RAUMFAHRT / SOJUS 3 Morgen mehr
Junge Pioniere fanden es, für die Reporter der Ost-Berliner »Aktuellen Kamera«, »janz große Klasse ... daß er glücklich wieder jelandet is Und der Sprecher der Fernsehnachrichten (Ost) verlas wahre Wortungeheuer: Das Raumschiff habe einen »gesteuerten Abstieg mit aerodynamischer Eigenschaft« bewerkstelligt, »ein Steuersystem« habe »Kommandos für die entsprechende Orientierung des Apparates« geliefert und damit »seine präzise Landung im vorgesehenen Raum« ermöglicht.
Mit solchem technischen Kauderwelsch suchten am Mittwoch letzter Woche die Sprachregler der östlichen Hemisphäre das Ergebnis eines sowjetischen Raumflugunternehmens aufzuputzen, das vier Tage nach dem gloriosen Abschluß der amerikanischen »Apollo 7« -Mission begonnen hatte.
64mal hatte Kosmonaut Georgij Timofejewitsch Beregowoi, mit 47 Jahren ältester bisher gestarteter Raumfahrer, in seinem Raumschiff »Sojus 3« die Erde umkreist. Zweimal näherte er sich bis auf geringe Distanz dem unbemannten Schwesterschiff »Sojus 2«, das vorausgeschickt worden war. Er durfte in einem komfortablen, von der Kabine abgetrennten »Schlaf abteil« ruhen, trieb allmorgendlich Gymnastik und inspirierte die »Prawda« zu der Schlagzeile: »Uns sind die Sternenstraßen untertan.«
Doch als Georgij Beregowoi nach nur viertägigem Flug in Kasachstan sanft landete, im Schneesturm und bei zehn Grad Kälte, bezweifelten westliche Beobachter, daß bei dem Unternehmen »Sojus 3« alles planmäßig verlaufen sei.
18 Monate hatten die Sowjets gezögert, wieder einen Menschen Ins All zu senden, seit im April 1967 der Kosmonaut Wladimir Komarow beim Rücksturz seines Raumschiffs »Sojus 1« getötet worden war. Als sie es nun wieder wagten, schienen sie ungewöhnlich zuversichtlich: Zum erstenmal durfte das östliche Fernsehvolk den Start eines bemannten Raumschiffs am Bildschirm betrachten (wenn auch nicht live, sondern in einer Aufzeichnung). Biederer als seine amerikanischen Kollegen, in einer Art Overall, eine Aktentasche in der Hand, schlenderte Beregowoi zum Raumschiff; alles schien etwas robuster, weniger hochglanzpoliert als auf Cape Kennedy.
Daß Kosmonaut Beregowoi Großes vollbringen sollte, wurde erst recht in den folgenden Tagen deutlich. »Neues Deutschland« äußerte unmittelbar nach dem Start die Vermutung, Kosmonaut Beregowoi solle »raumfahrttechnisches Neuland erschließen« und sich womöglich als »Raumschiff-Monteur« im All betätigen.
Der Sowjet-Wissenschaftler Boris N. Petrow, Leiter des Moskauer Forschungsinstituts für Automatik und Telemechanik, bezeichnete am zweiten Tag des »Sojus 3«-Fluges »die Schaffung erdnaher Raumstationen und kosmischer Basen« als »Hauptziel des gegenwärtigen sowjetischen Weltraum-Experiments«. Petrow verwies auf die ferngesteuerten Koppelmanöver der unbemannten Raumschiffe Kosmos 212 und 213 vom Frühjahr 1968 und fügte hinzu, mit »Sojus 3« werde eine »Weiterentwicklung dieses Systems« angestrebt.
Noch am Abend des zweiten Flugtages meldete »Tass«, Kosmonaut Beregowoi sei mit den Worten zur Ruhe geschickt worden: »Ruhen Sie sich aus, schlafen Sie fest, morgen werden Sie mehr zu tun haben als heute.« Und in einer Direktsendung aus dem sowjetischen Raumfahrtzentrum Baikonur teilte Radio Moskau am selben Abend mit, weitere Raumschiffe stünden auf den Startrampen bereit, auf dem Kosmodrom sei »fieberhafte Arbeit im Gange«.
Demnach besteht kaum Zweifel, daß die Sowjets vorhatten, das Ergebnis früherer Raumstarts mit »Sojus 3« zu übertrumpfen oder sogar den amerikanischen »Apollo 7« -Triumph mit einer eigenen Ersttat noch zu überflügeln. Die Tatsache, daß Beregowoi allein in einem Drei-Mann-Raumschiff startete, legte die Vermutung nahe, daß eine zweite bemannte Raumkapsel mit »Sojus 3« gekoppelt und das Umsteigen im All versucht werden sollte.
Statt dessen gelang dem sowjetischen Kosmo-Piloten nicht einmal das offenkundig geplante Kopplungsmanöver mit der unbemannten Kapsel »Sojus 2«. Westliche Beobachter zeigten
* Fernsehbild aus dem Raumschiff »Sojus 3«.
sich auch verblüfft darüber, daß Beregowoi nur vier Tage im All blieb, und nicht -- wie etwa für eine Mondreise nötig -- sieben Tage oder länger. Ein Hinweis, daß am dritten Tag die Temperatur im Innern seines Raumschiffes bedenklich angestiegen sei, wurde freilich von Tass nicht bestätigt.
In welchem Ausmaß die Sowjets vom Verlauf der »Sojus 3«-Mission enttäuscht wurden, läßt sich schwer abschätzen. »Wer nicht verrät, was er vorhat«, notierte Wissenschafts- (und »Logelei«-)Experte Thomas von Randow in der »Zeit«, »kann nachher leicht behaupten, er habe das Gewollte erreicht.«
Vorbeugende Abwiegelung der Erwartungen betrieb am Donnerstag letzter Woche auch der sowjetische Raumfahrt-Wissenschaftler Leonid Sedow. Zu Besuch in Houston (Texas), erklärte er, die Sowjets planten nicht, schon in der nächsten Zeit den Mond mit einem bemannten Raumschiff zu umrunden.