Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
xrfaRflight - "Under The Spell Of The Cyclop's View!"
(Hafenschlammrekords/Cargo, 4. März)
Dass hier ausgerechnet die altehrwürdige "Süddeutsche Zeitung" in betulicher Lieschen-Müller-Diktion von einer "musikalischen Wundertüte" spricht, sollte designierte xrfaRflight-Hörer nicht verschrecken: Wenigstens ist die Tüte nicht "kunterbunt", "prall gefüllt" oder gar ein "musikalischer Bauchladen"! Dennoch gibt es sorglosere Verpflichtungen, als den Sound von xrfaRflight zu kategorisieren: Während der unangenehm affektive Emo-Pop von Jupiter Jones so klingt, als hätte man Hans Hartz mit dem späten Klaus Lage gekreuzt, fällt bei xrfaRflight schon zum zweiten Mal all das zusammen, was man einmal anbetungswürdig fand: Gebremste, mathematisch genau gesetzte Sonic-Youth-Gitarren, um die Ecke gedachte Deerhoof-Schnittmuster, gebrochene Blüten und der psychedelische Zauber von Camel oder Caravan. Bevor in den bedrückten, gleich aufeinanderfolgenden "Sun/Moon" und "Embryo & Janitor" das großen Sirren und Erzittern beginnt, meint man für kurze Momente sogar, einen jungen Kevin Ayers singen zu hören. Und ist nicht das, was "Whatevershebringswesing" oder "Bananamour" so gewaltig machte, auch das, was "Under The Spell Of The Cyclop's View!" umschreibt? Das selbstlose Wandeln über allen Erwartungen. Es gibt schon wieder einen Grund, nach Hamburg zu schauen. (8) Jan Wigger
Keren Ann - "101"
(Capitol/EMI, bereits erschienen)
Vor ein paar Jahren, auf ihrem ersten englischsprachigen Album, sang Keren Ann noch naiv-kokett "I'm not going anywhere", aber die in Paris, Tel Aviv und New York lebende Musikerin ist dann doch ganz schön weit gekommen. Zusammen mit ihrem Kumpel Benjamin Biolay, der auch ihre ersten beiden Platten betextete und produzierte, nahm die Niederländerin Keren Ann Zeidel eine Schlüsselposition in der Neuerfindung des französischen Chansons Anfang des Jahrtausends ein, ihr Renommee in der Grande Nation ist so groß, dass sie 2008 sogar das gesamte Klangbild des TV-Senders Arte umgestalten durfte. Doch ihr Ansatz war schon immer internationaler, und mit "101" wagt sie nun endgültig den Sprung in Regionen, die von bekannteren Konkurrentinnen wie Suzanne Vega, Beth Orton oder anderen Vertreterinnen der Carole-King-Schule seit langer Zeit gut besetzt sind. Zeidels Vorteil ist, dass sie nicht nur posiert, wenn sie sich auf dem Cover der CD mit einer Pistole zeigt, sondern auch die nötige Munition in Form guter Songs besitzt, um aus der Masse herauszuschießen. Mit melancholisch-distanzierter Stimme erzählt sie eindrückliche Geschichten aus dem Alltag der Tristesse: "All The Beautiful Girls" berichtet vom Frust einer betrogenen Ehefrau, das Amazonen-Manifest "Sugar Mama", im flottem Sixties-Beat, bildet gleich danach das Komplementärstück dazu: "I wanna use you and abuse you, you ain't got too much to lose". "She Won't Trade It For Nothing" ist eine der schönsten Balladen, die Aimee Mann nie geschrieben hat, "Blood On My Hands" übersetzt eine Tarantino-Rachephantasie in burlesken Fifties-Schlagersound. "My Name Is Trouble" singt Keren Ann im Opener auf einem Disco-Rhythmus. Schwierig an diesem Album ist höchstens, dass die begabte Zeidel zu viele Stile beherrscht und sich besser für einen entschieden hätte. Ansonsten: Closer to the stars. (6) Andreas Borcholte
Gilbert O' Sullivan - "Gilbertville"
(Hypertension Music/Soulfood, bereits erschienen)
Man hätte erwarten können, dass Gilbert der Große im Alter etwas tutig und betulich wird. Zumindest ließ er sich in Sachen Artwork ähnlich schlecht beraten wie Chris Rea, Chris de Burgh oder Rod Stewart, der uns auf dem Cover der Best-Of-Edition seiner übermäßig erfolgreichen Reihe "The Great American Songbook" noch einmal nachdrücklich zeigt, wie es so ist, alles voll im Griff zu haben. Gilbert O'Sullivan lehnt für "Gilbertville" lässig an einem fliegenden Klavier: Reminiszenz und Grußadresse an die famosen frühen Alben "Himself" (1971) und "Back To Front" (1972), auf denen der Meister zarten Schmelz, Burlesken und sehr aufrichtige Liebeslieder am Piano mischte. "Missing You Already" ist feinster Kitsch, "The Allergy Song" die metaphorische Betrachtung allzu menschlicher Idiosynkrasien und "Where Would We Be (Without Tea)" eine etwas wundersame Abhandlung über Teesorten, die beginnt wie "Alone Again (Naturally)" vor knapp vierzig Jahren. Insgesamt solides, gediegenes Spätzeugnis der furchtlosen Romantik, dessen Anzahl an Beats pro Minute jedoch viel zu gering ist, um polnischen EBM und "Thunderdome Vol.4" aus den Nachbarwohnungen zu übertönen. (6) Jan Wigger
Triumph - "Diamond Collection - 10 CD Vinyl Replica Box Set
(Frontiers/Soulfood, 4. März)
Wären die Dinge so gelaufen, wie es sich gehört, dann würden die "Allied Forces"-Klassiker "Ordinary Man" und "Magic Power" sich schon seit Jahrzehnten einen Thron mit "Don't Stop Believin'" (Journey), "Carry On Wayward Son" (Kansas), "Only You Can Rock Me" (UFO) und "Renegade" (Styx) teilen. Es begab sich aber, dass Rick Emmett, Gil Moore und Mike Levine in Toronto, Ontario zusammen fanden und somit das gleiche Schicksal wie Anvil oder Rush (in ihren Anfangstagen) teilen mussten: Wer aus Kanada kam, konnte die universale Erlösung durch Rock'n'Roll, so das Klischee, einfach nicht leisten. Ich musste, dem großen Online-Händler abgeneigt, bis nach Südkorea fliegen, um ein adäquates Vinyl-Exemplar von "Never Surrender" zu bekommen: 20.000 Won, vergilbte Ecken, "A Minor Prelude" leicht zerkratzt. Dem italienischen Label Frontiers gelang es nun, sämtliche Studioalben mit Rick Emmett ("Edge Of Excess", das einzige ohne ihn, ist zu vernachlässigen) und das Live-Dokument "Stages" in einem erschwinglichen Box-Set zu versammeln. Triumph hatten nicht nur den unwahrscheinlichen Zusammenklang der Stimmen von Rick Emmett und Gil Moore, sondern auch Emmetts waghalsige Soli, die zumindest so taten, als könne man sie drei Jahrzehnte später in einem Atemzug mit Michael "Gott" Schenker nennen. Auf "Allied Forces", "Progressions Of Power" und "Just A Game" zockten Triumph exakt die Musik, die gern in locker rooms gespielt wird, kurz bevor Freddy Krueger, Jason Voorhees oder Julia Cotton zuschlagen. Bei Martin St. Louis: Investieren sie jetzt! "Triumph" (7), "Rock & Roll Machine" (7), "Just A Game" (8), "Progressions Of Power" (7), "Allied Forces" (8), "Never Surrender" (8), "Thunder Seven" (6), "The Sport Of Kings" (6), "Stages" (7), "Surveillance" (6). Jan Wigger