THEATER Müll-Abfuhr
Eine Million Mark«, sagt Frankfurts Kulturdezernent Hilmar Hoffmann, »zahle ich dem, der mir Zensur nachweisen kann.« Ganz schön mutig. Denn gerade hat Ulrich Schwab, der Generalmanager der Alten Oper Frankfurt, in einer öffentlichen Erklärung gegen »den erneuten Angriff des Kulturdezernenten auf die Freiheit der Kunst und der Rede« protestiert.
Schwabs Attacke auf den sozialdemokratischen Stadtrat im CDU-regierten Frankfurt war letzten Mittwoch der vorläufige Höhepunkt in einem Streit, der schon ins neunte Jahr geht. Als Rainer Werner Fassbinder 1975 mit seiner Truppe am Frankfurter Theater am Turm (TAT) sein Stück »Der Müll, die Stadt und der Tod« probte, als diese Inszenierung platzte und mit ihr Fassbinders gesamtes TAT-Engagement, war das der Auslöser für eine Antisemitismus-Debatte, der sogar US-Magazine wie
»Time« und »Newsweek« lange Beiträge widmeten.
Im Jahr darauf sollte das Drama in dem Fassbinder-Band »Stücke 3« bei Suhrkamp erscheinen, doch der Verlag stoppte die Auslieferung, nachdem Joachim Fest in der »FAZ« interveniert hatte.
Sage noch jemand, die Presse sei machtlos. Denn bis heute ist »Der Müll, die Stadt und der Tod« (abgesehen von Daniel Schmids Verfilmung »Schatten der Engel") nicht aufgeführt worden. Fassbinder hatte verfügt, daß die Premiere in Frankfurt stattzufinden habe. Das Städtische Schauspiel unternahm in den Jahren seither drei Anläufe. Jedesmal scheiterten die Planungen schon im Vorfeld an Einsprüchen der Jüdischen Gemeinde.
Und der neue Versuch, der der Alten Oper, führte wieder zum Eklat, und wieder wird Joachim Fest zitiert: Der habe nämlich »schon 1976/77 das Stück analysiert und als antisemitisch eingestuft« - so begründet Alexander Gauland, der persönliche Referent des Frankfurter OB Wallmann, die Haltung seines Chefs, der am Freitag vorletzter Woche trotz Krankheit bei einer Aufsichtsratssitzung der Alten Oper erschienen war, um von Manager Schwab die Absetzung des Stücks zu fordern.
Noch zwei Stunden vorher meinte Schwab auf einer Pressekonferenz, es sei »ein Wahnsinn«, das Drama nicht zu spielen. Denn erstens sei »Der Müll, die Stadt und der Tod« ein antifaschistisches und kein antisemitisches Stück. Und zweitens böten Regisseur Volker Spengler und vor allem sein Dramaturg, der Ost-Berliner Dramatiker Heiner Müller, die Garantie dafür, daß es nicht zu Beifall von der falschen Seite komme.
Anlässe dafür bietet Fassbinder in der Tat genug. Sein »Stück durchaus widerwärtiger Theaterliteratur« (Benjamin Henrichs in der »Zeit") handelt von der Zerstörung einer Stadt wie Frankfurt durch Häuserspekulanten. Einer von denen heißt in Fassbinders Stück »Der reiche Jude«. Er sagt: »Ich kaufe alte Häuser in dieser Stadt, reiße sie ab, baue neue, die verkaufe ich gut. Die Stadt schützt mich, das muß sie. Zudem bin ich Jude. Der Polizeipräsident ist mein Freund, der Bürgermeister lädt mich _(Verfilmung des Stücks »Der Müll, die ) _(Stadt und der Tod« von Daniel Schmid; ) _(rechts Ingrid Caven. )
gern ein, auf die Stadtverordneten kann ich zählen ... Die Stadt braucht den skrupellosen Geschäftsmann, der ihr ermöglicht, sich zu verändern.«
So grobschlächtig das formuliert ist, so richtig trifft es doch die Frankfurter Verhältnisse, in denen selbst Joachim Fest »ein organisiertes Ganoventum jüdischer Herkunft« ausgemacht hat. Nur, daß er das wohl nicht auf jüdische Großspekulanten bezogen wissen wollte. In Frankfurt, wo die große Rothschild-Tradition durch die Ermordung von zehntausend Juden vernichtet wurde, ist das Verhältnis zu denen, die überlebten oder nach dem Krieg zurückkehrten, weit gestörter als anderswo in der Bundesrepublik.
Und gerade da verletzt Fassbinder Tabus. 1976 erklärte er: »Es gibt in diesem Stück auch Antisemiten; es gibt sie aber nicht nur in diesem Stück, sondern beispielsweise auch in Frankfurt. Selbstverständlich geben diese Figuren - ich finde es eigentlich überflüssig, das zu betonen - nicht die Meinung des Autors wieder, dessen Haltung zu Minderheiten hinreichend bekannt sein sollte.«
Das war alles andere als überflüssig und ist bis heute nicht begriffen worden. Immer wieder werden Passagen wie die des Altnazis Hans von Gluck zitiert, um dem Stück antisemitische Tendenzen nachzuweisen: »Er saugt uns aus, der Jud. Trinkt unser Blut und setzt uns ins Unrecht ... Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen.«
Um jegliches Mißverständnis zu verhindern, wollte Regisseur Spengler selbst in der Rolle des Hans von Gluck diese Sätze in ein Kissen jammern. Und Schwab plante, die Aufführungen bei neofaschistischen Reaktionen aus dem Publikum unterbrechen zu lassen, sie durch Zuschauerdiskussionen aufzufangen.
Ob es also zu einer »Beleidigung für die in Frankfurt lebenden Juden« kommt, wie der Vorstand der Jüdischen Gemeinde jetzt befürchtet, kann doch wohl erst auf der Bühne beurteilt werden. Denn, so Heiner Müller, »das Stück kann Wirkungen haben, die beim Lesen nicht zu erkennen sind«.
Müller bekennt sich durchaus zur Tabu-Verletzung: »Das Stück ist dazu da, zu provozieren, es arbeitet mit den immer noch gängigen Klischees. Wenn die aber weiter tabuisiert werden, schafft man die Probleme nicht aus der Welt, sondern verstärkt sie.«
Vergangenen Mittwoch nun hat sich das Berliner Renaissance-Theater bereit erklärt, diese Provokation doch noch wie geplant über die Bühne gehen zu lassen - über die Frankfurter Bühne. Obwohl sich Ulrich Schwab dem Ukas des Aufsichtsrats der Alten Oper beugen mußte und das Stück aus dem Programm seiner »Frankfurt Feste 84« strich, können die Proben in dieser Woche beginnen.
Die Verträge mit Regisseur Spengler und den Schauspielern (neben anderen Monica Bleibtreu, Ingrid Caven und Walter Reyer) werden mit rund 150 000 Mark ausbezahlt, und die Alte Oper kann froh sein, daß sie mit der Übernahme der Produktion durch die Berliner von Schadensersatzansprüchen verschont bleibt. Falls der Baudezernent Haverkampf ("Ich warte auf Weisungen des Oberbürgermeisters") nicht noch anders entscheidet, kann die Premiere am 31. August sogar am ursprünglich vorgesehenen Ort, der U-Bahn-Baustelle vor der Alten Oper, stattfinden.
Aber der Streit ist damit nicht ausgestanden. Denn es geht nicht nur um den Antisemitismus-Vorwurf, sondern auch und ganz banal um Konkurrenz-Querelen unter den Frankfurter Bühnen. Die Alte Oper nämlich, die »mit jüdischem Geld wiederaufgebaut worden ist« (OB-Referent Gauland), erweist sich seit ihrer Eröffnung vor drei Jahren als Publikumsmagnet. Frankfurts Theaterchefs von Adolf Dresen (Schauspiel) bis Liesel Christ (Volkstheater) verfolgen argwöhnisch und wohl auch mit Neid, wie Generalmanager Schwab seinen Repräsentationsbau bei Soltis Mozart-Festen oder der »Csardasfürstin« füllt.
Wenn er sich dann noch mit seinem Werbeetat von jährlich drei Millionen Mark (dreimal soviel wie die Städtischen Bühnen) auf ein Terrain wagt, das ihm nicht zustehen soll, Schauspiel-Produktionen nämlich, empfinden sie die Konkurrenz als Bedrohung - sogar wenn, wie jetzt, die Aufführungen während der Theaterferien stattfinden. Genau in diesem Sinne haben fünf Frankfurter Prinzipale Ende letzter Woche eine Erklärung abgefaßt, die Hilmar Hoffmann in der Fassbinder-Auseinandersetzung den Rücken stärkt.
Von Zensur also keine Rede? In einem Gespräch mit Karlheinz Braun vom Verlag der Autoren, der die Fassbinder-Rechte vertritt, hat sich Hilmar Hoffmann (nebenbei Gastprofessor in Tel Aviv) noch so geäußert: »Wenn es dazu kommen sollte, daß ich vor die Entscheidung gestellt wäre, Zensur auszuüben oder die Gefühle unserer jüdischen Mitbürger verletzen zu lassen, würde ich das erste wählen.« Weil es aber einen Aufsichtsrats-Beschluß gebe, der der Alten Oper Sprechtheater-Produktionen untersage, sei er, so Hoffmann, gar nicht zu einer Zensur-Entscheidung gezwungen worden.
Ulrich Schwab bestreitet nun, daß es ein solches Verbot von Schauspiel-Produktionen gibt, und sieht darin »den rechtswidrigen Versuch, ein generelles Mittel der Zensur zu etablieren«. Seine Protest-Erklärung gegen Hoffmann schließt mit einem Satz an die Mitglieder des Aufsichtsrats: Wenn ihm derart die künstlerische Verantwortung beschnitten würde, »müßte dies für mich ein wichtiger Grund sein, meinen Vertrag vorzeitig zu lösen«. Tatsächlich möchte Hoffmann die Alte Oper auf das beschränken, was sie dem Namen nach auch ist: eine »Konzert- und Kongresszentrum GmbH«.
Schwab dagegen, für den die anderen Frankfurter Bühnen »abgewirtschaftet« haben, will in seinem »international anerkannten Kulturzentrum wie in der Vergangenheit unbehindert eigene künstlerische Anliegen artikulieren«.
Dienstag dieser Woche wird der Aufsichtsrat der Alten Oper zu einer Sondersitzung zusammenkommen, und es sieht so aus, als würde sehr schnell ein neuer Generalmanager gebraucht. Schwabs Vertrag läuft noch über vier Jahre, es wäre also eine üppige Abfindung fällig. Hilmar Hoffmanns Million?
Verfilmung des Stücks »Der Müll, die Stadt und der Tod« von DanielSchmid; rechts Ingrid Caven.