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Philosophen Mühle oder Schach

Ein alter Brief Ernst Blochs mit angeblich sensationell neuem Inhalt wirft ein schiefes Licht auf den berühmten Philosophen.
aus DER SPIEGEL 17/1991

Als Denker der Utopie, als Spurensucher der »Träume vom besseren Leben«, wie ein später verworfener Arbeitstitel seines dreibändigen Hauptwerkes »Das Prinzip Hoffnung« lautete, als rebellischer Philosoph eines Marxismus, der im Ulbricht-Staat erst hofiert und dann verfemt wurde, nimmt Ernst Bloch (1885 bis 1977) seinen Platz in der geistigen Geschichte des Jahrhunderts ein.

Wie eine spektakuläre Enthüllung aufgemacht, präsentierte Die Welt nun vergangene Woche einen Brief, den Bloch 1957 an Wilhelm Pieck, den damaligen Präsidenten der DDR, gerichtet hatte. Mit dem Schreiben vom 22. Januar 1957 versuchte sich Bloch gegen seine de facto bereits vollzogene Amtsenthebung als Leipziger Philosophieprofessor zu wehren: gegen die wissenschaftliche und kulturpolitische Kaltstellung also, die Walter Ulbricht persönlich drei Wochen zuvor mit einem Leitartikel im Neuen Deutschland eingeleitet und die ein Brief der SED-Leitung des Leipziger Philosophischen Instituts vom 18. Januar 1957 besiegelt hatte.

Blochs Brief, diktiert von der Angst, die Möglichkeit zur Vollendung seines Lebenswerkes zu verlieren, hat die Form einer politischen Ergebenheitsadresse. Er verteidigt sich gegen den Vorwurf, mit den antistalinistischen Revolten in Ungarn und Polen zu sympathisieren, und zitiert sich in bezug auf den ungarischen Aufstand selbst mit den Worten: »Jetzt ist doch die allerhöchste Zeit, wann marschiert endlich die Rote Armee ein?«

Gewiß ist dieser Brief alles andere als ein Ruhmesblatt im großen Werk des Philosophen, ebensowenig aber enthält er umwerfende Neuigkeiten. In einer 1985 erschienenen, ebenso sorgfältigen wie kritischen Bloch-Biographie* wird ein in den wesentlichen Punkten textidentischer Rechtfertigungsbrief Blochs an die Partei, der im Wortlaut schon 1983 vom Ernst-Bloch-Archiv in Ludwigshafen _(* Peter Zudeick: »Der Hintern des ) _(Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk«. ) _(Elster-Verlag, Moos und Baden-Baden; 380 ) _(Seiten; 25 Mark. ) publiziert wurde, ausführlich erörtert und sehr genau in die politischen Zusammenhänge eingeordnet, in denen Blochs Rolle widersprüchlich war: Obwohl dem Philosophen persönlich jede Konspiration gegen das Regime fremd war, hatte sich sein Leipziger Lehrstuhl zu einem Kristallisationspunkt der antistalinistischen Opposition entwickelt.

Im Unterschied zur jüngsten Entdeckung der Welt, die ein Jürgen Busche prompt auch den Lesern der Süddeutschen Zeitung als peinliche Enthüllung servierte, führt Bloch-Biograph Peter Zudeick auch jene Passagen des ominösen Briefes an, in denen Bloch gegen die »Holzhammertechnik« des parteiamtlichen Marxismus argumentiert und sich schützend vor angegriffene Schüler stellt.

Genauigkeit aber ist derzeit nicht unbedingt gefragt, wenn es darum geht, in der ideologischen Konkursmasse der DDR nach einem Enthüllungshappen zu schnappen. Und an geistigen Holzhammertechnikern mangelt es auch im westlichen Deutschland nicht, wie erst kürzlich ein Essay des FAZ-Herausgebers Joachim Fest gezeigt hat, in dem der bekannte Hitler-Kenner Ernst Bloch in Bausch und Bogen als Vordenker des Totalitarismus erledigen wollte.

Lang ist es her, daß der Philosoph des »aufrechten Gangs«, dem noch die Vorkämpfer der ostdeutschen Wende ein revolutionäres Stichwort verdankten, als einer der herausragenden Köpfe des Jahrhunderts 1967 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wurde. Und wer erinnert sich, daß ein marxistischer Sympathien gewiß unverdächtiger Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung des Jahres 1982 respektvoll den Ludwigshafener Landsmann Bloch zitierte? Inzwischen hat ein Lautsprecher des Zeitgeistes wie Marcel Reich-Ranicki sogar den Begriff »Utopie« an einem Talkshow-Stammtisch für tabu und zum »dirty word« erklärt. In die Stimmung dieses anti-intellektuellen Eifers paßt die lärmende und selektive Veröffentlichung des alten Bloch-Briefes.

Wenn es sich auch keineswegs um eine sensationelle Neuigkeit handelt, so bleibt ein kaum begreiflicher Widerspruch: Unter den vom Marxismus inspirierten Denkern seiner Generation war Ernst Bloch mit seinem grenzenlosen Horizont einerseits der vielleicht unorthodoxeste - ein brillanter Querkopf, dem die Ketzer aller Zeiten und Weltgegenden näher waren als die meisten derjenigen, die sich Marxisten nannten.

Und andererseits hat derselbe Mann jahrzehntelang in einem geradezu religiösen Sinn an den Kommunismus und seine Führer geglaubt, ob sie nun Lenin oder Stalin hießen. Er hat die absurdesten Rechtfertigungen der Parteidiktatur übernommen und seine Zweifel länger als die meisten anderen linken Intellektuellen unterdrückt. Als Chruschtschows Geheimrede über die Verbrechen Stalins vor dem XX. Parteitag der KPdSU bekannt wurde, berichtet Zudeick, sei der 70jährige Bloch zusammengebrochen. Aber selbst nach der Verarbeitung dieser Erfahrung, deren geistig befreiende Wirkung Bloch auf die berühmte Formel brachte: »Jetzt muß statt Mühle endlich Schach gespielt werden«, war sein Vertrauen in die Weisheit der vermeintlich anti-stalinistisch erneuerten kommunistischen Parteien nicht restlos verbraucht.

Vielleicht ist Blochs Weggefährte und einstiger Leipziger Kollege, der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, diesem Lebensrätsel Blochs am nächsten gekommen, auch wenn er ein wenig überpointiert hat. In einer Gedenkrede zum 100. Geburtstag seines verehrten Freundes hat er 1985 darauf hingewiesen, daß der politische Philosoph Ernst Bloch, der kaum je mit sozialem Elend in Berührung kam, in fast allen konkreten geschichtlichen und politisch-praktischen Fragen heillos naiv war: ein im tiefsten Grunde unpolitischer Mensch.

Hans Mayer gibt eine aufschlußreiche biographische Begebenheit wieder, von der ihm Blochs Witwe erzählt hat: Als die Blochs angesichts der vorrückenden Hitlertruppen das Prager Exil überstürzt gegen das amerikanische eintauschen mußten, hatte Karola Bloch große Mühe, ihren schlaftrunkenen Mann, der die halbe Nacht über seinen philosophischen Manuskripten gesessen hatte, zum Aufstehen zu bewegen. »Aber warum«, murmelte er mürrisch, »müssen wir denn nach Amerika reisen?«

* Peter Zudeick: »Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben undWerk«. Elster-Verlag, Moos und Baden-Baden; 380 Seiten; 25 Mark.

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