Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche

Iron Maiden ist die wohl größte Heavy-Metal-Band, die nach Black Sabbaths Ableben geblieben ist, stellt Jan Wigger fest. Aber wann machen sie mal wieder eine gute Platte? Andreas Borcholte freut sich über den neuen Optimismus von Eels und streift mit !!! durch Berliner Clubs.

Iron Maiden - "The Final Frontier"
(EMI, bereits erschienen)

Eine Rangliste der gelungensten Langspielplatten von Iron Maiden zu erstellen, ist ein zweckloses Unterfangen: Bis einschließlich "Seventh Son Of A Seventh Son" hat diese Band nur Meisterwerke eingespielt und ist nach dem endgültigen Ableben von Black Sabbath (Ozzy Osbourne schwachsinnig, Ronnie James Dio tot) die vielleicht größte Heavy-Metal-Band aller Zeiten. Mit Blaze Bayley verpflichtete man für fünf Jahre den Wolfgang Lippert des Metal, doch das scheint ewig her: Sänger Bruce Dickinson, den Menschen mit geölten Ohren gerne Gott nennen, ist nun schon über ein Jahrzehnt zurück. Weil es dem großen Alchemisten Steve Harris nicht gelang, das Produzenten-Genie Martin Birch zu klonen, klingen alle Maiden-LPs seit "No Prayer For The Dying" (gleichnamiges Stück überragend, Rest bemitleidenswert) irgendwie dumpf und benommen. So auch "The Final Frontier", das uns jedoch mit dem besten Songmaterial seit "Brave New World" versöhnt. Iron Maiden, deren putzige Anachronismen in der Vergangenheit nur noch durch das Gebaren ihrer eigenen Anwälte übertroffen wurde, stellen hier ihre unauslöschbare Liebe zum Prog-Rock, zu Jethro Tull, Yes und Genesis aus, was dazu führt, dass Dave Murrays "The Man Who Would Be King" etwas zu lang, das vorzügliche "When The Wild Wind Blows" mit knapp elf Minuten sogar noch etwas zu kurz ausfiel. Der etwas gezwungen wirkende technoide Beginn von "Satellite 15... The Final Frontier" (im Ernst: wie Fear Factory als Schülerband) bleibt ein Rätsel, das abgedroschene"El Dorado" erfüllt die seit 1988 bekannte Auflage: Der mieseste Song ist automatisch erste Single. Auch das Artwork wird mit jeder neuen Platte lausiger, doch wen kratzt schon Eddies neue Hässlichkeit, wenn Adrian Smith und Steve Harris sich noch einmal ein gefährlich schlingerndes Epos wie "Isle Of Avalon" abringen? "The gateway to Avalon/ The island where the souls of dead are reborn/ Brought here to die and be transferred into the earth/ And then for rebirth." Hä? (7) Jan Wigger

!!! - "Strange Weather, Isn't It?"
(Warp/Rough Trade, 20. August)

Ein Viertel der neuen !!!-Platte (für alle, die diese Band immer noch nicht kennen: !!! spricht sich "chk chk chk" aus) entstand in Berlin, was die betreuende Promotion-Firma gleich dazu verleitete, ganz große Register zu ziehen: Iggy Pop, David Bowie, Depeche Mode seien ja auch in die - damals noch geteilte - deutsche Hauptstadt gekommen, um angesichts der historischen Klüfte die eigenen Abgründe auszuloten. Im Jahr 2010 ist Berlin natürlich ein weniger düsterer Ort, aber dafür eine international anerkannte Clubmusik-Metropole, was für einen ehemaligen Dance-Punk-Act wie !!! natürlich attraktiv ist. Abgründe jenseits von Tanzkellern ausloten muss die Band aus Sacramento nicht zwingend in Deutschland. Nach dem Weggang dreier Bandmitglieder und dem tragischen Tod des Drummers Jerry Fuchs musste sich die Gruppe nahezu komplett neu aufbauen, was zur Folge hat, dass "Strange Weather, Isn't It" tatsächlich große Unterschiede zum Vorgänger "Myth Takes" (mit dem Hit "Heart Of Hearts") aufweist. Die präzisen, statischen Math-Rock-Elemente sind einem homogenen, flüssigeren Sound gewichen, der eine ungewohnt lockere Atmosphäre suggeriert. Ungehemmt lassen Offer und seine verbliebenen Mitstreiter hier einem weitgehend positiv aufgeladenen Pop-Sound freien Lauf, der jedem Gerede von Düsternis und Seelenqual zu widersprechen scheint, angefangen beim entspannten Funk von "AM/FM" über die Afrobeat- und Jazz-Spielereien von "Jamie, My Intentions Are Bass" bis zum Old-School-Breakbeat von "Hollow" und dem Techno-Attentat von "Hammer". Die Platte umgebe dennoch eine gewisse Dunkelheit, sagt Offer, sie zeige "immer nur dass, was sie zeigen will". So bleibt als roter Faden dieser bemerkenswerten Band, die so wenig zu fassen ist wie ihr Name, eine unheimliche Konzentration und Spannung, die sich bisher durch alle !!!-Stücke zog und bei aller unbeschwerter Zappelei im Club für einen Rest Unbehagen sorgte. Wie in Berlin eben. (7) Andreas Borcholte

Eels - "Tomorrow Morning"
(E Works/Cooperative Music, 20. August)

"Can't wait until tomorrow/ The things that we'll do/ And this is where it gets good", singt Mark Oliver Everett alias Eels in einem seiner neuen Songs: Erstaunlich, der Mann freut sich auf die Dinge, die da kommen! Was für andere Leute wie ganz normaler Optimismus klingt, ist für Everett wahrscheinlich so etwas wie ein Kraftakt, wenn nicht, wie in "Mystery Of Life" angedeutet, eine echte Epiphanie: "Ghosts flying all around my life/ Sent a message bold and bright/ Good morning, mystery of life". Über Jahre hinweg galten Eels als Inbegriff für Kummer, Schmerz, Selbstzweifel und Lebensangst, mit Everett, der Anfang des Jahrzehnts fast seine gesamte Familie an Krankheit, Selbstmord und andere Unglücke verlor, als zentraler Schmerzensfigur. "Tomorrow Morning" ist nun der Abschluss einer Trilogie, die mit "Hombre Lobo" und "End Times" vor knapp zwei Jahren begann und noch einmal Themen wie Sehnsucht, Verlust und Trauer verarbeitete. Das neue Album sei nun die lang erwartete Erlösung von allen Qualen, der befreiende Blick aus der düsteren Vergangenheit in eine vielleicht verheißungsvolle Zukunft. Auch das Instrumentarium änderte Everett, um diesem Ausbruch positiver Lebensenergie Nachdruck zu verleihen: Luftige elektronische Klänge bestimmen das Klangbild, jubilierende (Synthie-)Bläser begleiten das hymnische "Oh So Lovely", in dem es heißt: "I feel my life changing/ In oh so mysterious ways". Was Everett, der einst als komischer Kauz begann und seine Seele mit Novocain betäuben wollte, im Laufe seiner Karriere gelang, ist, dass man sich um ihn sorgt, ihm Besserung und Wohlgefühl so sehr gewünscht hat. So freut man sich umso aufrichtiger, wenn sich der traurige Nacktmull von damals nun für einen lustigen Kolibri hält ("I'm A Hummingbird"). Geblieben sind die kreiselnden kleinen Jahrmarktmelodien, die jedes Lied zu einem unverkennbaren Eels-Song machen. Einer von ihnen heißt "I Like The Way This Is Going". Wir auch. (8) Andreas Borcholte

Zola Jesus - "Stridulum II"
(Souterrain Transmissions, 20. August)

Was passiert, wenn man sich mit der Lyrik gar nicht erst beschäftigt, und auch die Musik eher so nebenbei laufen lässt, zeigte sich zuletzt beim Durchblättern verschiedener Stadtzeitschriften: Plötzlich hatten Arcade Fire mit "The Suburbs" ihre vergnügteste, lebensfroheste Platte aufgenommen. Ihr Partyalbum! Bei Zola Jesus sind Verwechslungen ausgeschlossen: Zwar wird erstaunlich oft von Glaube und Liebe gesungen, doch die bedrückend-monotone Grundstimmung von "Stridulum II" kennt man von einigen Platten der Supernihilisten Swans, und da war es ja spätestens bei den Texten meist aus mit der Hoffnung. Auch der Informant der Plattenfirma zittert: "Zola Jesus ist das Projekt der 20-jährigen, russisch-stämmigen Nika Roza Danilova, die in ihrer Musik den nahenden Weltuntergang gleichermaßen bekämpft und heraufbeschwört." Was wird man machen aus dieser Frau? Die russische Siouxsie Sioux? Luzifers Antwort auf t.A.T.u? Jedenfalls dürfte Danilova in Rekordzeit weite Teile von No Wave, New Wave und klassichem Industrial studiert haben. Eine Platte, zu der man keine Gäste einlädt. She's the last mistake we made. (7) Jan Wigger

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