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THEATER / TURRINI Mit Herz und Hose

aus DER SPIEGEL 6/1971

»Das Dialektstück«, so sprach der Dramatiker Peter Turrini, 26, »hat keine Zukunft«, dann schrieb er ein Dialektstück.

Es ist ein Einakter, er heißt »Rozznjogd« (Rattenjagd) und handelt von Ratten und Menschen -- Motto: »Wollen wir nicht den Versuch unternehmen, die Ratte in uns zu lieben?« Bei der Uraufführung am letzten Mittwoch im Wiener Volkstheater kam das attraktive Erstlings-Stück »hart am Rande des Skandals vorbei« ("Kurier") und wurde ein Erfolg.

Der Debütant, ein 89-Kilo-Mann aus Maria Saal in Kärnten, der sich selbst »Heimatdichter« nennt, hatte beides, Erfolg und Skandal, durchaus einkalkuliert. Der ehemalige Werbetexter, vor kurzem noch unbekannt, aber schon mit einem Auftrag der Wiener Festwochen betraut, erkannte das »Theater als Bedürfnisanstalt«. Seinen »Haß auf Institutionen« brachte er in Einklang mit einer »marktgerechten Sensibilität«. Ergebnis: ein rüdes Show-Stück, das mit »Herz und Hosenschlitz« ganz »am Publikum orientiert« ist.

Die Welt, zeigt Turrini dem Publikum, ist ein Müllplatz« auf dem sich »Menschen wie Ratten« vergnügen. Derart vordergründige Symbolik Jedoch drängt er durch theaterwirksames Spiel mit Knall-Effekten, mit einem kompletten Striptease und vulgären Dialogen in den Hintergrund.

Gemütlich freilich geht es im Turrini-Stück nicht zu. Die Bühne, nur von einer trüben Lampe beleuchtet, ist ein städtischer Schuttabladeplatz mit zerfetzten Matratzen, demolierten Kinderwagen, verrosteten Kühlschränken, abgefahrenen Autoreifen.

In diesem nächtlichen Sperrmüll-Idyll vergnügt sich ein namenloses Pärchen Im selbstgebastelten Sportwagen, dessen Scheinwerfer ins Publikum blenden. Als »Er« zärtlich wird ("Kumm, gemma"), schreit »Sie": fe do is a Rozz!« Die Ratte wird mit einem gezielten Gewehrschuß -- ins Publikum -- erlegt: »Den hods dawischd, amen.«

»Er«, so wird mitgeteilt, ist ein Mann und muß »killn« -- Ratten, die er haßt und als »Dregfressa! Misdfladara! Bluadsauga! Schwonzgsindl!« beschimpft.

Er killt die Ratten stellvertretend für die Menschen, mit denen er nicht in Kontakt kommt, weil sie sich nicht auseinandernehmen lassen wie seine Schrott-Autos. Auf dem »Müllplatz der Sprache« (Turrini) findet er kein Verständigungsmittel und tötet darum -- als Ersatzbefriedigung -- das Ungeziefer.

Doch an diesem Abend erfinden »Er« und »Sie« nach der Schädlingsjagd als Sprachersatz ein bezeichnendes Spiel: Wegwerfen. Um einander kennenzulernen, legen sie wechselseitig zunächst Perücke und Toupet, falsche Zähne und Wimpern ab, dann werfen sie alles fort, was sie in den Taschen haben, Uhren, Geld und Schmuck ("De Scheiße brauchd kan Aufpuz mea"); der Wagen wird ausgeräumt, und schließlich werden auch die Kleider auf den Abfallhaufen geworfen.

Zu einer höhnischen Nationalhymnen-Paraphrase von Jimi Hendrix und grellen Stroboskop-Blitzen (Regie: Bernd Fischerauer) vereinigen sie sich schließlich in einer grotesken Sexual-Pantomime: Bei geöffneter Motorhaube macht der Rattenjäger seine Partnerin auf dem Benzintank fertig. Als beide am Ende -- »Natürlich nur aus Schmäh, wir sind ja im Theater« -- von zwei Männern wie die Ratten abgeknallt, zum Müll fallen, haben sie noch nicht einmal die Namen voneinander erfahren.

»Intellektuelle Bedürfnisse«, sagt der Autor, habe er mit seinem Spiel nicht befriedigen wollen, »nur menschliche«. Die Sprachlosigkeit des Liebespaares, im platten wienerischen Alltags-Jargon mit seiner bösartigen Liebenswürdigkeit artikuliert, bringt Turrini auf eine schlichte These: »Am Anfang war das Grunzen.«

Inzwischen hat der Autor, nach teils hochdeutsch verfaßten experimentellen Sprechstücken, so einem, »Deutschlandlied« (Untertitel: »To play with three fingers in one asshole") und einem »Faust, III. Teil«, in seinem zweiten Dialekt-Stück »Sauschlachten« das Grunzen zur Methode gemacht.

Sein Held, ein jugendlicher Besserwisser, weigert sich, abgegriffene Phrasen zu sprechen, und antwortet auf Einreden von Eltern, Pfarrern und Lehrern nur mit: Wutz-Wutz-Wutz. Seine Umwelt reagiert konsequent: Der Außenseiter wird am Ende geschlachtet.

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