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LITERATURBETRIEB »Monatsgehalt: ein Espresso«

aus DER SPIEGEL 25/2004

Hanser-Verleger Michael Krüger ist jetzt der Kragen geplatzt. In einem geharnischten Brief, den er an sämtliche 33 Juroren der monatlichen »Bestenliste« des Südwestrundfunks (SWR) verschickt hat, beklagt er das Schicksal von vier lyrischen Werken, die im Frühjahr in seinem Verlag erschienen sind und bisher nicht beachtet wurden - auch nicht von der »Bestenliste«. Der Israeli Elazar Benyoetz und der Franzose Yves Bonnefoy, der polnische Nobelpreisträger Czeslaw Milosz und der deutsche Ewigmoderne Paul Wühr sind wahrlich keine Debütanten mehr - der Jüngste ist 67. Krüger, 61, schreibt: »Keiner dieser Autoren hat die vermessene Vorstellung, mit Büchern reich werden zu können. Sie gehören eher alle zu denen, die nach Gottfried Benn mit ihren Texten auf ein Monatsgehalt von 4,- DM (d. i. 2,- Euro, also ein Espresso) kommen. Das Einzige, auf das sie hoffen dürfen, ist ein wenig Aufmerksamkeit.«

Und so war sie ja auch einmal gedacht, jene als Ergänzung der SPIEGEL- und anderer Bestsellerlisten ins Leben gerufene Bestenliste, die vor 29 Jahren von Jürgen Lodemann gegründet worden ist: Sie sollte und soll das Augenmerk auf gute, aber weniger gut verkäufliche Bücher lenken, ausgewählt jeweils von einem Kreis bekannter Literaturkritiker des deutschsprachigen Raums. Die Liste mit zehn Titeln hängt im Buchhandel aus und wird bis heute von vielen Zeitungen publiziert.

Frank Hertweck, der nunmehr zuständige Redakteur beim SWR, kann kein Lyrikversäumnis der Bestenliste erkennen und verweist auf Poeten wie Oskar Pastior, Friederike Mayröcker oder Adolf Endler, die alle sogar den Jahrespreis der Bestenliste erhielten. In dieser Frühjahrssaison waren der Australier Les Murray und der Deutsche Wulf Kirsten mit Gedichtbänden nominiert. Dennoch, so sieht es auch Hertweck, habe sich die ursprüngliche Anti-Bestsellerliste »aufgeweicht« und sei einer »Mischkalkulation« gewichen. Vielleicht ist es an der Zeit, die Bestenliste zu bessern, indem das Auswahlverfahren einer Revision unterzogen wird?

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