Abgehört - neue Musik In der Gruppentherapie
Andrea Schroeder - "Void"
(Glitterhouse/Indigo, ab 26. August)
Und schon verdunkelt sich wieder der Himmel über Berlin, wenn Andrea Schroeder vom "Black Sky" singt: "My god, it's so empty here tonight/ There's not even a ghost's sight". Mir würden in der Hauptstadt gleich ein paar Orte einfallen, auf die diese Beschreibung passt (Here's to you, Potsdamer Platz!), aber Schroeder, die im Wedding lebt, meint natürlich vorrangig eine innere Unbehaustheit.
Zwei simmernde, die Düsternis der Seele zelebrierende Alben hat sie zusammen mit ihrem Freund und musikalischen Leiter Jesper Lehmkuhl bereits veröffentlicht (nachzulesen hier und hier), "Void" wurde nun erstmals nicht von Ex-Walkabout Chris Eckman produziert, sondern vom Schwedenrocker Ulf Ivarsson (Thåström), der die Sängerin mit einem schrofferen, schwermetallischen Sound davor bewahrt, zu besinnlich zu werden - oder sich gar von zu viel Kritikerlob und Publikumszuspruch die Dämonen austreiben zu lassen.
Nein, gegen den Sell-out donnern allein schon Lehmkuhls nun vom Folk entfesselte Gitarren in "Kingdom" an, und sollte die Seelenlast sich gelockert haben, fordert Schroeder in "Burden" alle Welt dazu auf, ihr die Schultern mit Sorgen vollzuladen. Sie hält das aus, die Schwere ihres Gemüts, ihrer mit tiefstählerner Stimme gesungenen Texte und nun auch ihrer Musik, auch wenn sie in "Little Girl" auch ganz zart werden kann, wenn sie ein Mädchen, vielleicht eine Obdachlose, vielleicht ein Flüchtling, das im Park schläft, flüsternd beruhigt: "It's just a dream".
Aber ein Albtraum, bevölkert von "Creatures of the Night". Zugehöriger Song, "Creatures", überspannt den neuen Rock'n'Roll-Drive mit klimperndem Piano und Sklavengaleeren-Beat leider etwas, zumal die Wortkombination "Creatures of the night" - exaltiert vorgetragen, wie Schroeder nun mal singt - leider unwillkürlich an die alte Drag-Queen Frank-N-Furter erinnert - keine so gute Assoziation.
Am Prätentiösen schrammt Schroeder eh immer wieder knapp vorbei, vor allem im vertonten Goth-Poem "Was Poe Afraid" von Charles Plymell. Aber das ist dem Genre, diesem dräuende drückenden Düster-Sound, den Nick Cave, Nico und Scott Walker perfektioniert haben, geschuldet. Dass man Schroeder immer wieder vehement in eine Reihe mit solchen Kollegen setzen muss, liegt daran, dass man ihr jedes Wort glaubt, mit der sie sich der sie umgebenden Leere, der "Void", gewahr macht, um sich dann umso trotziger hineinzustürzen. "Drive Me Home" fordert sie gegen Ende dieses mächtigen Albums, aber nicht als verschüchtertes Fräulein, sondern als Herrscherin der Nacht. (7.9) Andreas Borcholte
De La Soul - "And The Anonymous Nobody"
(AOI Records, ab 26. August)
Oha, De La Soul. Und dann auch noch ein ganzes Album. Das schien zweitweise so wahrscheinlich wie seinerzeit die Veröffentlichung von Guns 'N' Roses "Chinese Democracy". Nicht, dass Dave Jolicour, Posdnuos und Maseo wie etwa Axl Rose den gesunden Blick auf die Wirklichkeit verloren hätten. Vielmehr war ihr Blick auf die Dinge stets zu scharf, um ihre Kreativität einfach so dem großen Scheißhaufen namens Musikindustrie zum Fraß vorzuwerfen.
Deshalb war eigentlich schon vor 25 Jahren Schicht. Damals verkündete der Titel ihres zweiten Albums etwas großspurig: "De La Soul Is Dead". Als Gallionsfiguren eines sendungsbewussten Hip-Hop gelten und sich gleichzeitig dem Amortisierungsdruck der Industrie zu beugen? Nichts für die intellektuellen Hip-Hop-Hippies.
Natürlich kam es anders. Das Trio rappte weiter, veröffentlichte eine Hand voll mittelmäßiger Alben und ließ keinen Interviewtag verstreichen ohne anzudeuten, bald dem klassischen Lieber-Weinbauer-in-Frankreich-Plan nachgehen zu wollen. Stattdessen folgten allerhand Grabenkämpfe mit der ollen Industrie und 2004 mit "The Grind Date" dann doch noch ein kleines Meisterwerk.
Nun erscheint am Freitag wieder ein neues Album, das erste seit zwölf Jahren. Zum Vergleich: Das ist in etwa so, wie wenn die Beginner nach dreizehn Jahren "Advanced Chemistry" veröffentlichen, man freut sich irgendwie. Und fragt sich gleichzeitig, was die alten Herren noch abliefern können. Die beruhigende Antwort hier: halbwegs inspirierte Songs.
Das liegt vor allem daran, dass auf "And The Anonymous Nobody" trotz des Titels niemand anonym oder ein Nobody ist. Die 17 Tracks lesen sich wie eine Rekapitulation der letzten 30 Jahre Popmusik. David Byrne findet sich neben Damon Albarn, Usher neben Snoop Dogg, die schwedische Synthpop-Band Little Dragon neben dem gestandenen Rapper 2Chainz. Das Überraschendste daran: diese Gruppentherapie für alternde Musiker funktioniert prächtig.
Gerade das mit David Byrne aufgenommene "Snoopies" holpert zu Byrnes typischen Da-ist-doch-etwas-kaputt-Beats ganz wunderbar vor sich hin, "Drawn" mit Little Dragon klingt, als wären Joanna Newsom und A Tribe Called Quest im Presswerk versehentlich auf dieselbe Platte geraten. Und mit Songs wie "Royalty Capes" oder "Trainwreck" beweisen die New Yorker, dass sie noch immer einen kaum zu kopierenden Flow haben.
Dennoch leidet die Platte unter dem Beginner-Problem: Sie ist zu souverän, um wirklich relevant zu sein. De La Soul galten stets als Gralshüter des freundlich-sozialkritischen Raps. Aber mit positiven Botschaften und entspannten Beats ist der Welt im Jahr 2016 einfach nicht mehr beizukommen. Diesen Job besorgen mittlerweile andere, auch ohne Gastmusiker von Weltrang. (6.5) Dennis Pohl
Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)