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OST-FERNSEHEN Müllers Unlust

aus DER SPIEGEL 50/1960

Wie eine veraltete Landkarte mit den weißen Flächen unerforschter Gebiete nimmt sich die jüngste Ausgabe der Fernsehprogramm-Zeitschrift »TV Fernseh-Woche« aus, die in diesen Tagen an die Kioske ausgeliefert wird.

Bislang war ein solches Phänomen in der Bundesrepublik unbekannt. Nur in Staaten mit eingeschränkter Pressefreiheit - etwa in de Gaulles Frankreich - sind die Leser den Anblick kahlgeschlagener Zeitungsseiten gewohnt, die erkennen lassen, daß ein Zensor das Erscheinen eines Artikels in letzter Minute, während des Andruckens, verhindert hat.

Einer nicht minder deutlichen Pression sah sich am Dienstag letzter Woche, als die Druckmaschinen bereits angelaufen waren, auch der Verleger der »TV Fernseh-Woche« in Düsseldorf, Kurt Müller, ausgesetzt. Ein Fernschreiben aus Hamburg veranlaßte ihn, die Maschinen zu stoppen und auf den Druckzylindern auszulöschen, was die Leser seiner Zeitschrift eigentlich lesen sollten: das Programm des sowjetzonalen Fernsehfunks, das schon seit Monaten von keiner der großen westdeutschen Programm-Zeitschriften mehr veröffentlicht worden war.

Per Fernschreiben mußte Verleger Müller nun erfahren, daß 18 Zeitungsgrossisten »die Annahme jeder Ausgabe der TV Fernseh-Woche«- verweigern (würden), die das Ostzonen-Programm enthält«. Die boykottfreudigen Großfirmen ließen wissen, sie hätten »mit Befremden davon Kenntnis genommen, daß die 'TV Fernseh-Woche' ab Nummer 50 das Ostzonen-Programm Wieder bringen wird«. Die Firmen teilten mit, sie müßten befürchten, »gegebenenfalls in ein Verfahren wegen der Teilnahme an- der Förderung kommunistischer Propaganda verwickelt zu werden«.

Von der Gefahr; kommunistische Propaganda zu fordern, glauben sich die Zeitungsgrossisten nämlich seit Juni dieses Jahres frei. Damals verzichteten vier Funkprogramm-Zeitschriften ("Hör zu!«, »Radio Revue«, »Bild und Funk«, »Gong") auf den Abdruck des sowjetzonalen Bildschirm-Programms (SPIEGEL 25/1960).

Promoter der Aktion war Eduard Rhein, Chefredakteur von »Hör zu!«; dem größten aller Programmblätter. In der Branche kursierten alsbald Berichte über die Gründe, die mit dazu beigetragen haben mochten, daß Rhein auf das Ostprogramm - verzichten wollte: Das Ostprogramm wurde aus Berlin-Adlershof verhältnismäßig spät angeliefert. Mittlere und kleinere Programm-Zeitschriften brauchten keine Druckverzögerungen zu befürchten. Der termingerechte Druck der Drei-Millionen-Auflage von »Hör zu!« aber wurde zunehmend gefährdet.

Dieser Sachverhalt wurde freilich in der Öffentlichkeit nicht erörtert. Als »Hör zu!« den Abdruck des Ostprogramms einstellte, führte Rhein nur einen, den Hauptgrund, für die Maßnahme an: »Ehe unsere Programme nicht in der Sowjetzonen-Presse gedruckt werden, werden wir die Programme des sowjetzonalen Rundfunks und Fernsehens nicht mehr veröffentlichen!«

Wie kräftig man im »Hör zu!« - Verlag, dem Hause Springer, diese Linie zu verfechten gedachte, konnte den anderen Programm-Postillen nicht verborgen bleiben. Dr. Hans Funk, Verlagsdirektor im Hause Springer, nutzte seine vielfachen Funktionen in den Verbänden der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche, um die Kollegen anderer Verlage zu bewegen, ebenfalls auf den Abdruck der Ostprogramme zu verzichten.

Murrend folgten die kleineren Verlage den politischen Hinweisen aus dem Hamburger Zeitungs-Imperium. Die widerstrebend auf die Springer-Parole eingeschwenkten. Verleger (Kurt Müller:

»Ich fühle mich vergewaltigt") waren sich allerdings darüber im klaren, daß sie ihren Lesern keinen guten Dienst erwiesen. Die Unterhaltungsprogramme aus der DDR erfreuen sich, wie das Münchner Meinungsforschungs-Institut »Infratest« ermittelte, unter bundesdeutschen Zuschauern großer Beliebtheit.

Wie sehr westdeutschen Fernsehern daran gelegen ist, sich über die Sendungen aus der DDR zu unterrichten, zeigte sich alsbald: Viele Leser von Fernseh -Zeitschriften, die durch die Springer -Aktion ihrer gewohnten Orientierungshilfe beraubt wurden, wichen auf unscheinbare Bildschirm-Blättchen aus, die sich (wie beispielsweise das Kieler Blatt »Schalt ein") um die Springer-Regelung nicht scherten.

So reüssierte plötzlich in Hamburg das linksradikale »Blinkfüer«, das durch den Abdruck des, Ostzonen-Programms seinen Absatz verfünffachen konnte. »Blinkfüer«-Chefredakteur Ernst Aust:

»Wir kommen technisch kaum noch mit.«

Weit bedenklicher mußte die Verleger der großen Programm-Zeitschriften aber stimmen, daß sie sich im Sog der Springer-Politik eine Blöße im immer härter werdenden Konkurrenzkampf gegeben haben. Während der letzten Monate sind nämlich mehrere »artfremde Zeitschriften« (Müller) in das Geschäft der Programm-Ankündigung vorgestoßen, wie zum Beispiel die beiden Illustrierten »stern« und »Weltbild«.

Mithin nahm nicht wunder, daß die unfreiwilligen Programm-Abstinenzler zürnten. »Funk-Uhr«-Verlagsleiter Behnk: »Es ist ausgesprochener Mist, daß man den Leuten vorschreibt, was sie sehen sollen.« »TV Fernseh-Woche« -Verleger Müller: »800 000 Fernseher können das Ostprogramm sehen. Man kann sie nicht blind hineinlaufen lassen.«

Müller war es auch, der sich schließlich zum Ausbruch aus dem von »Hör zu!« formierten Verband entschloß. Von dieser Woche an sollte seine »TV Fernseh-Woche« wieder das Ostprogramm drucken.

Allein, eine einflußreiche Gruppe im Verband Deutscher Zeitschriften-Verleger war nicht geneigt, den Alleingang des rheinischen Verlegers widerspuchslos hinzunehmen. Auf Einladung des Springerschen Verlagsdirektors Dr. Funk versammelten sich, am Montag vergangener Woche Hamburger Verleger im Springerhaus und beschlossen, eine Reihe umsatzstarker Zeitungsgrossisten für den nächsten Tag nach Hamburg zu zitieren. 18 Grossisten eilten herbei und entwarfen im Hamburger Hotel »Berlin« die Boykottdrohung, nachdem Springer-Hauptvertriebsleiter Kripahle und Springer-Rechtsberater Arning die Lage erläutert hatten. »Die unterzeichneten Firmen lehnen es ab«, hieß es in der an Müller gerichteten Botschaft, »eine staatspolitisch nicht zu verantwortende Maßnahme zu unterstützen.«

Grollte Müller, nachdem er das Ostprogramm von den Tiefdruckzylindern hatte löschen lassen: »Man spricht von Politik und meint Kattun!«

TV-Verleger Müller

Fühlt sich vergewaltigt

»Blinkfüer": Absatzsteigerung durch Ostprogramm

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