Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
Fehlfarben - "26 1/2"
(V2/Rough Trade, 24. Februar)
Alte Punkerehre: Das 25-jährige Jubiläum haben die
Fehlfarben generös ausgelassen, anderthalb Jahre später erscheint "26 1/2" mit 18 Fehlfarben-Coverversionen von erwartbaren und ungewöhnlichen Gästen. Fink-Sänger Nils Koppruchs gespenstische Version von "Das sind Geschichten" gelingt, auch Schauspieler Peter Lohmeyer begreift "Magnificent Obsession", ohnehin einer der großartigsten Fehlfarben-Songs, instinktiv. Campino macht aus "Paul ist tot" erwartungsgemäß ein glanzloses Tote-Hosen-Stück, Francoise Cactus (Stereo Total) zerstört "(Geh) Du ran, Du ran" und Herbert Grönemeyer nimmt man bei aller Wertschätzung leider keine Sekunde von "Grauschleier" ab. Sehr bizarr übrigens, wie Blumfeld-Dichterfürst Jochen Distelmeyer sich schlauerweise ausgerechnet am eher unbekannten "Alkoholen", einer Beschreibung des Rauschs, versucht und am Ende ungeduldig "Wir haben Duuuurst!" grölt. Immer eine Bank: Sven Regener, der unter dem Signum Die falschen Farben "Der Himmel weint" interpretiert und Tocotronics Dirk von Lowtzow mit "Internationale" vom passablen letzten Fehlfarben-Album "Knietief im Dispo". Vollkommen grausam: Die ungewollte Hit-Single "Ein Jahr (Es geht voran)" mit T.V. Smith und Fehlfarben-Sänger Peter Hein. (5) Jan Wigger
Sparks - "Hello Young Lovers"
(Essential/Rough Trade, 24. Februar)
Der Einstieg in "Hello Young Lovers" ist fulminant: Natürlich heißt dieser maximal theatralische, dramatische und aufregende Song nicht "Mess Around" oder gar "Jump Around", sondern "Dick Around": Ein Monster, wie damals "Bohemian Rhapsody" von Queen. Dann "Perfume", beginnend mit einer Aufzählung von Oberflächlichkeiten wie in Bret Easton Ellis' Roman "Glamorama" - mit anschließender Auflösung: "Genevieve wears Dior/ Margaret wears Trésor/ Mary Jo wears Lauren/ But you don't wear no perfume/ That's why I wanna spend my life with you." Schon allein für "Kimono My House" und "Propaganda" (beide 1974) gehören die kalifornischen Brüder Ron und Russell Mael ewig gewürdigt, weshalb auch die eher uninspirierten Dramen "Here Kitty" und "As I Sit Down To Play The Organ At The Notre Dame Cathedral" auf dem neuen Album verzeihlich sind. Der unbedingte Wille zum Glam, zum Stil und zur Überhöhung des ewig einförmigen Alltags kann den
Sparks auch dieses Mal nicht positiv genug angerechnet werden. (6) Jan Wigger
The Television Personalities - "My Dark Places"
(Domino/Rough Trade, 24. Februar)
Man muss die
Television Personalities wohl noch einmal vorstellen, denn wie etwa Red Krayola, The Auteurs oder Mutter gehört auch das Lebensprojekt von Daniel Tracy zu jenen Bands, die zwar ungeheuer wichtig sind, aber von niemandem gehört werden. Also: Tracy, von Kurt Cobain über alle Maßen bewundert und mit zahlreichen privaten Problemen geschlagen, hat seit elf Jahren keine Platte mehr gemacht. Er singt ungefähr so wie Pete Doherty aussieht und ist der verehrte und oft bemitleidete Schmerzensmann und Überlebenskünstler aller Nerds und Sensibilisten. Vorsicht: Es ist kein Spaß, sich "My Dark Places" anzuhören, denn Tracy beschreibt das tägliche Scheitern unbeschönigt und explizit. Bei "All The Young Children On Crack" werden sich Klang-Fetischisten aufgrund der Lo-Fi-Ästhetik milde lächelnd abwenden, der rührende Schlussteil mit den Trennungsliedern "I Hope You're Happy Now", "No More I Hate You's" und "There's No Beautiful Way To Say Goodbye" ist grandios.
(7) Jan Wigger
The Broken Family Band - "Balls"
(Track & Field/Cargo, 24. Februar)
Eine schwierige Sache und eine schier unendliche Geschichte: der sogenannte Alternative Country und seine Chancen auf dem deutschen Markt. Man kennt die Menschen persönlich, die auf Clem-Snide-Konzerte gehen und die Jayhawks lieben, und man wird sie auf einem der womöglich eher schlecht besuchten Gigs der
Broken Family Band mit Handschlag und Geheimzeichen begrüßen können. Das Überraschende: Die Band, die von sich selbst sagt, Indie-Rock mit einem starken Hang zum Country zu spielen, kommt gar nicht aus Amerika, sondern aus dem englischen Cambridge. Umso erstaunlicher, dass das herzzerreißende "Alone In The Make Out-Room" frappierend an Emmylou Harris und Gram Parsons erinnert. Hinreichend amüsant ist übrigens auch die Rock-Version des Leonard-Cohen-Songs "Diamonds In The Mine". Wem "Balls" zusagen könnte? Vielleicht den rar gesäten Fans von Steve Wynn, Cracker oder Whiskeytown. (6) Jan Wigger
Billy Bragg - "Volume 1"
(Cooking Vinyl/Indigo, 3. März)
Mein Mann, der Kommunist. Vom einzigen noch lebenden Songwriter, dessen Gitarre schießen kann, gibt es nun das komfortable Box-Set "Volume 1". Vor gar nicht allzu langer Zeit erschien mit der Doppel-CD "Must I Paint You A Picture?" schon einmal eine kleine Werkschau des britischen Folksängers Billy Bragg , die aber nicht so umfangreich war, dass man deswegen die wundervollen frühen Bragg-Alben "Life's A Riot With Spy vs. Spy", "Brewing Up With Billy Bragg" und "Talking With The Taxman About Poetry" wieder vertickt hätte. In der länglichen "Volume 1"-Schachtel findet man diese drei CDs komplett, zusätzlich noch das Album "The Internationale" (1990) mit der Hommage an den durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Protestsänger-Kollegen Phil Ochs ("I Dreamed I Saw Phil Ochs Last Night") sowie die DVD "From The West Down To The East", die unter anderem ein Bragg-Konzert im Ost-Berlin von 1986 dokumentiert. Denen, die jetzt noch einsteigen wollen, seien noch einmal die berühmtesten, wenn auch eher ungewöhnlichen Bragg-Zeilen aus "A New England" mit auf den Weg gegeben: "I don't want to change the world/ I'm not looking for a new England/ I'm just looking for another girl." Zusatz: Viele, viele Extra-Tracks. (ohne Wertung) Jan Wigger
Bewertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)