BESTSELLER / MALPASS Morgens um neun
Überlegen Sie es sieh gut, Wir. Malpass«, so warnte der Bankdirektor seinen Angestellten, »Sie könnten mit Ihrer Frau in einem Dachstübchen verhungern.«
Doch Wir. Malpass hatte damals -- Ende 1966 -- klar erkannt: »Für mich hieß es jetzt oder nie.« Und so blieb er bei seinem Entschluß, nach 39 Bank-Dienstjahren zu kündigen, um als freier Schriftsteller zu leben.
Gedichtet hatte er schon mit 17 ("Ein Sonett wurde sogar gedruckt"); nebenberuflich hatte er 1954 einen Kurzgeschichten-Wettbewerb des »Observer« gewonnen. Den Absprung in die riskante Literaten-Freiheit wagte er jedoch erst, nachdem sein Roman »Morning's at Seven« für 25 000 Mark an eine US-Illustrierte verkauft worden war und seine Frau das Risiko akzeptiert hatte: »Muriel war zu allen Opfern bereit.«
* Eric Malpass: »Fortinbras ist entwischt«, Rowohlt; 192 Selten; 7,80 Mark.
Ein halbes Jahr später wußte der Autor aus der englischen Industriestadt Nottingham, daß er nicht verhungern würde: »Im Juli 1967 schrieb mein Agent aus Deutschland: »Sie stehen an der Spitze der Bestsellerliste im SPIEGEL. Ich kaufte mir das Blatt, und da stand es schwarz auf weiß.«
Und da steht es seither fast jede Woche, ein Kuriosum des internationalen Buchgeschäfts: Der britische Schriftsteller Eric Lawson Malpass. jetzt 59, ist einer der bestverkäuflichen Bestseller-Autoren dieser Jahre -- in Deutschland, nur in Deutschland:
* Der Malpass-Roman »Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung« stand ein volles Jahr auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und erreichte bislang eine deutsche Auflage von 364 000 Exemplaren. Er wurde in der Bundesrepublik von Kurt Hoffmann verfilmt. Die englische Originalausgabe von 1965 kam nicht über 5000 Stück hinaus;
* die deutsche Ausgabe des zweiten Malpass-Bestsellers »Wenn süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft« wurde seit August 1968 insgesamt 212 000mal verkauft und wird ebenfalls deutsch verfilmt;
* zum dritten Mal steht Malpass in diesem Herbst auf der deutschen Bestsellerliste: mit der Erzählung »Fortinbras ist entwischt"*, die in England als Buch überhaupt noch nicht erschienen ist. Deutsche Auflage, drei Monate nach Erscheinen: 100 000,
Auf der Suche nach einer Erklärung für den sonderbaren Erfolg hat die Berliner Autorin Annemarie Weber jüngst im »Monat« ihren Kollegen Malpass als »einen geradezu unerlaubt gutmütigen Erzähler« definiert, dessen Geschichten »eine unendlich große Zahl von Lesern noch gutmütiger machen, als sie ohnehin schon sind«.
Eric Malpass erklärt seine geringere Geltung im Heimatland so: »Alles, was nicht mit Sex und Brutalität zu tun hat, bleibt in England unbeachtet. Aber man ist zu weit gegangen, das Rad beginnt sich wieder zu drehen. In Deutschland hatte der Umschwung schon begonnen, als mein erstes Buch erschien. Und vielleicht ist es auch die einfache Freude am Leben, die Muße, die insulare Beschaulichkeit des kleinbürgerlichen Englands, was die Deutschen so anspricht.«
Wie auch immer, trotz neuerdings anhebender Malpass-Resonanz in Finnland, Holland und Frankreich sind es tatsächlich deutsche Leser vor allem, denen jene Malpass-Idyllen und -Humoresken vom »normalen Leben sympathischer Menschen«
Sex kommt da wirklich nicht vor. und Brutalität stört diese heile Welt immer nur so viel, daß es auch ein bißchen spannend wird. Ganz zimperlich kalkuliert Malpass solche Effekte freilich nicht: Im »Mondlicht«-Buch fällt Gaylord beinahe sogar einem Kinderwürger zum Opfer. Um so rührender wirkt nun das Happy-End: »Ach, dachte Mummi, es war abscheulich, daß ein so schwarzer Schatten auf sonnige Kindertage fallen mußte!«
Solche Schreibkunst, die »einen sonnigen Tag noch heiterer machen kann« ("Welt am Sonntag"), hätte allein aber wohl doch nicht ausgereicht, derartige Erfolge zu zeitigen. Den Bestseller-Boom verdankt Eric Malpass zu beträchtlichem Teil seinem deutschen Verleger: Erst Heinrich Maria Ledig-Rowohlts Einfall, den schlichten Originaltitel »Morgens um sieben« um die Behauptung zu erweitern, daß dann »die Welt noch in Ordnung« sei, hat dem Roman, zusammen mit der Umschlagzeichnung eines unwiderstehlich niedlichen Gaylord, den massiven, markterschließenden Gemüts-Appeal verschafft. Ledig-Rowohlt im Frühjahr 1967: »Wir bringen solche Bücher eben richtig heraus. Wir machen ein Plakat, einen Umschlag, die den Menschen ansprechen. Jeder, der das sieht, sagt: »Ach, wie hübsch.«
Seinen zweiten Malpass, im Original »At the Height of the Moon« betitelt, hübschte Ledig mit einem Shakespeare-Zitat auf: »Wenn süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft«.
Als Pappkamerad steht der von der deutschen Graphikerin Eva Kausche-Kongsbak gezeichnete Gaylord heute auch im Arbeitszimmer seines Autors. Der Ex-Bankangestellte ist vom Reihenhaus in eine kleine Villa umgezogen. Morgens um neun geht er spazieren, »um meine Ideen zu sortieren«; regelmäßig von zehn bis eins und von halb zwei bis fünf schreibt er weiterhin Sonniges, auf das nur ab und an ein schwarzer Schatten fällt.
In seinem dritten Deutschland-Bestseller, »Fortinbras ist entwischt« (Untertitel: »Eine Gaylord-Geschichte"), hat Eric Malpass eine Überschwemmung anberaumt, um Gaylord, Mummi, Paps und Opa neuerlich in Trab zu setzen. Das Hochwasser spült einen Gast ins Haus, der wieder einmal die Familienharmonie vorübergehend stört. Der bewährte Neckton ist bewahrt worden -- nur klingt er jetzt doch schon etwas müde.
Der Autor selbst mag es gemerkt haben. Er schreibt an einem neuen Roman, der 1970 erscheinen soll und von einem 17jährigen Mädchen handelt, das sich in den Dorfpfarrer verliebt, schließlich aber »zur Wirklichkeit erwacht«. Malpass: »Ich will mir selber beweisen, daß ich auch ein Mädchen als Hauptfigur gestalten kann, nicht nur einen Jungen wie Gaylord.«