Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
The Human League - "Credo"
(Wall Of Sound / Rough Trade)
Und abermals sind wir Erdenkinder dem großen Seher Oliver Geißen zu Dank verpflichtet: Für "Die erfolgreichsten Synthie-Pop-Hits" grub er nicht nur Jona Lewie wieder aus, sondern begrüßte auch The Human League auf seinem Foltersofa. Sie sahen genauso aus wie 1981 - nur dreißig Jahre älter. Hätte ich eine Ahnung davon, wie man die Repeat-Funktion eines herkömmlichen CD-Spielers auf mehrere Tracks ausweitet, würde ich den lieben langen Tag nichts anderes tun, als das unerwartet großartige Dreigestirn "Sky", "Into The Night" und "Egomaniac" von "Credo" zu hören. Das einerseits unterkühlt Herrische, andererseits Verlorene, das "Dare" vor drei Dekaden so unabweisbar machte, hat besonders in "Sky" keinerlei Patina angesetzt: "And she talked / And she smiled / Little more than a child / And the cares of my life / Went away on that day / In that room / Coming out of the gloom / And the gift that she gave / Followed me to the grave." Bester Human-League-Song seit "These Are The Days" von "Octopus". Doch lassen Sie sich vom nachtschwarzen Glanz einzelner Stücke nicht blenden: Weite Teile von "Credo" sind misslungen. "Night People" ist aufdringlich, "Electric Shock", "Privilege" und andere Halbwahrheiten führen trotz maximal moderner Ausführung kompositorisch ins Nirgendwo. Machen sie sich bereit für Duran Duran: Die kommen immer wieder, die sind alle noch da. (5) Jan Wigger
J Mascis - "Several Shades Of Why"
(Sub Pop / Cargo)
Das wie immer bei J Mascis rührend gestaltete Cover-Artwork erinnert etwas an Hayao Miyazakis wundersamen Film "Ponyo On The Cliff", der kürzlich unter dem hirnverbrannten Titel "Das große Abenteuer am Meer" auch in Deutschland auf DVD erschien. Was aber hat das mit Joseph Donald Mascis Jr. zu tun? Nun, nichts. Wahrscheinlich spielt der wortkarge Dinosaur Jr.-Sänger noch immer ab und zu Golf oder Ping Pong (mit Robert Smith!) und konzentriert sich sonst beharrlich darauf, zu schweigen. "Several Shades Of Why" ist eine besondere Mascis-Platte: Three Mile Pilots' Pall Jenkins bedient Säge, Piano und Lap Steel, Kim Gordon kritzelte den Cover-Schriftzug, Geistersänger Kurt Vile spielt Gitarre in "Listen To Me". Dennoch ist "Several Shades Of Why" ein steinerweichendes Akustikalbum, in dem Mascis seinem fernen Idol Neil Young (sprich: Gott) so nah kommt wie selten zuvor. Nicht in Form von Crazy-Horse-Geschepper, sondern auf eine andere, leisere Art und Weise. Natürlich gibt es keine Texte, natürlich heißen die Songs "Not Enough", "Make It Right", "Can I" oder "Is It Done". Wer solch eine Stimme hat, muss sich nicht mehr ändern. (8) Jan Wigger
The Rural Alberta Advantage - "Departing"
(Saddle Creek / Cargo Records)
Es gibt viele gute Gründe, sich ein Album, das beim Label "Saddle Creek" erscheint, gar nicht erst anzuhören. Wenn dir aber ein paar Sätze, eine mäandernde Holzarbeiter-Gitarre, ein weinendes Keyboard und der Background-Gesang von Amy Cole die Herzkammern öffnet, tust du gut daran, still zuzuhören: "And if I ever hold you again / I'll hold you tight enough to crush your veins / And you will die and become a ghost / And haunt me until my pulse, it also slows." The Rural Alberta Advantage lösen die schmerzhafte Liebe im Unendlichen auf und spielen Lieder, die so amerikanisch sind, dass man ihre Herkunft (Kanada) auf der Stelle vergisst. In "Under The Knife" und "Tornado '87" bereisen The Rural Alberta Advantage ähnliche emotionale Kerngebiete wie Jason Molina (Magnolia Electric Co.) oder der etwas langweilig-studentische Will Sheff (Okkervil River), der sich immerhin gut mit dem Zerfall der norwegischen Black-Metal-Szene auszukennen scheint. Auch Arcade Fire und Blitzen Trapper haben Spuren hinterlassen auf "Departing", das immer dann einen Tick gewöhnlicher wird, wenn man theoretisch dazu tanzen könnte. Ob "Pitchfork" schon wieder feiert? Schauen Sie doch selbst nach! (7) Jan Wigger
The Pains Of Being Pure At Heart - "Belong"
(PIAS / Rough Trade)
Es ist völlig unmöglich, zu entkommen. Immer mehr Veröffentlichungen, immer mehr Fragen: Ob man nicht doch noch Platz hätte für eine Underground-"Kapelle" aus Flensburg, ob man denn nicht eine Ausnahme machen könne für diesen oder jenen Sampler, die "Bild" hätte auch schon berichtet und in Bietigheim-Bissingen sei die Combo noch immer ganz groß. Mein Vorschlag ist dann immer, die Veröffentlichung von Schallplatten weltweit für ein Jahr zu stoppen. Zwar kein sehr kunstsinniger Ansatz, aber eine gute Möglichkeit, endlich alle Alben des vergangenen Jahres (und der Jahre 1969, 1971 und 1975) ausführlich zu hören und wiederum festzustellen, dass es auch dann noch genug Musik für tausend Leben gäbe, wenn nie mehr eine neue Platte erscheinen dürfte. The Pains Of Being Pure At Heart wurden für ihr gleichnamiges Album-Debüt an dieser Stelle zurecht gelobt, knicken auf der zweiten LP "Belong" aber etwas ein: Die schroffen, schwer begehbaren Oberflächen wurden ohne Not geglättet, ein Song wie "Anne With An E" wird zwar nicht gleich zu "Karla With A K", schwebt aber schon gefährlich zwischen hübsch gesäuseltem Twee-Pop für Behutsamkeitsfanatiker und purem Kitsch. Die generelle Harmlosigkeit ist Bands wie The Pains Of Being Pure At Heart oder den Mary Onettes allerdings immanent und nicht zu tadeln. Nennen wir es ruhig "Die neue Freundlichkeit". (7) Jan Wigger