Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche

Nie waren a-ha so wohltuend wehmütig wie auf ihrem Debüt, meint Jan Wigger. Spandau Ballet dürfen in dieser Achtziger-lastigen Ausgabe von "Abgehört" ihre Manschenttenknopf-Melodien vortragen, mit Mike Oldfield geht's auf einen Pferderücken. Und Propagandas Maschinenkälte? Ist: Propaganda.

a-ha - "Hunting High And Low", "Scoundrel Days"
(Reissues, Rhino / Warner)

Bedenkt man, was danach kam, muss man heute fast dankbar sein für Bros, Johnny Hates Jazz und Living In A Box. Doch als a-ha vor 25 Jahren mit "Hunting High And Low" begannen, wussten wir noch nichts von Mola Adebisi, Lou Pearlman, dem Revival der Pluderhose, Picnic At The Whitehouse und dem gerissenen Ben Volpeliere-Pierrot, der auch mal mitmachen durfte und nach wenigen Monaten wieder verschwand. "Hunting High And Low" war eine besondere Platte: Schon so früh in ihrer Karriere spielten a-ha wohltuend wehmütigen Erwachsenen-Pop, der auch Backfische und Jungexistenzialisten ansprach. "Hunting High And Low" bleibt ihr monumentalster Song, "Living A Boy's Adventure Tale" und "Here I Stand And Face The Rain" waren ähnlich grüblerisch. Mit den heller gefärbten "Take On Me" und "Love Is Reason" aber hielten a-ha die Balance. Nur ein Jahr später erreichten die Norweger auf "Scoundrel Days" eine seltsame Endgültigkeit und Tiefe: Das gekränkte Abschiedspoem "Manhattan Skyline", das tatsächlich böige "The Weight Of The Wind", "I've Been Losing You" und die Pop-Finesse von "October", natürlich ein Pal Waaktaar-Song. Während sich das Bonusmaterial auf "Scoundrel Days" bis auf einen unbekannten Song im gebräuchlichen Rahmen bewegt ("Guitar Version", "Octocon Studio Demo", "Demo #3" usw.), wurde an "Hunting High And Low" ein komplettes Album mit B-Seiten und "previously unissued material" angehängt. Und sagen wir mal so: Dass man von "Dot The I" und "You Have Grown Thoughtful Again" erst jetzt erfährt, stört keinen großen Geist. "Hunting High And Low" (8), "Scoundrel Days" (8) Jan Wigger

Mike Oldfield - "Ommadawn (Deluxe Edition)"
(Mercury / Universal)

Nie sah der englische Glöckner Mike Oldfield besser aus als auf dem Cover seiner dritten LP "Ommadawn", und vielleicht hat er auch nie wieder etwas Rührenderes geschrieben als das kurze "On Horseback", das diese Platte mit Waldflöte, Zupfgitarre und Kinderchor beschließt. Die alte Vinyl-Ausgabe vergilbt langsam, doch dieses eine Gruppenbild, das Oldfield mit der Hereford City Band, den Flötisten, Trommlern, Kindern und den restlichen Musikern zeigt, ist hier noch größer und schöner. Acht Jahre zuvor wählte die Incredible String Band für das Cover von "The Hangman's Beautiful Daughter" eine ganz ähnliche Fotografie. Auf die genialische Instrumental-Collage "Tubular Bells" ließ Oldfield das weniger dogmatische, luftigere "Hergest Ridge" folgen, nur um danach wieder etwas ganz anderes zu machen. "Ommadawn" war mehr Meditation als Album, die wenigen Stücke schienen endlos, entscheidende Motive kehrten immer wieder, und Oldfield verband Keltisches, Osteuropäisches, Afrikanisches und das, was Jahrzehnte später im Spinner-Folk (oder bei Enya) wieder auftauchte, vollkommen mühelos. Dann kam Punk, dann die Schwätzer, die Oldfield zwar irgendwie peinlich fanden, aber auch nur das Radiomaterial ab "Moonlight Shadow" aufwärts kannten. Statt mit Kevin Ayers, Mick Taylor oder Steve Hillage von Gong arbeitete Oldfield viel, viel später lieber mit der Schneegans Bonnie Tyler. "Ommadawn" ist sein Meisterwerk. Zusätzliches Material: vier Bonustracks, Videos, "Ommadawn" im 2010-Remix und in der "Lost Version". (9) Jan Wigger

Spandau Ballet - "True", "Parade"
(Reissues, EMI)

Mit einer Handvoll großartiger Songs bewarben sich die britischen Ästheten Hurts erst kürzlich als Nachlassverwalter fast aller Musiker, die Anfang und Mitte der Achtziger eine noch bessere Frisur trugen als Michael Score, der aalglatte Anführer von A Flock Of Seagulls. Während Score oberhalb der Augenbrauen aussah wie ein Pferd, kam Tony Hadley die Rolle des adligen Handlungsreisenden zu, der mit Stecktüchlein, Manschetten und Wundergel die clevere Tränenballade "Through The Barricades" so glaubhaft vortrug, dass drei Jahre später die Mauer fiel. Weitaus früher erschien "True", das beste Album von Spandau Ballet. Die geschliffenen, gern "Edelpop" genannten Kompositionen von Gitarrist Gary Kemp saßen wie ein Anzug von Umberto Angeloni: "Pleasure", "Communication", "True", das unschlagbare "Gold". Daneben auch Belangloses, wie auf der nächsten, nicht mehr ganz so guten LP "Parade". Hier gelang Kemp noch das famose "Round And Round", "Only When You Leave" und zwei weitere Singles sowie die groteske Textzeile "She used to be a diplomat / Now she's down the laundromat." Zusatz: Live-Konzerte auf CD und DVD, Maxi-Versionen und Remix-Schrott. "True" (6), "Parade" (5) Jan Wigger

Propaganda - "A Secret Wish"
(Salvo / Soulfood Music)

Über Doro Pesch und Günter Thiele hätte man sie fast vergessen: die anderen, ambitionierteren Töchter und Söhne Düsseldorfs. Propaganda. Denn Kraftwerk kommen auf "A Secret Wish" ja von ganz allein vor, und für Campino ist das eher nichts. Neben "Dr. Mabuse" und dem wunderbar gesungenen "Duel" bleiben von Propaganda vor allem die bizarren Videos und das strenge Gebaren von Susanne Freytag und Claudia Brücken in Erinnerung. Aber auch die damalige Annahme, dass "A Secret Wish" bestimmt auch ein Vierteljahrhundert nach seiner Veröffentlichung noch so maschinenkalt modern klingen wird wie im Sommer des Jahres 1985. Tut es aber nicht. In jeder Sekunde von "The Chase" oder "p:Machinery" wird unzweifelhaft deutlich, wann die Tracks der einzigen nennenswerten Propaganda-Platte entstanden sind. Trevor Horn, der sich wie Quincy Jones von der Band begeistern ließ, die Produktion von "A Secret Wish" aber aus Zeitgründen (Frankie Goes To Hollywood!) an Sidekick Steve Lipson abgeben musste, übertrieb dann auch gleich mal ein wenig: "If you listen to Michael Jackson around that time, he started to sound a lot like Propaganda. A lot of industrial sounds." Bonus: Outtakes, Remixe und der "20-minute cassette mix of 'Duel'". (6) Jan Wigger


Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)

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