EUROPA STUDIO Monde und Sonnen
Die Salzburger Festspiele 1965 brachten keine Uraufführung. Die Uraufführungsbühne »Europa Studio Salzburg« brachte während der Festspielzeit zwei. Dennoch wurde sie im 168 Seiten dicken »Offiziellen Programm« nur mit einem Satz erwähnt. Grund: Die Beziehungen zwischen den Festspielen und dem Europa Studio sind kompliziert.
Sie sollen einfach werden: Das Europa Studio, bisher als GmbH unterm Dach des Bertelsmann-Konzerns eine Salzburger Randerscheinung, wird am Ende der Saison von den Festspielen übernommen. Die Freude darüber ist nicht allgemein. Festspielpräsident Bernhard Paumgartner, 77: »Sag'n S', wär das nicht eher was für eine deutsche Stadt?«
Schauspiel-Uraufführungen hatte es in Salzburg seit 1960 nicht mehr gegeben. Das Angebot, kostenlos neue Stücke zu liefern, hatte den Bertelsmännern 1964 die »Jedermann«-Stadt geöffnet: Ihr Europa Studio mietete das Salzburger Landestheater (784 Plätze), engagierte Schauspieler und Regisseure und brachte zur Festspielzeit außerhalb des Festspielprogramms nur Uraufführungen.
Von Anfang an genoß es die Gunst des Wiener Burgtheaterdirektors Ernst Haeusserman, 49, und des Salzburger Landesrats Josef Kaut, 61. Haeusserman und Kaut sitzen mit Bernhard Paumgartner und Herbert von Karajan im künstlerischen Festspiel-Direktorium; das Direktorium delegierte Haeusserman als künstlerischen Leiter des Europa Studios.
Österreichs ideellen Gönnern schloß sich Hans Joachim Lange, Fernsehdirektor des Westdeutschen Rundfunks, als Mäzen an. Der WDR steuerte 300 000 Mark für die Saison 1964 bei und erwarb damit die Fernsehrechte von zwei der drei Uraufführungen: Die Julius -Hay-Komödie »Das Pferd« und der »Mitternachtsmarkt« von Paul Willems wurden gesendet.
Trotz dieser Hilfe endete die erste Saison des Europa Studios mit roten Zahlen: Die Bertelsmann-Mäzene mußten ein Defizit von 750 000 Mark hinnehmen.
1965 sollten deshalb die Geld- und Spielplansorgen geteilt werden: Die Festspiele übernahmen das halbe Risiko und ließen Oscar Fritz Schuh im Europa Studio die deutschsprachige Erstaufführung von Eugene O'Neills nachgelassenem Stück »Alle Reichtümer der Welt« inszenieren.
Auch die Eigenproduktionen des Studios kamen aus dem Ausland:
- »Monde und Sonnen« des englischen Schauspielers Robin Hawdon, 26, in der Inszenierung von Harry Meyen - eine Beckettiade für Boulevardtheater;
- »Die Ballade von Peckham Rye« der
Schottin Muriel Spark, 44 - eine mit Jazz aufgepulverte Bearbeitung ihres gleichnamigen Vorstadt-Romans.
Die »Monde und Sonnen« fanden günstige Beobachter - »FAZ": »heiterer Versuch, dem Geheimnis der Menschwerdung nachzuspüren« -, bei Ansicht der »Ballade« aber notierte die »Süddeutsche Zeitung« vor allem »launige Aufmärsche, lustige Popos, lästige Pantomimen«. Den polnischen Regisseur Jan Biczycki, 33, sah sie »auf halbem Weg zu einem genialischen Studententheater«.
Solch harsche Worte vermehren nun die Konfusion in der beginnenden Fusion von Festspielen und Studio: Die Ansichten über Zweck, Ziel und Zukunft des Europa Studios haben die künftigen Teilhaber bereits in mehrere Lager geteilt.
Ottokar Runze, 40, Geschäftsführer und Oberspielleiter des Studios, hat zwei Ziele: Er will junge Autoren zu praktischer Theaterarbeit holen und den Eisernen Vorhang durchbrechen. Runze: »Wir kommen ohne Theaterleute aus dem Osten nicht aus, und sie nicht ohne uns.«
Paumgartner dagegen: »Sind wir hier in Salzburg für Weltliteratur verantwortlich?«
Haeusserman, potentieller Paumgartner-Nachfolger: »Wir müssen ein jüngeres Publikum ansprechen, aus dem dann ein Festspielpublikum wird.«
Landesrat Kaut, im Falle eines SPÖ -Wahlsiegs möglicher Unterrichtsminister Österreichs, vermutet: »Man wird vorsichtiger in der Stückwahl sein.«
WDR-Fernsehdirektor Lange schließlich, der die beiden diesjährigen Uraufführungen mit 500 000 Mark mitfinanzierte, will nicht nur zahlen, sondern mitreden: »Wenn daraus eine Tochtergesellschaft der Festspiele wird, die auf unsere Kosten irgendwelche Löcher stopft - dann nicht.«
Für die Salzburger Zukunft des Europa Studios steht allein der neue Name fest: »Europa Studio der Salzburger Festspiele«.
Salzburger »Peckham Rye«-Premiere*
»Lustige Popos, lästige Pantomimen«
* Heinz Reincke und Erni Mangold.