THEATER / FLAUBERT Mönche mögens heiß
Den frommen Mann im Wüstensand bedrängen Stimmen ("Willst du Frauen?") und Visionen: Der Satan tritt ihn an, die Königin von Saba, die schöne Helena und Wollust in Person.
Aber der Sand-Mann bleibt hart und heilig. »Die Versuchung des heiligen Antonius«, beliebtes Sujet für Maler und Musiker, wird seit letzter Woche auch auf dem Theater dargestellt -- Autor der schwärmerischen Dialoge: der französische Romancier Gustave Flaubert (1821 bis 1880).
Im Pariser »Théâtre de France« (Intendant: Jean-Louis Barrault) hat der sexzentrische Regisseur und Choreograph Maurice Béjart den Flaubert-Text zum erstenmal auf eine Bühne gebracht. Das erotische Pandämonium nach Art des 11. Faust galt bislang als unaufführbar; das ist jetzt bewiesen.
Denn Béjarts bizarre Kolossalschau, die drei Stunden lang vier Dutzend Spieler in popgrotesken Kleidern zu Licht- und Tontricks mit sinnlichen Exerzitien beschäftigt, hinterließ die Zuschauer »nicht erregt, sondern erschöpft« ("The New York Times"); den »Figaro«-Rezensenten hat »nur der ständige Krach auf der Bühne daran gehindert einzuschlafen«.
Dem historischen Helden des Undramas ist derlei Mißachtung nicht widerfahren. Antonius, um 250 in Ägypten geboren, verschmähte ererbte 84 Hektar Land, überließ seine junge Schwester der öffentlichen Fürsorge und machte sich als frühchristlicher Wandermönch auf die Sandalen.
Er zog zunächst gen Babylon und drehte Seile am Ufer des Nils. Aber Mönche mögen's heiß -- Antonius wanderte in die Wüste, wo er vergeblich die Einsamkeit suchte: Ständig folgten ihm Jünger, Priester und Irre. Sie wurden von den teuflischen Versuchungen angelockt, denen der Fromme stets ausgesetzt war und von denen er bereitwillig erzählte.
Antonius blieb 50 Jahre in der Wüste, kämpfte mit Beelzebub, der sich ihm in den verwunderlichsten Gestalten näherte, und starb im Alter von 105 Jahren. Seine
* Jean-Louis Barrault, Partnerinnen. Versuchungen wurden vom heiligen Athanasius aufgeschrieben.
Flaubert beschrieb die Versuchungen, als er 26 Jahre alt war und von der Hochzeitsreise seiner Schwester zurückkehrte -- in Genua hatte ihn Brueghels Großgemälde der »Versuchung« beeindruckt, auf dem drei nackte Schöne den bärtigen Heiligen bedrängen.
In 15 Monaten entstand eine erste, von Goethes Faust II bestimmte Fassung; 26 Jahre später, die »Madame Bovary« hatte ihn schon berühmt gemacht, fertigte Flaubert die letzte (vierte) Version. »Die Monate, in denen ich am Antonius schrieb«, gestand Flaubert, »waren die wollüstigsten meines Lebens.«
Das Lese-Stück (500 Seiten), in dem Antonius mit seinen Versuchern poetisch-philosophische Dialoge führt und Luzifer zur Herrschaft drängt, machte die Zeitgenossen weniger hitzig. Dem Kritiker Barbey d'Aurevilly war das Buch »so unverständlich, daß man weder eine Idee noch eine Absicht darin erkennt; es ist unvorstellbar langweilig, von einer Langeweile, die nicht franzosisch, sondern deutsch ist«.
Der Regisseur Maurice Béjart verstand Flaubert besser. Manche Dialogpartien, sagt er, könnten »von Marx und Teilhard de Chardin« sein, während der Teufel »etwas von Sartre« habe; im Ganzen sei es »das reinste Filmdrehbuch«.
In Béjarts Drama-Digest spielt Jean-Louis Barrault, 56, den standhaften Mönch. In zerknitterten Blue Jeans und einem zerschlissenen Hemd hockt der Künstler in einer Sandkuhle und erwartet die Versucher, die meist über einen stählernen Laufsteg aus dem Zuschauerparkett kommen.
Béjart, der in der »Lustigen Witwe« akustisch Panzerwagen fahren ließ und »Romeo und Julia«-Tänzer in Halbstarken-Dreß kleidete, modernisierte auch Beelzebubs Brigaden -- die sieben Todsünden tragen Miniröcke, Bartkoteletten wie Johnny Hallyday und heben die Hand zum deutschen »Heil«.
Satan erscheint im smarten schwarzen Anzug, argumentiert mephistophelisch übers Mikrophon und entkleidet sich schließlich bis auf einen goldenen Slip. Noch stärkere Lockungen gehen von den Damen aus: Die Königin von Saba versucht in Stiefeln und silberner Hose, während die schöne Helena mit einem Blechkleid klappert, das durch zwei Löcher die Brüste austreten läßt.
Nur die sagenhafte Kybele ist in viel Stoff gehüllt, als sie dem Schäfer Attis ihr Lager bietet. Aber der Versuch der alten Dame schlägt fehl -- der Ephebe nestelt am Unterleib und reckt danach zu erschreckender Musik den Daumen hoch: Er entmannte sich lieber, als die lüsterne Alte zu atzen.
Eine vollzogene Vereinigung dagegen rettet den Heiligen und endet das Stück: Auf dem Rücken des gebeugten Barrault läßt sich ein Liebespaar mit gespreizten Gliedern zum Zeugungsakt nieder, und die Hände des Antonius beschreiben die Wonnen, die auf ihm genossen werden. Dann springt er auf: »Ah, ich habe gesehen, wie das Lehen geboren wird.«
Im Original endet das Spiel viel frommer -- Flaubert zum Schluß: »Und in der Mitte von allem, selbst in der Sonnenscheibe, leuchtet das Gesicht von Jesus Christus.«