Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche

Die Red Hot Chili Peppers vollbringen einen großen Wurf, die Raconteurs sind zu entspannt, Ron Sexsmith bleibt makellos, Black Heart Procession mögen es düster, und Tom Verlaine strickt an seiner Legende.

Red Hot Chili Peppers – "Stadium Arcadium"
(Warner Brothers, bereits erschienen)

Dem Hype soll man ja bekanntlich nicht glauben, und 28 Songs auf 2 CDs sind schon eine ganz schöne Packung. Aber die gute Nachricht ist: Die Red Hot Chili Peppers , mit 23 Jahren die dienstälteste Funkrock-Combo, hat das Wunder vollbracht. Auf "Stadium Arcadium" gibt es kaum Langeweile, kein Füllmaterial, aber dafür jede Menge potenzielle Hits (neben der Single "Dani California" u.a. "Charlie", "Make You Feel Better", "Snow") und einen staunenswerten Querschnitt durch die Fähigkeiten der vier Kalifornier. Die, namentlich Anthony Kiedis, Flea, John Frusciante und Chad Smith, haben bekanntermaßen viel durchmachen müssen, um jetzt - besser spät als nie -  ihre Superstar-Meriten zu genießen. Seit die Drogen-Probleme überwunden sind und der 1998 zurückgekehrte Gitarrist Frusciante auf der Höhe seines Könnens agiert, ist diese im Schmerz zusammengeschweißte Band fast unschlagbar. Angeblich hatte man 38 Songs für dieses Album parat, entschied sich aber schweren Herzens, auf zehn Titel zu verzichten – so viel zum Thema kreativer Output.

Innovationen sucht man auf "Stadium" dafür vergeblich. Zum Glück: Nach dem eher Rock-orientierten Album "By The Way" zelebriert die Band jetzt wieder ausgiebig die P-Funk-Wurzeln. Vor allem Frusciante glänzt mit seinen bisher besten und beeindruckendsten Soli, die von Lautsprecher zu Lautsprecher kariolen. Sänger Kiedis hat zwar immer noch ein Faible für Nonsens-Raps, präsentiert sich aber stimmlich auf ungeahnt hohem Niveau. In "Hump De Bump" zitiert er kongenial sein ewiges Vorbild Jimi Hendrix. Ist "Stadium Arcadium" ein zu pompöser Opulenz aufgeblasenes Alterswerk? Eben nicht! Zwar gibt es in "Hard To Concentrate" die bisher sanftesten und nachdenklichsten Lyrics der Peppers zu hören; ansonsten gibt sich die Band so clownesk, bissig und schwungvoll wie seit dem inzwischen mythisch verklärten "Blood, Sugar, Sex, Magik" (1991) nicht mehr. Nach "Californication" und "By The Way" ahnte man schon, dass die Red Hot Chili Peppers noch für mindestens einen großen Wurf gut sind - hier ist er. Und jetzt her mit den restlichen zehn Songs! (9) Andreas Borcholte

The Raconteurs – "Broken Boy Soldiers"
(XL Recordings/Beggars/Indigo, 12. Mai)

Eigentlich tritt die beste Supergroup der letzten Zeit ja im entzückenden Film "Shopgirl" auf: Ben Lees Ex-Freundin Claire Danes, der brillante Songwriter von Sun Kil Moon und den Red House Painters, Mark Kozelek, der immer gleichermaßen ergraute Steve Martin und Jason Schwartzman, früher Trommler bei Phantom Planet. Die Raconteurs  haben immerhin Jack White (The White Stripes), zwei blässliche Unbekannte von der Band The Greenhornes und Brendan Benson aufzubieten, der nach seinem Album "Lapalco" hätte berühmt werden können, sich aber mit seiner letzten LP verzettelte. "Broken Boy Soldiers" ist, wie White nicht müde wird zu betonen, eine Gemeinschaftsarbeit unter langjährigen Freunden, Benson ist zu 50 Prozent am Songwriting beteiligt. "Steady, As She Goes", die genialische, gut abgehangene Single, bleibt das beste Stück. Es gibt einerseits den hinlänglich bekannten Berufsirren Jack White auf "Broken Boy Soldier", andererseits den Beatles-Vernarrten Brendan Benson in "Together" und "Hands", den Blues und die Orgel. Zum Ende hin franst die Platte etwas aus und wird auch ruhiger. Man merkt schnell: Hier steht niemand unter Druck. (7) Jan Wigger

Ron Sexsmith – "Time Being"
(V2 Records/Rough Trade, 12. Mai)

Wenn einen der plötzliche und vollkommen unerwartete Tod des wundervollen, stets positiv gestimmten Go-Betweens Grant McLennan wie ein Blitz trifft, fragt man sich schon, wer jetzt eigentlich noch etwas über das neue Album von  Ron Sexsmith  lesen will. Tatsache ist: "Time Being" reicht zwar nicht ganz an das Meisterwerk "Retriever" heran, doch nur ein Narr würde ernsthaft behaupten wollen, dass der empfindsame Kanadier, der mehr Platten verkauft, als es die Legende vom kommerziell erfolglosen Kritikerliebling vermuten lässt, auch nur ansatzweise verlernt hat, wie man makellose Lieder schreibt. Volltreffer diesmal: Die grandiosen "Jazz At The Bookstore" und "Reason For Our Love", das konzise "Some Dusty Things", und natürlich "Snow Angel", das den Schmelz und die Wehmut alter Sexsmith-Großtaten wie "Strawberry Blonde" oder "Riverbed" in sich trägt: "Strange how their love bloomed in the winter/ Only to vanish in the spring/ It never fails to make him shiver/ To see the outline of her wings." Man wird nie darüber hinwegkommen, dass nichts und niemand für immer bleibt. (8) Jan Wigger

The Black Heart Procession – "The Spell"
(Touch And Go/Soulfood, bereits erschienen)

Mit jeder Platte der großartigen, wenig beachteten Black Heart Procession  wird die Wiederkunft der großartigen, wenig beachteten Songzertrümmerer Three Mile Pilot unwahrscheinlicher. Bis auf weiteres tanzt deren Sänger und Songwriter Pall Jenkins lieber den morbid schunkelnden Todeswalzer mit sanft dräuendem Piano und sinistren Oden an die Lichtlosigkeit. Aus Jenkins wird in diesem Leben kein glücklicher Mensch mehr, doch seine Melodien sind kathartisch und, man bringt es kaum über die Lippen, beinahe erhebend. Das Stück "The Letter" ist Palls weitestmögliche Annäherung an den Pop, "The Waiter #5" so bezaubernd trist wie ein beliebiger Song der beiden ersten LPs dieser spukhaften Band aus San Diego. Schwer einzuschätzen, in welcher Schaffensperiode die Black Heart Procession eigentlich am besten war, doch eines ist gewiss: In den beklemmendsten Filmen von Kiyoshi Kurosawa würde diese Musik ihr Zuhause finden. (8) Jan Wigger

Tom Verlaine – "Songs And Other Things"
(Thrill Jockey/Rough Trade, bereits erschienen)

Schwer zu sagen, wen das verblüffende und einfach nicht kopierbare Gitarrenspiel des Television-Sängers Tom Verlaine   nicht alles beeinflusst hat: Patti Smith verehrt den Freund und Kollegen als Quell niemals versiegender Inspiration, die Feelies, Sonic Youth und natürlich die Strokes dürften der Kunstfertigkeit des New Yorkers einiges zu verdanken haben. Und auch die Gitarre auf Blumfelds "Weil es Liebe ist" klingt nach Televisions eher unbekanntem Stück "1880 Or So" auf "Television" (1992). Einer der genialsten und berührendsten Verlaine-Songs, "The Scientist Writes A Letter" vom Album "Flash Light" (1987), illustriert den Stand der Dinge auch heute noch vortrefflich: Verlaines stimmliche Möglichkeiten sind begrenzt, doch als sprechsingende Legende bleibt er unübertroffen. Auf "Songs And Other Things", Verlaines erstem Album mit Gesang seit 16 Jahren, spielt auch Television-Bassist Fred Smith mit, und besonders "The Earth Is In The Sky" ist meisterlich ausgefallen. Zusätzlich veröffentlicht Verlaine das akkurate Instrumental-Album "Instrumentals Volume II" – ideal für Menschen, die sich für Instrumental-Alben interessieren. (7) Jan Wigger


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