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Mit den Clowns kamen die Freuden

SPIEGEL-Reporter Fritz Rumler über den Bestseller-Autor Johannes Mario Simmel *
Von Fritz Rumler
aus DER SPIEGEL 37/1987

Der Simmel«, sagt der Simmel, »ist auf eine lebensgefährliche Weise naiv und blauäugig.« Zwar »tut er ungeheuer gerissen und clever, aber er rennt in jede Falle, die es gibt«.

Das hat ihm, neben Millionen, mancherlei Mühsal eingebracht, und ein Mensch, der viel auf den Deckel bekam, muß sich wohl an etwas Stabiles anlehnen: Zu Dutzenden stehen Elefanten im trauten Simmel-Heim, auf Simsen, Borden und kostbaren Vitrinen, aus Holz, Terrakotta und Porzellan, und alle in der gleichen Pose: den dicken Rüssel himmelwärts gereckt.

Phallokratie? Das wäre bei einem, der numerisch und notorisch die Fleischeslust preist, nichts Bestürzendes. Johannes Mario Simmel, seit drei Jahren Einsiedler (gesch.) im schweizerischen Zug (ff See- und Alpenblick), klärt auf: Elefanten mit Reck-Rüssel seien »Glücksbringer«. Glück braucht jeder, so oder so.

Der Meister der rasenden Schreibmaschine (40 Dienstjahre) ist jüngsthin 63 geworden. Mit der Weltauflage seiner Romane (65 Millionen) ließe sich, wurmmäßig, ein Steg vom Äquator bis zum Nordpol kacheln; selten wurde deutsche Zunge, übersetzt in 25 Sprachen, so weit und breit goutiert.

Doch mit den Auflagen waren eben die Niederlagen gekommen. Bös scholl es jahrelang aus deutschen Feuilletons, »Schund«, »Kitsch«, »Kolportage«; die Wälzer des »Bestseller-Mechanikers« seien »Opium fürs Volk«, sie »stinken zum Simmel« (Wortspiel!) und gehörten »auf den Misthaufen«.

Das war bestimmt nicht immer Kaviar, das ging bis zur bitteren Neige, und Simmels Antwort darauf kannte nur der Wind. Aber (auch Simmel-Titel): Lieb Vaterland, magst ruhig sein, hurra, wir leben noch, denn mit den Clowns kamen die Freuden.

»Doch mit den Clowns kamen die Tränen«, _(Johannes Mario Simmel: »Doch mit den ) _(Clowns kamen die Tränen«. Droemer ) _(Verlag, München; 532 Seiten; 39,80 Mark. )

so heißt der jüngste Simmel-Seller. Er beschreibt, wieder Report-Roman im Thriller-Dressing, ein Schreckens-Szenario, das diesmal ans Eingemachte geht: Gen-Manipulation, der längst praktizierte Poker mit der Evolution, und wie ein »soft war«, ein sanfter Krieg, damit aussehen könnte; nämlich schrecklich.

Eine halbe Million Mark hat der Verlag für die Attacke an breiter PR-Front eingesetzt, eine Erstauflage von 150000 Stück in die Schlacht geworfen. Und die alte Simmel-Magie wirkt: Als behende Klettermaxis hangeln sich die »Clowns« auf der Hit -Leiter nach oben.

Mit ihnen, und mit der »Zeit«, kam tatsächlich freudige Bewegung. »Der Simmel«, sagt der Simmel, »war wirklich zu Tränen gerührt über die schönste Kritik seines Lebens.« Das Blatt, das ehemals die zum Simmel stinkende Formulierung fand, hatte nun in die Harfe gegriffen.

Was Simmel mache, erklärte »Die Zeit«, war in »früheren Zeiten der europäischen Geistesgeschichte die Aufgabe der Kunst«, nämlich »Gegenstände von großem Interesse« darzustellen, Aufklärung zu betreiben. Simmel rücke mithin in die Ahnenreihe von Balzac bis Graham Greene, und zwar als »fast schon triebhaft aufklärerisch«.

Dramatisch warnt nun auch die »FAZ« vor einer Attitüde, der sie früher selber gerne anhing: »Man soll den Simmel nicht schmähen.« Tatsächlich wetterleuchtet es seit geraumer Zeit in den Feuilletons, ankündigend eine Simmel-Rehabilitierung; für den Clan der Simmologen nichts weiter als ein Akt historischer Gerechtigkeit.

Der Simmel«, sagt der Simmel, »ist gewiß kein großer und feiner Dichter, der für die Ewigkeit schreibt«, aber »er

nimmt Themen her, die wirklich todwichtig sind«; Neo-Nazis etwa, Drogensucht, das Elend behinderter Kinder. Dafür recherchiere er bis zu einem Dreivierteljahr, zwei Jahre schreibe er daran. Den Nobelpreis, sagt Simmel, wolle der Simmel nicht haben: »Der ist ein bisserl entwertet.«

Wenn Simmel über Simmel spricht, als wäre der andre ein intimer Freund, hebt eine frappante Wandlung an. Da sitzt dann nicht mehr (Presse-Stimmen) ein »schüchterner Sonderling«, ein »bescheidener Neurotiker«, »klein und grau«, »gehemmt«, »nicht schön«, da tritt ein witziger, rundum belesener Causeur hervor, befreit von Sprechstörungen und mindestens so schön und selbstironisch wie, beispielsweise, Dieter Hildebrandt.

Teile dich und herrsche? Das Alterego-Spiel, inmitten der Elefanten und vor dem ff Seeblick ausgeheckt, macht dem Simmel Spaß. Es ist, recht besehen die natürliche Autoren-Position: Als allwissender Erzähler kennt er seine Figuren besser, als diesen, unter Umständen lieb sein kann; auch die Figur Simmel.

Der Mann bleibt dennoch ein Rätsel, wenn nicht ein Problem. Reporter in den Korridoren des Unheils, Arbeitselefant mit dem Rüssel im Wind, »demokratisch engagierter Gebrauchsschriftsteller« ("FAZ") - das trifft nur marginal. Wer ist der Mann? Der Simmel hat ihn gefragt und gehört: »Verzeih das harte Wort, aber ich glaube, ich bin ein Moralist.«

Einer mit ein paar »fixen Ideen«. Er wolle die Leute unbedingt über Dinge informieren, die er für »wichtig, gefährlich und grausig« hält. Und er hege einen »fast schon ans Pathologische grenzenden Haß auf die Nazis": Er muß den Leuten »immer wieder um die Ohren schlagen, nicht Ideologen zu glauben, sondern selber zu denken«.

Deshalb »muß« der Simmel schreiben, sagt der Simmel - nicht zur privaten »Therapie«, das sei nur eine Ausrede. Und weil der Simmel schon »soviel Fett im Leben abbekommen« und »nach der Statistik nur noch elf Jahre vor sich« habe, will ihn der Doppelgänger auch mal loben:

»Er war nie ein lumpiger Schmierer, der seine Ansichten wie Unterhosen gewechselt hat«, er war »immer Pazifist und Sozialdemokrat« und habe das in seinen Büchern »laut und deutlich gesagt«. Das alles ist ja nun eigentlich nicht der Stoff, aus dem die Bestseller werden; dazu bedurfte es einer gut geschmierten Lafette.

Trick des Schicksalsbändigers: Er verzahnte die Botschaft mit einer »Entertainment-Handlung«, dem Simmel-Touch aus Sex & Crime. Erwünschte Folge: »Keiner konnte die Sauereien lesen, ohne mitzukriegen, was dem Simmel auf den Nägeln brennt.« Verwünschte Folge: Der Autor geriet in den Ruch eines sexuellen Nimrods.

Der Ruch ballte sich zum Ruf, als Simmel einem Herrenmagazin Einblick in sein Potenzgetriebe gab. Was damals keiner ahnte: Die Protzerei war als Satire angelegt, als »Bacchanal des Unfugs«. Die Leute aber nahmen es »todernst«, und Simmel erhielt »viele reizende Angebote«.

Als kleiner Junge, sagt der Simmel »war der Simmel überdurchschnittlich intelligent«. Später habe er »leider so viele Verdummungsprozesse durchgemacht, daß ihm so etwas eben passiert ist«. Auch sieht er jetzt deutlich, »daß er einen großen Teil seines Lebens vergeudet hat mit unwichtigen Dingen«.

Er hätte, beispielsweise, »seine Damen weniger mit Klunkern behängen« und den eigenen Lebensstandard drosseln sollen; er zähle sich nicht zu den Leuten, »die auf alles verzichten können, nur nicht auf Luxus«. Schwerer drücke ihn, daß der »Moralist Simmel« oft »unmoralisch handelte«.

So habe er einen Menschen, »der mehr für ihn getan hat als irgendein anderer auf der Welt«, in einer Weise verletzt und verlassen, für die er, wenn er an Gott glaubte, in die Hölle gehöre. Simmel: »Aber der Kerl glaubt ja nicht mal an Gott.«

Im »Clowns«-Roman setzt Simmel diesem Menschen, seiner an Krebs gestorbenen

Ehefrau Lulu, ein Mahnmal; die Buch-Dialoge sind aus dem Leben gegriffen. Die allerletzten Dinge freilich fließen nicht in seine Bücher ein, sagt der Simmel, »private Sachen, mit denen sich der Mann rumquält, über die er nicht reden kann und schon gar nicht schreiben«.

Simmel über Simmel. Nach den Mondän-Jahren in Monaco und der millionenschweren Scheidung von seiner nächsten Frau hat er sich »zurückverkrochen«, in »eine kleine Stadt, in eine kleine Wohnung«. In Zug am See liegt nun sein »home«, sein Heim. »Heimatgefühle« kenne er nicht, und das Wort »Vaterland« verabscheut er - »weil es so ein blutiger und widerwärtig besudelter Begriff ist«.

Auf seinem breiten Bett, »leider auf einer Seite leer«, stapelt er seine Nachtlektüre, Naturwissenschaftliches und Philosophisches; Karl Popper, der Kritische Rationalist, ist sein Meister. Über die immer wieder vergebliche Suche nach Wahrheit tröstet Simmel sich mit einem Camus-Satz: »Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.«

Er stapelt auch Handwerkszeug, neun Schreibmaschinen eines bestimmten, robusten Typs, denn der Simmel will nicht Ruhe geben. »Der wird schreiben«, sagt er, »bis er umfällt.«

Johannes Mario Simmel: »Doch mit den Clowns kamen die Tränen«.Droemer Verlag, München; 532 Seiten; 39,80 Mark.

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