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TRIANA Mörder im Schubfach

aus DER SPIEGEL 18/1969

Wie oft schlagen Sie Ihre Kinder?«, »Wie ist Ihr Verhältnis zur Mutter Ihrer Frau?«, »Sind Sie ein Polizist?": Mit solchen Fragen bereitet das Staatstheater Braunschweig das Publikum per Flugblatt auf seine jüngste Premiere vor. Denn auf dem Programm steht »Die Nacht der Mörder«, ein Schauspiel des Kubaners José Triana, 37.

Das einzige Szenenbild dieses ersten kubanischen Dramas auf einer deutschen Bühne: ein karger Raum, halb Dachboden, halb Gefängnis, auf jeden Fall ein trostloses Spielzimmer, in dem drei erwachsene Kinder, »Figuren in einem verfallenden Museum« (Triana), mit ihren Eltern abrechnen.

Es ist ein Kampf auf Leben und Tod: Die Geschwister Beba, Lalo und Cuca meutern gegen die Diktatur im Vaterhaus und repetieren dabei ihre ganze unglückliche Kindheit. Sie rebellieren gegen das patriarchalische Wohlwollen, sie wollen ihr Leben selbst bestimmen, und Lalo schafft dafür Symbole: Er stellt den Stuhl auf den Tisch, den Aschenbecher auf den Stuhl und die Blumenvase auf den Boden. Dann animiert er seine Schwestern zur Nacht der langen Messer.

Die Geschwister schlagen sich die Nasen blutig, zerren einander an den Haaren und verrenken ihre Glieder, und Lalo zieht ein Schlachtermesser zum Meuchelmord. Denn das hat Regisseur Hartmut Gehrke schön deutlich gemacht: Die Kinder spielen nicht nur sich selbst, sie haben auch die Rollen von Vater und Mutter, Nachbarn, Polizisten, Staatsanwalt und Richter übernommen. Das Schein-Ritual erschöpft sie und dämpft ihre Aggressionen, aber »eines Tages«, droht Beba, »tun wir es wirklich«.

»Das Thema des Stückes«, sagt Autor Triana, »ist die Zerstörung der anachronistischen Elemente in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern.« Doch Triana wollte mehr als einen Generationenkonflikt darstellen. Die Zerstörung von Mythen hält er für »die beste Art, den Menschen aufzuklären und ihn aktiv für seine Mitmenschen zu machen«. Mit diesem Aufklärungsstück, in dem er Erfahrungen seiner Kindheit verarbeitet hat, erschrieb sich Triana internationalen Ruhm. Der »kleine, dunkle und redegewandte Mann« ("The Times"), der zunächst Gedichte »Vom Stoff der Träume« verfaßte und Angestellter in Castros Kultusministerium war, hatte sein »ziemlich anspruchsvolles« (Triana) Nachtstück schon 1958 begonnen. Doch enttäuscht legte er es bald in eine Schublade, »wo es mehrere Jahre schlief« (Triana).

Während die Mörder ruhten, schrieb Triana sieben Dramen, unter anderem eine »Medea im Spiegel«, »Das Raus in Flammen« und »Der Tod des Neque«. Dann erst, 1964, ging er erneut an die alte Arbeit, die ihm nun in »kürzester Zeit glückte«. 1965 in Havana uraufgeführt, wurde der Zweiakter bald auch in Chile, Kolumbien, Mexiko, Polen und England (Royal Shakespeare Company) inszeniert. Beim Gastspiel eines kubanischen Ensembles im Pariser Theater der Nationen entdeckte Karlheinz Braun, Ex-Lektor des Suhrkamp Verlages, das kubanische Drama auch für die deutsche Bühne. Es wird nicht der einzige Import aus Kuba bleiben.

Den Mördern in der Nacht folgt bald die »Panik bei Tag« des 56jährigen Virgilio Pinera, ein Stück, das der Suhrkamp Verlag gerade übersetzen läßt. Wieder ist es ein Spiel mit dem Tod, das ein altes Ehepaar täglich übt, um die Angst vor dem Sterben zu verlieren. Die Eheleute bringen einander auf mancherlei Art um und fahren, durch diese Rituale gestärkt, schließlich befreit in die Grube.

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