Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
Fleet Foxes - "Helplessness Blues"
(Cooperative Music/Universal, 29. April)
Demut und Entgrenzung. Zarte, süß umhüllte Worte. Schäferdichtungen, Mönchsgesänge und Hippie-Choräle aus dem nahen Jenseits. Musiker, die aus einem fremden Jahrtausend hierher geweht wurden und so still und ergreifend von "Mykonos" und "Meadowlarks" erzählten, dass man die Vögel singen hörte. "Fleet Foxes" war das beste Album des Jahres 2008, "Helplessness Blues" ist eines der besten Alben des Jahres 2011. Bis man zu dieser Erkenntnis gelangt, verfliegt die Zeit: Zunächst glaubt man, Meisterliches wie "Your Protector", "He Doesn't Know Why" oder "White Winter Hymnal" seien auf "Helplessness Blues" einfach nicht mehr vorhanden. Dann aber beginnt die Suche nach Glück in Zeiten, die das Glück verhindern wollen, beginnen Robin Pecknold (der erst vor kurzem eine kongeniale Drei-Song-EP digital veröffentlichte) zu singen und die Instrumente zu klingen: Die zwölfsaitige Gitarre, die Zither und die Fiedel, Holzflöten, Dulcimer und Klangschalen aus Tibet. "Helplessness Blues" greift weiter aus als das Debüt: "The Shrine/An Argument" tänzelt acht Minuten lang zwischen Andacht, Verzehrung und einer seltsamen Vehemenz, zum Schluss gibt es Free Jazz. "Blue Spotted Tail" ist Pecknolds einsamste Stunde, das Titelstück ein einziger Paul-Simon-Moment und "Sim Sala Bim" bleibt ganz nah am britischen Folk der späten sechziger Jahre. Das symphonische "The Plains/Bitter Dancer" ist reines Genie und eine weitere dieser Versenkungen, die davon handeln, wie schwer es ist, der zu sein, der man gerne sein möchte. "All music is a gateway, a portal", legt Robin Pecknold uns ans Herz. Monsters of Folk! (9) Jan Wigger
Gorillaz - "The Fall"
(Parlophone/EMI, bereits erschienen)
Wer kennt das nicht: Man sitzt stundenlang im Nightliner, die Bandkollegen spielen Playstation oder lesen "Playboy", draußen zuckelt die Landschaft vorbei, Strip Malls, Autohändler, Kakteen, Drive-ins, Leuchtreklamen. Und man selbst? Guckt aus dem Fenster und daddelt ein bisschen auf dem iPad herum, das man sich aus lauter Langeweile gerade gekauft hat. Hier 'ne App, da 'ne App, alles durch "Garage Band" geschrubbt, und schwuppdiwupp hat man ein paar neue Songs zusammen. Was, Sie wissen nicht, was ich meine? Sie spielen nicht in einer berühmten Band, besitzen kein iPad? Poor you! Damon Albarn von den Gorillaz hat eines dieser neuen Alleskönnergeräte von Apple, und er war gerade in den USA auf Tournee. "The Fall", das fünfte Album der britischen Comic-Popper, zählt man "G-Sides" mit, könnte das letzte sein, was man von den Gorillaz hört, glaubt man den Trennungsgerüchten, die seit einiger Zeit kursieren. Nach dem kühnen Piratenzug durch die Popgeschichte, der "Plastic Beach" war, wäre das ein Abgang auf sehr leisen Sohlen, denn vieles auf "The Fall" erinnert an die unfertigen Skizzen, die Albarn einst auf "Democrazy" veröffentlichte. Dann wiederum blitzt in beinahe jedem der 15 Stücke, bis hin zum "Seattle Yodel" ganz am Schluss, doch immer wieder das scheinbar unbezwingbare Talent des Ex-Blur-Sängers auf, auch mit geringsten Mitteln große Popmusik zu erschaffen. Die mit einem ganzen Arsenal sphärischer Synthetik-Sounds hergestellten und mit klapprigen Beats ausgestatteten Tracks sind als Reisetagebuch zu verstehen, als musikalisches Blog, wenn man so will. Es geht, staunend über die Weite des Landes und die Erhabenheit der Natur, kreuz und quer durch die Staaten: "The Snake In Dallas" wird ebenso bedacht wie die Plastiktüten, die der Wind irgendwo im Nirgendwo vor sich hertreibt ("Pink Plastic Bags"). Man trifft Hinterwäldler ("HillBilly Man"), Spinnen in Missouri ("The Joplin Spider"), führt gespenstische Telefoninterviews in der Wüste ("Phoner To Arizona") und streift durch den mächtigen Wald der Rocky Mountains ("Aspen Forrest"). In Phoenix trifft man schließlich auf Soul-Veteran Bobby Womack, der eine charmant-bluesige Gesangseinlage abliefert. Der programmatisch "Bobby In Phoenix" betitelte Song ist gleichzeitig das beste Stück auf "The Fall", denn vielfach fehlt den Stücken dann eben doch der Wumms, der letzte Schliff, der Wille, mehr zu sein, als Gefrickel - und natürlich der kreative Input der anderen Bandmitglieder. Das iPad, Wunderding hin oder her, hat letztlich aber eben doch keine Seele. Vielleicht hat sich der eitle Albarn aber auch nur gedacht: Wenn David Hockney auf dem Ding malen kann, kann ich auch ein ganzes Album damit herstellen. Aber warum? Weil's geht. (6) Andreas Borcholte
Pendikel - "Pendikeland"
(BluNoise/Alive, bereits erschienen)
Da ich meine "Rezessionen" immer barfuß verfasse, begab es sich, dass mir die Plastikhülle der neuen Pendikel-CD "Pendikeland" (kein Doppel-L!) aus einiger Höhe auf den linken kleinen Zeh fiel und ich zum Hautarzt humpeln musste, während mir der Song "Abo auf Pech" in den Kopf schoss: "Ständig fühlst du dich geschafft/ Irgendwie lebenslang zweifelhaft/ Du lässt den Gurt einfach weg/ Und auch der Helm hat hier keinen Zweck." Alle Hoffnung fahren lassen, sich dem Fatalismus übergeben, das Lenkrad verlassen und schutzlos auf den Rücksitz wechseln wie Melanie Pröschle am Ende von Maren Ades Film "Der Wald vor lauter Bäumen" - Themen, die Carsten Sandkämper und Pendikel einerseits verhandeln, andererseits nach kurzer Prüfung wieder abstoßen. Auf der etwa fünf Jahre alten Platte "Don't Cry, Mondgesicht" erzählte die Band erhaben und schonungslos von falschen Freunden und toten Städten, heute sind es drei Aufzüge und ein zärtlich loderndes Finale ("In Pendikeland"), das die Skeptiker milde stimmen wird: "Sage ich schönen guten Tag/ Gebe dir fest meine Hand/ Ich bin dein Stereotyp/ Also hab mich lieb". Denkfaule Beschreibungen wie "verkopft", "studentisch" oder "pseudointellektuell" sind ausdrücklich als Lob zu verstehen. (7) Jan Wigger
Ulver - "Wars Of The Roses"
(Kscope/Edel, 29. April)
Julian Cope sagt: "Ulver are cataloguing the death of our culture two decades before anyone else has noticed its inevitable demise." Ich füge hinzu: Der wahre Künstler hängt nicht am Leben. Er verachtet es. Doch wo es früher ("Bergtatt"!) alsbald dunkel wurde, wenn Ulver den norwegischen Wald durchmaßen, ist "Wars Of The Roses" enervierend leichtgängig und gefällig geraten. "Providence" wird durch das allzu angestrengte Gewinsel der Soul-Sängerin Siri Stranger beeinträchtigt, "September IV" wirkt wie ein Outtake aus Tiamats Großwerk "Wildhoney". Getupftes Piano, Pink-Floyd-Frohlocken, Vogelgezwitscher, Hirschgeröhre, schwache Kreide, Beschwörungsformeln ("Stone Angels"), weißes Rauschen, Violine und ins Belcantohafte tendierender Gesang täuschen Bedeutsamkeit vor, was selbst die monatliche Metal-Bibel "Rock Hard" (alle anderen Hartwurst-Mainstream-Magazine könnt ihr getrost vergessen, Kinder!) zu einer ungewöhnlich mediokren Wertung hinriss. Das Klischee, mit dem einem diensteifrige Promoter regelmäßig zusetzen, stimmt hier aber unbedingt: Wer Ulver noch nie live gesehen hat, der weiß nicht, wer Ulver sind. (5) Jan Wigger