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FERNSEHEN / Telemann MONORAMA

aus DER SPIEGEL 48/1961

Setzen wir folgende Fälle: Das »Deutschland-Fernsehen« wäre für verfassungsrechtens erklärt worden. Und: Der wiedergewählte Konrad Adenauer hätte den Obhütern seines Privat-Netzwerks ein Interview zum Thema »Regierungsbildung« versprochen. Und: Er hätte sein Versprechen gehalten.

Wie wäre dieses Interview vor sich gegangen?

Ganz einfach: Zu Häupten der Tafel hätte der Bundeskanzler gesessen, drei Armlängen tischabwärts der Interviewer - oder nein, zwei Interviewer. Weil einer allein doch nicht die ganze Verantwortung tragen kann. Und der Kanzler hätte begonnen: »Ich denke, es ist das Richtigste, wenn ich, ehe Sie mich fragen, einige Äußerungen mache ...«

Denn: Ein Fernseh-Interview ist von beschränkter Dauer, und je länger man Unverfängliches äußert, desto kürzer kann man Verfängliches gefragt werden.

Aus dem Redefluß über Widrigkeiten der Staatskunst gelegentlich hervortauchend, hätte der vive Interviewte auch der pädagogischen Seite seines Wesens Geltung ertrotzt: »Und dann möchte ich einmal eines sagen: Wir stehen ... in einer sehr schwierigen außenpolitischen Zeit ... Deswegen würde ich es sehr begrüßen, auch vom gesamtdeutschen Standpunkte aus, wenn unsere Presse nicht von vornherein diese Regierung in Grund und Boden verdonnerte.«

Zuletzt aber hätte Konrad Adenauer sein Antlitz von den »lieben Zuhörerinnen und Zuhörern« abgekehrt und, die Gesprächspartner also ins TV-Geschehen verwickelt: »Das, meine verehrten Herren, ist so das Wesentliche, was mir heute auf der Seele brennt; wenn Sie jetzt noch Fragen haben, und ich bin in der Lage, die Fragen zu beantworten, bitte, stellen Sie sie.«

Und die Fragensteller, auf derartiges kaum noch gefaßt, hätten feuereifrig ihre Stuhlkanten gewetzt und gelächelt. Ein bißchen verlegen, weil es doch der Kanzler ist. Und ein bißchen ironisch, damit man denkt, daß sie sich - tiefinnerlich - einen Funken Ungebärdigkeit bewahrt haben.

Sodann hätten beide, falls noch Zeit geblieben wäre, Fragen gestellt. Etwa diese: »Herr Bundeskanzler, in einem großen Teil der Presse ist behauptet worden, das Koalitionsabkommen weiche von der Verfassung ab. Was würden Sie dazu sagen?«

Antwort: »Ich würde sagen: Das ist dumm. Und Leute, die so etwas schreiben, sollen sich genau überlegen, ehe sie so schwerwiegende Vorwürfe gegen zwei Parteien, die zusammen doch 307, glaube ich, Sitze im Bundestag haben, erheben.«

Und keiner hätte nachgestoßen: »Was, Herr Bundeskanzler, hat die Zahl der Abgeordnetensitze mit der Verfassungstreue zu tun?« Oder: »Haben Sie bereits ein verfassungsrechtliches Gutachten eingefordert?«

Nein, die Befrager hätten rasch das Thema gewechselt. Denn, wie gesagt, dieses Interview wäre ja nicht im wirklichen Fernsehen veranstaltet worden, sondern in jenem, das sich unser Kanzler bis zum Karlsruher Urteil hatte träumen lassen.

Weil aber auch eine Regierungs -Television schwerlich umhin kann, auf die Hauptgegenstände allgemeiner Neugier Bedacht zu nehmen, wären Erkundigungen delikaterer Natur nicht wohl vermeidbar gewesen.

Vielleicht hätte eine Frage gelautet: »Besteht die Absicht, das Amt des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt neu zu besetzen?« (Antwort: »Nein, nein. Warum? Keine Veranlassung.")

Oder auch: »Herr Bundeskanzler, Sie haben, wie es verabredet war, einen Brief an Herrn Krone geschrieben bezüglich Ihrer Amtszeit. Wollen Sie sich dazu äußern?«

Wäre Letzteres gefragt worden, hätte sich, wie Telemann seinen Kanzler kennt, folgende Wechselrede ergeben:

Adenauer: »Mir ist davon nichts bekannt.«

Erster Interviewer: »Daß ein Brief geschrieben worden ist?«

Zweiter Interviewer: »Sie haben keinen Brief geschrieben?«

Adenauer: »Das habe ich gar nicht gesagt. Ich habe nur gesagt: Mir ist nichts davon bekannt. Ich habe keinen Termin angegeben.«

Und wieder hätten des TV-Volkes lächelnde Vertreter ihrer Wißbegier Zügel angelegt. Statt rückzufragen: »Wann denn ungefähr darf die Republik mit Ihrem Rücktritt rechnen?«, wären sie auf wegsameres Terrain abgebogen. Denn, bitteschön: Was geht es Angestellte einer (Deutschland-Fernsehen-)GmbH an, wie lange ihr Chef im Amt bleiben möchte?

Hier muß Telemann seiner Phantasie Einhalt gebieten und bekennen, daß er ein düsteres Zerrbild geschaffen hat. Dank den Karlsruher Verfassungsrichtern wird sich Ähnliches auf deutschen Bildröhren in Wahrheit nie begeben.

Sollte Konrad Adenauer, in Ermangelung eines eigenen, doch einmal dem Deutschen Fernsehen Rede stehen, werden die Interviewer wissen, was sie dem Zuschauer schuldig sind: ein bißchen Courage, ein bißchen Hartnäckigkeit und, wenn's recht ist, ein paar Informationen.

P.S. Kapriole des Zufalls! Wie Telemann kurz vor Redaktionsschluß erfuhr, hat das Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler tatsächlich stattgefunden: am 12. November in der NDR -Sendung »Panorama« (Erstes und Zweites Programm).

telemann

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