Abgehört - neue Musik Einsam in der Ibiza-Villa
Haiyti - "Perroquet"
(Vertigo Berlin/Universal, seit 7. Juni)
Das Hotel, die Nails? Kosten. Der Wein, die Pulle Johnny Walker? Kosten. Die Karre, der Sprit? Kosten. Und dein Fehler? Heijeijei, der kostet richtig, ey. "Es kostet" ist der musikalisch unspektakulärste, aber zugleich wohl ehrlichste Track auf dem neuen Album von Haiyti: Alles hat seinen Preis. Auch der Erfolg.
"Perroquet" wurde ohne viel Aufhebens einfach so veröffentlicht. Kann man machen, aber dann sollte der "Drop" ohne PR-Tamtam auch einen Effekt haben. Es blieb aber, außerhalb einiger Szene-Portale, reichlich ruhig. Darüber konnte man schon durchaus erstaunt sein, denn immerhin gab es um Haiyti Anfang 2018, als ihr Majorlabel-Debüt "Montenegro Zero" erschien, auch im Pop-Mainstream viel Wirbel um die Hamburger Rapperin.
Bei der letzten Echo-Verleihung erhielt sie den Kritiker-Preis für das zwischen modernem Cloud-Rap und nostalgischem NDW-Pop tänzelnde Album, das vor allem Haiytis schrill keckernden, mit originellen Lautmalereien garnierten Rap-Stil ausstellte.
Und nun? "Alles Gucci"? "Cappucino in Mailand"? So heißen zwei der insgesamt zehn Tracks, die "Perroquet" auf eine knappe halbe Stunde Spielzeit bringen. Die Knappheit passt zum reduzierten, zumeist trocken und weitgehend schnörkellos vor sich hin tackernden Trap-Sound (Produktion u.a. Macloud) des Albums.
Nur selten schnellt der Puls nach oben, zum Beispiel in "Droptop", bei dem Haftbefehl-Kumpel Milonair als einer von zwei Album-Gästen mitrappt. Aber schon in "UZI", in dem Haiyti androht, sich die Jeans von Fiorucci zur Not mit Waffengewalt zu besorgen ("Wenn nicht mit Rap, dann mit der UZI"), wirkt die Rapperin erschöpft, als wüsste sie längst selbst, wie hohl die Genre-gerechte Gier nach Statussymbolen und Markenware eigentlich ist. Glamourös ist das, bei allem Bewusstsein für das stets überbetont Gelangweilte von Cloud-Rap, nicht.
Vielleicht liegt hier das Geheimnis des Albumtitels. Denn oft wirkt Haiyti hier leider nur noch so, als würde sie das ganze Bling-Bling-Gedöns nur nachplappern wie ein Papagei (französisch: perroquet) und dabei ein bisschen mit buntem Gefieder rascheln, um lebendig zu wirken. Viel Lethargie und Melancholie ziehen sich durch Tracks wie "Coco Chanel" ("Ich zähl' die Patte im Stundenhotel") und "Alles Gucci" ("Das Geld in meiner Hand wirkt immer etwas abstrakt"). "Ob das Kaschmir ist?/ Frag mich nicht", rappt sie einmal, ratlos, zweifelnd auf der Suche nach dem Sinn hinter dem Klimbim.
Ebenso einsam und verloren geistert Haiyti auch durch ihre Videoclips, mitten im Zeitgeist und Weltgeschehen, aber immer auch seltsam neben der Spur: "Coco Chanel" drehte sie in jener Ibiza-Villa, die zuvor Schauplatz des Strache-Videos war; im Clip zu "Alles Gucci" driftet die Rapperin als abgelegte Kurtisane durch ebenso charakterlose Hotel-Szenerien in Paris und hinterlässt eine Suicide-Note am Spiegel, in Zwischenschnitten brennt Notre-Dame nieder. Alles Pose, natürlich, alles Rollenprosa, wahrscheinlich. Tief blicken lässt trotzdem "Es kostet": "Mir egal, wer du bist oder worum es geht/ Hier geht es nur um Budget", heißt es da. Und am Ende des Refrains könnte man "Ich will nur kosten" im Geiste auch als "Ich will nur kotzen" hören. Ganz offensichtlich: Das schwierige Album nach dem Hype. Gute Besserung. (5.5) Andreas Borcholte
Bill Callahan - "Shepherd In A Sheepskin Vest"
(Drag City/Rough Trade, seit 14. Juni)
Früher war Bill Callahan ein grandioser Scheißkerl. Die Menschen in seinen Liedern drohten mit betrunkenen Ausfällen auf den Hochzeiten ihrer Verflossenen. Sie stellten Dresscodes auf für die eigenen Beerdigungen und kommunizierten miteinander in rauschenden Noise-Folk-Collagen, aus deren Aufnahmequalität auch eine gewisse Publikumsfeindlichkeit sprach. Diese Eskapaden aber liegen nicht nur fast ein ganzes Künstlerleben zurück. Sie waren auch unabdingbar für Callahan, den weisen Welterklärer, der auf seinem 15. Album "Shepherd In A Sheepskin Vest" den ganzen Kreislauf aus Leben, Tod und allen Verrenkungen dazwischen als großen kosmischen Witz entlarvt.
Sechs Jahre sind seit Callahans letzter Platte "Dream River" vergangen, eine ungewöhnlich lange Schaffenspause für den Musiker aus Austin, Texas, in der er geheiratet, ein Kind gezeugt und seine Mutter auf ihren letzten Lebenswegen begleitet hat. "Shepherd In A Sheepskin Vest" arbeitet die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge und unter neuen Vorzeichen auf. Statt weniger langer Lieder, wie sie für Callahans Alben der vergangenen 15 Jahre üblich waren, sind es diesmal viele kurze, oft auch beiläufige Stücke, die sich um gängige Folkschemata herumschlängeln und als freiförmiges Zupfen, Fiedeln und Klimpern erklingen. Dazu brummt der altbekannte Bariton, so ausdruckslos wie gefühlsübermannt, ein ewig unergründliches Paradoxon der Popgeschichte.
Gute Alben über Sesshaftigkeit und die Vorzüge einer stabilen Kleinfamilie sind selten, aber nicht unerhört. Matt Berninger zum Beispiel, Sänger der schlauen New Yorker Stadionrockband The National (und ein weiterer Bariton), sinniert seit jeher effektvoll über Komfort und Wahnsinn eines Lebens mit gleichbleibender Besetzung. Callahan widmet sich ähnlichen Überlegungen, demonstriert jedoch ein noch besseres Timing für bedeutsame Einflüsterungen und trockenhumorige Erleichterungen. "The panic room is now a nursery", singt er in "Son Of The Sea". Wo der Künstler einst an Worten, Melodien und Akkordfolgen verzweifelte, spielt heute ein Kind mit Bauklötzen.
Für "Shepherd In A Sheepskin Vest" ist diese Szene bezeichnend. Nicht jede Veränderung, die Vaterschaft und mittleres Alter bewirken, schmeißt einem gleich das ganze Leben um. Vieles, was zwischen Babybett und Wickeltisch passiert, ist sogar himmelschreiend banal. Callahan gibt sich amüsiert von dieser Feststellung. Er ist kein Songwriter, der seine Ideen im unappetitlichen Stil manches Großschriftstellers mit künstlicher Bedeutung aufladen würde. Das Wahre und Profunde seiner Alltagsbeobachtungen arbeitet er geradezu methodisch heraus. "Hier gibt es nichts zu sehen", scheint der Scheißkerl von einst damit sagen zu wollen. Dabei ist es ein ganzes Leben, das in seinen Liedern offen liegt. (8.3) Daniel Gerhardt
Brausepöter - "Nerven geschädigt"
(Tumbleweed Records/Broken Silence, seit 30. April)
Punk wurde Ende der Siebziger gegen alles in Stellung gebracht, was in der Rockmusik auf Dauer und Klassikerstatus angelegt war. Die Bewegung hätte sich sozusagen einmal in die Musikgeschichte erbrechen und danach triumphierend sterben können. Nur machten fast alle - zum Beispiel The Damned, die Buzzcocks und, in Deutschland, die Fehlfarben - einfach immer weiter, jahrzehntelang.
Die Geschichte der Band Brausepöter war bis vor Kurzem eigentlich eine Punk-Geschichte, wie man sie sich vorstellt: radikal und kurz. Gegründet 1978, entdeckt von Alfred Hilsberg, für dessen Label ZickZack (später u.a. F.S.K., Blumfeld) das Trio die Single "Liebe, Glück, Zufriedenheit" aufnahm. Es ging um Weltverdruss und Intensitätssuche in der alten BRD: "Ich will frei sein, frei sein/ Ganz frei von all dem hier". Hätten Brausepöter damals ihr Debütalbum veröffentlicht, vielleicht wäre daraus ein Klassiker wie "Monarchie und Alltag" geworden. Es blieb bei einer Handvoll Singles. 1982 löste die Band sich auf.
Um sich dann 2010, von niemandem erwartet, geschweige denn erhofft, wieder zusammenzufinden und ihre erste Platte einzuspielen. "Nerven geschädigt" ist nun schon das dritte Album dieser vergessenen Band. Es ist sehr gut, aber im Prinzip ist alles so wie damals. Sänger Martin Lück beschwört die Entfremdung. Gleich im ersten Stück, "Ewig Ding", geht's los: "Ich will nicht viel wert sein/ Begehrt sein/ Ich will nicht neu sein/ Euch treu sein". Die Musik allerdings ist kein Altherren-Punkrock, sondern reduziert, ideenreich und auf den Punkt. Also eher der Traditionslinie Ratinger Hof folgend, statt Berlin. Und am Ende tanzt man programmatisch "Pogo ganz allein".
Lücks seltsam alterslose Stimme ruft viele Tonlagen auf, mittels derer junge Männer in den letzten 40 Jahren ihre Weltverzweiflung stilisiert haben - von den Fehlfarben über Die Nerven bis zu Isolation Berlin, die live gerne mal einen alten Brausepöter-Song spielen. Wie soll man es nun also finden, dass auch Punk sich weigert zu sterben? Man kann "Nerven geschädigt" als einen Beleg hören, dass unverwüstliches Weiterwursteln in der Verweigerung tatsächlich eine Möglichkeit ist, um in Würde dem unabsehbaren Ende entgegenzumusizieren. In ihrem radikalen Desinteresse an allem, was gerade so geht und erfolgsversprechend wäre, wirkt die Musik von Brausepöter heute sogar um einiges konsequenter als damals. (7.0) Benjamin Moldenhauer)
Timo Lassy & Teppo Mäkynen - "Timo Lassy & Teppo Mäkynen"
(We Jazz/Groove Attack, seit 14. Juni)
Wer im Trio Jazz spielt, wagt viel, hat aber immerhin zwei Seile, um sich festzuhalten beim Aufstieg in improvisatorische Höhen. Ein Duo dagegen: Extrembergsteigen, Fehltritte sind tödlich. Es gibt in der Jazzgeschichte Duos, die in der dünnen Luft himmlische Tänze aufführen, Ella Fitzgerald und der Gitarrist Joe Pass zum Beispiel, Mitte der Siebzigerjahre.
Und dann gibt es die Angstfreien, die beherzt drauflos laufen wie lokale Bergführer, immer mit dem gebührenden Respekt: So halten es die Finnen Timo Lassy am Tenorsaxofon und Teppo Mäkynen am Schlagzeug, die sich schon lange kennen, aber noch nie zu zweit ein Album aufgenommen haben. Ihr Duo-Debüt atmet nun auf den immer rund dreiminütigen Etappen eine unverzärtelte Freiheit, es wählt mal traditionelle, mal experimentelle Routen und steigt zügig durch. Ungewöhnlich bleibt, wie die beiden auch ohne Bass, Piano oder Gitarre leichte Harmoniewinde erzeugen.
Timo Lassy ist einer der Köpfe der Jazzrenaissance rund um das Label We Jazz in Helsinki. Berühmt wurde er mit bekömmlichem Soul-Jazz. So hemdsärmelig und retro diese Szene manchmal klingt: Viele We-Jazz-Künstler spielen mit dem Klang ihrer Instrumente - mit Atem, Mund, Raum, seltener mit Elektronik, und haben dabei keine Angst vor popaffinen Stücken. Auf ihrem selbstbetitelten Album tun Lassy und Mäkynen all das, und spielen sich dennoch frei von der Marke "Jazz aus Helsinki".
Das Album beginnt mit einer ruhigen spirituellen Nummer ("Fallow"), in der Mäkynen die Becken mit Watte streichelt, während Lassy auf dem Pfad John Coltranes wandelt, wenn der US-Meister Vibrato geblasen hätte. Beim zweiten Stück, "Goldenrod", das an den Sonny Rollins der späten Fünfzigerjahre erinnert, denkt man: Ist das jetzt ein Jazzlehrpfad in kleiner Besetzung? Aber warum nicht? In den zwei Teilen von "Liberty" kippt der Hard Bop in den Free Jazz.
Auf der zweiten Hälfte verlassen Lassy und Mäkynen die Basislager und gewinnen an Höhe. "Kobi" kombiniert ein helles, perkussives Pattern mit einer forschen Bass Drum im Vierviertel, von dem sich das Saxofon nie aus der Ruhe bringen lässt. Nun kennt diese Zweierseilschaft keine Hierarchie mehr. Lassy spielt Harmonien, schnelle Akkorde in Etüdenform und lässt Mäkynen auch mal vorgehen. Das Album entwickelt jetzt Zug, es will auf den Gipfel. Ewas Elektronik gibt dem Schlagzeug Sauerstoff.
"Cyan" ist der Gipfelgrat, zweitletzte Nummer: Der Gang schwankt, mal schneller, mal langsamer. Selbst der Klang des Saxofons schwirrt nun mit elektronischer Unterstützung in alle Richtungen, ein Riff hält es gerade noch auf dem Grat. Endlich oben: "Heliotrope", näher an die Sonne kommt man nicht mehr zu Fuß. Der Kopf ist leer, der Körper schwer und leicht zugleich - und dieser Jazz klingt auf einmal ein bisschen wie Enya, nur ohne Gesang. Wie kommt man da bloß wieder runter? (7.5) Tobi Müller
Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)