaben, oder höchstens, wenn es um Kleist ginge; Shakespeare jedenfalls hat er auch schon mit brasilianischen und japanischen Schauspielern so hingekriegt, wie er ihn haben wollte.

Als Russe fühlt er sich kaum, denn sein Vater kam schon 1911 aus der Ukraine nach London und machte sich später als Linguist am British Museum um die Entzifferung alter vorderasiatischer Manuskripte verdient. Die Mutter stammte aus Wales, und ihr Erbe, auch die walisische Sprache, pflegt Bogdanov mit vergnügtem Eigensinn: In Südwales hat er ein Bauernhaus, dort wuchsen seine drei Kinder heran, dort grasen weiterhin seine zwei Dutzend Schafe, und das bleibt seine Fluchtburg, wenn er einmal vom Schauspielhaus-Streß und der Alternativ-Folklore St. Georgs zuviel kriegt.

Der Typ, der sich nun in die Schar der bundesdeutschen Theatermimosen und Wehleidigkeit-Artisten mischt, mag ein ewas schräger und ziemlich bunter Vogel sein, doch ein Narr keinesfalls - dazu ist er entschieden zu schlau und zu ausgeschlafen. Daß seine letzte, fahrlässig rasch hingehauene Hamburger Gast-Inszenierung, Calderons »Der Richter von Zalamea«, fürchterlich verrissen wurde, macht ihn nicht kleinlaut: »Damit habe ich auch den ersten Reinfall schon hinter mir, der Erwartungsüberdruck ist weg, und ich kann frisch loslegen.« So ist er und muß er sein: Er sieht auch im Schlechten das Gute.

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