Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
Kings Of Leon "Only By The Night"
(RCA/Sony BMG, 19. September)
Die Auskünfte der Privilegierten, die das Album schon ganz früh hören durften, waren verwirrend: Klingt jetzt wie The Killers, wie Radiohead, wie U2, wie Terence Trent DArby, wie AOR, wie Stadionrock, jedenfalls nicht mehr wie die Kings Of Leon. Weil sie aber schon auf ihrem phantastischen, wie zähe Lava fließenden Album "Because Of The Times" nicht mehr klangen wie sie selbst, ist der Sprung zu "Only By The Night" kein großer: Bei "Seventeen", das - natürlich - von einem siebzehnjährigen Mädchen handelt, klingeln die Glocken, in "Crawl" spielt Jared Followill den Bass so gemeingefährlich wie selten zuvor, und das schleppende, lauernde "Closer" hat denselben lasziven Leidensgesang wie "Trani", jenes teuflische Stück von "Youth And Young Manhood", das selbst Bob Dylan zum Bewunderer des Followill-Clans aus Tennessee machte.
In "Manhattan" (und anderswo) gibt es dann tatsächlich die The-Edge-Gitarre, und mit "Sex On Fire" diesmal auch eine erste Single, die mehr bewirken wird als das für die Massen ungeeignete "On Call" aus dem vergangenen Jahr. So uninspiriert und lahm wie in "I Want You" klangen die Kings allerdings auch noch nie. Man könnte einige Momente in "Manhattan", in "Revelry" oder "Cold Desert" fast schon besinnlich nennen, wenn man nicht genau wüsste, dass dicht unter der Oberfläche der Wahnsinn wütet. "Jesus dont love me/ No one ever carried my load." So ist das eben, wenn man qua Geburt zum Christentum gezwungen wird. (8) Jan Wigger
PeterLicht - "Melancholie & Gesellschaft"
(Motor/Edel, bereits erschienen)
Der große Unbekannte ist PeterLicht nicht mehr, seit er im Herbst vergangenen Jahres auf Tournee ging und endlich sein Gesicht zeigte. Beim Bachmann-Preis und bei Harald Schmidt war der Kölner Liedermacher auch zu sehen, allerdings mit abgeschnittenen Gesicht - der Alptraum jedes Medienprofis. Und genau dieses Image pflegt PeterLicht mit ungebrochener Lust. Bejubelt wurde sein vorangegangenes Album "Lieder vom Ende des Kapitalismus", das er auch gleich noch mit einem Begleitbuch flankierte - der Künstler als Multitasker, Angriff auf allen Plattformen. Und nun, mit einer Hommage an das große Fehlfarben-Album "Monarchie und Alltag" im Titel, der Rückgriff aufs Wesentliche: "Melancholie & Gesellschaft" beginnt mit der lieblich perlenden Piano-Melodie von "Räume räumen", einem geradezu herzergreifenden Stück, in dem PeterLicht vom Zyniker zum Lebensbejaher wird; das "Nein, nein, nein, nein" im Anfangschor ist am Ende ein affirmatives "Ja, ja, ja, ja".
Hat dem Elektrofrickler und Eremiten wohl gutgetan, das Live-Spielen mit Band, das Erleben von Echtheit und Publikum auf der Bühne. Neue, klassisch mit Klavier, Gitarre, Bass und Schlagzeug instrumentierte Stücke wie "Alles was Du siehst gehört Dir", "Dein Tag" und das etwas gewollt idiotische "Trennungslied" verfügen über PeterLichts übliche Idiosynkrasie, aber auch über den handfesten Pop-Appeal von Aphoristiker-Kollegen wie Rainald Grebe. Das ist neu und erfrischend und macht Protestsongs über das absurde Alltagsleben und die tägliche Selbstinszenierung ("Marketing", "Beipflichten") umso zugänglicher. "Bedeckte Körper sind in Ordnung/ Kleidung ist in Ordnung" ruft dieser Querschläger des deutschen Pop den Nippel- und Nacktheitsfanatikern aus Werbung und Medien im wunderbar rockenden "Stilberatung/Restsexualität" zu. Ihm selbst hat der Schritt ins Rampenlicht zu neuer Schärfe und Klarheit verholfen. (8) Andreas Borcholte
Wovenhand "Ten Stones"
(Sounds Familyre/Cargo, 12. September)
Man liest drei, vier Zeilen und weiß sofort, wer sie verfasst hat: "This weary melody ends/ The host of heaven descends/ Down beneath this bleeding ground/ Behold the lamb." Es handelt sich wieder einmal um David Eugene Edwards: Sänger von 16 Horsepower, Enkel eines Nazarener-Priesters, Pharao des Schmerzes, unduldsamer Exorzist und Urheber von Musik, die im besten Falle so unbarmherzig und erhebend ist wie eine imaginäre Zusammenarbeit von Black Heart Procession, Birthday Party, Julian Cope und Johnny Cash. Wie ein Zerberus beißt sich Edwards alias Wovenhand durch "White Knuckle Grip", schwingt unheilvoll "The Beautiful Axe" und kennt das böse Ende von Anfang an: Kein Stein bleibt auf dem anderen. Jedoch hat sich unter die Verkündungen meist biblischen Ausmaßes mit Antonio Carlos Jobims "Quiet Nights Of Quiet Stars" auch ein Erlösungslied gemischt: "I was lost and lonely/ Believin life was only a bitter tracic joke/ I found with you the meaning of existence/ My love." Nach menschlichem Ermessen die zweitbeste Wovenhand-LP nach "Blush Music". (8) Jan Wigger
Kimya Dawson "Alphabutt"
(K Records/Cargo, 12. September)
Ja, mit einem Albumtitel wie "Alphabutt" und Songs, die "Pee-Pee In The Potty", "Little Panda Bear" und "Seven Hungry Tigers" heißen, macht das Musikhören wieder Spaß. Zudem ist "Alphabutt", ein Konzeptalbum mit Kinderliedern, glücklicherweise nicht von Nena erdacht worden, sondern von Adam Greens ehemals bester Freundin Kimya Dawson. Doch so großartig ihre unbefangenen Liedchen zum "Juno"-Soundtrack passten, so unerfreulich ist das Gequäke und Gejohle von Dawsons kleinen Freunden, die in Rolf-Zuckowski-Manier an der Platte teilhaben dürfen. Singt Dawson allein, schafft man mehrere Songs am Stück, dürfen die Kinder mitklöppeln und dazwischenblöken, ist man schon froh, wenn wenigstens der eine Song in absehbarer Zeit zu Ende geht. Auf die Dauer so unerträglich wie die penetrant gutgelaunte Hauptdarstellerin aus Mike Leighs Film "Happy-Go-Lucky". (4) Jan Wigger
Bomb The Bass "Future Chaos"
(K7/Alive, 19. September)
Nicht zu glauben, wer dieser Tage so alles wiederkommt: Auf dem Pressefoto zur kommenden Tour hat sich ein Mitglied von Kajagoogoo seine drei noch verbliebenen Haare zu einem jämmerlichen Iro hochgekämmt, und auch die windelweichen Hardrocker von Extreme vermelden das erste Studioalbum seit ungefähr anderthalb Jahrzehnten. Tim Simenon (Bomb The Bass) galt seit Mitte der Neunziger mehr oder weniger als verschwunden, doch sein Hit-Monster "Beat Dis" aus dem Jahr 1988 überlebte Acid-House, Smiley-T-Shirts und S-Express. Heute sampelt Simenon nicht mehr, sondern lädt Gäste wie Fujiya & Miyagi, Jon Spencer und Mark Lanegan, die seine nun beinahe minimalistischen, unaufgeregten Elektro-Pop-Tracks begleiten. Am besten: Das wehmütige "No Bones". (6) Jan Wigger
Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)