Zur Ausgabe
Artikel 50 / 63

TOURISMUS Müllers Lust

Norwegen, Ursprungsland des Langlaufs, verfügt über 6000 Kilometer Loipen. In ihnen sollen nun auch deutsche Skiwanderer gleiten.
aus DER SPIEGEL 1/1977

Wenn Wolfgang Müller, deutscher Manager des »Hotel Kronen« in Lillehammer, mit seinen Gästen vom Kontinent im Diagonalschritt und Doppelstockschub durch die tiefverschneiten Wälder seiner Wahlheimat gleitet, dann gerät er bei jeder Verschnaufpause schnell ins Schwärmen.

Hier, so rühmt er heißen Atems in den klaren norwegischen Frost hinein, sei des Langläufers wahres Paradies. Hier im Mutterland des Ur-Skilaufs, so preist er begeistert, in dieser Weite und Stille und Einsamkeit, in diesem unvergleichlich trockenen und wirklich weißen Seidenschnee, der kaum Wachsprobleme schafft, diesem stabilen Binnenklima ohne Temperaturstürze, das absolute Schneesicherheit von Dezember bis tief in den Frühling garantiert, finde der Liebhaber der Loipe doch wahrlich sein höchstes Glück.

Zu diesem Glück aber möchte der tüchtige Kronen-Wirt nun vor allem möglichst vielen deutschen Landsleuten verhelfen.

Das rhythmische Wandern in der weißen Spur, in wenigen Stunden leicht zu erlernen und ausgesprochen harmlos im Vergleich zum hals- und beinbrecherischen Alpin-Sport verwegener Pistenjodler, dazu von den Ärzten als herz- und kreislaufkräftigend empfohlen, hat während der letzten drei, vier Jahre auch für Mitteleuropäer, besonders solche reiferer Jahrgänge, mächtig an Attraktion gewonnen.

Allwinterlich stöckeln sich nun schon an die 800 000 Bundesbürger auf schmalen Latten durch die Schneelandschaft. Das ideale Terrain allerdings. so murren die Experten, findet der zünftige Skiwanderer, der 12 bis 15 Kilometer in der Stunde zurücklegen kann, in den Alpen oder den deutschen Mittelgebirgen nur selten: Viel zu kurz sind dort die meisten Langlauf-Bahnen; und noch dazu finden sie bei der ständig zunehmenden Winterwanderbewegung oft allzu starken Andrang.

Die klassischen Langlauf-Länder Skandinaviens hingegen, voran das bergige Norwegen, haben da Besseres zu bieten. Mehr als 6000 Kilometer sorgsam gepflegter und markierter Loipen ziehen sich dort durch die weiten, karg besiedelten Regionen etwa von Telemark, Valdres und dem Hallingdal -- das Gebiet um Oslo allein verfügt über 2500, der Distrikt Lillehammer mit Gudbrandsdal über weitere 1500 Kilometer vorgespurter Strecken.

Ein Skiwander-Wunderland, kein Zweifel. Nur ist es bislang von Kontinental-Europäern noch nicht so recht zur Kenntnis genommen worden. Denn einmal liegt es eben ein bißchen abseits: 19 Stunden dauert für den Pkw-Touristen schon die Überfahrt auf den Fährschiffen »Kronprins Harald« und »Prinsesse Ragnhild« von Kiel nach Oslo; zum anderen wirkte es mit seinen skandinavisch gesalzenen Preisen seit je eher abschreckend.

Ganz allmählich aber scheint das »nordische Wintermärchen« nun doch stärkere Touristen-Kontingente über den Skagerrak zu locken, vor allem aus Frankreich und den Niederlanden, aber auch aus der Bundesrepublik -- jedenfalls melden die auf Nordland-Fahrten spezialisierten Reiseveranstalter Fast in Hamburg und Wolters in Bremen, die beide sowohl Ferien im Hotel mit Hallenschwimmbad und Sauna wie auch in winterfesten Hütten anbieten, um 15 Prozent höhere Buchungszahlen als im letzten Winter.

Und Hotel-Direktor Müller, der nun vor allem den deutschen Markt aktivieren möchte, ist gleichfalls guter Hoffnung -- schließlich hat er sich zum Wohle Norwegens, zum Nutzen Lillehammers und seines gutbürgerlichen Hauses mit den Leuten von den Scandinavian Airlines etwas ausgedacht, um sein Schneeparadies deutschen Sportsfreunden attraktiv zu machen:

Gewissermaßen zum Einführungspreis von 998 Mark ab Hamburg (der sich in den- sonnenreicheren Monaten Februar und März allerdings auf 1168 Mark erhöht) offeriert beispielsweise Wolters eine Woche Halbpension im »Kronen« inklusive Linienflug nach Oslo und zweieinhalbstündigem Bustransfer sowie kompletter Skiwander-Ausrüstung mit Schuhen, Brettern und Stöcken zum Mit-Nachhause-Nehmen.

Eines freilich hat Müller seinen Gästen nicht zu bieten: Fin illustres Nachtleben mit Après-Ski-Schick findet im heimeligen Lillehammer nicht statt. Nach dem reichhaltigen Abendessen, Schlips empfohlen, spielt die ungarische Band zum Tanz auf.

Doch für die meisten Touristen sind im »Kronen« die Abende kurz. »Die Leute«, sagt Müller, »waren den ganzen Tag auf den Brettern unterwegs, die gehen um zehn ins Bett.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 50 / 63
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren