Abgenickt Das Beste aus HipHop, Soul und R'n'B

Wie Common das Ghetto aus dem Ghetto holt; wie Roy Ayers die ewige Wiederkehr des Weichen zelebriert; wie sich ein Blockbuster von Kool Savas anhört und warum George Duke tatsächlich ein Duke ist - bei Abgenickt, zum Lesen und Reinhören.
Von Daniel Haas

Common: "Be"
(Good/Geffen/Universal)

Common sitzt in einem Diner und schaut nachdenklich aus dem Fenster. Vor ihm nur eine Tasse Kaffee, an der Wand hängt ein Bild von Malcolm X. Kein Schampus, keine halbnackten Girls, kein Bling, wie der protzige Schmuck der Rapper im Jargon genannt wird. Das Foto, das die Rückseite von Commons neuem Album ziert, ist Programm. Hier ist kein Ghetto-Gangster am Werk, kein HipHop-Großmaul, sondern ein Intellektueller, der nicht prahlen, sondern erzählen, nicht provozieren, sondern analysieren will.Das klingt ein wenig prätentiös und ist doch wunderbar beschwingt und tanzbar, denn Kanye West, der zurzeit gefragteste Produzent im HipHop, hat den Sound kreiert. Am Funk orientierte Beats, dazu Streicher- und Piano-Samples der sechziger und siebziger Jahre, veredelt mit den für West charakteristischen beschleunigten Soul-Chören: Dies ist die Grundlage für Commons exzellenten Lebens- und Ghetto-Roman. Und der verläuft anders als die Gewalt-Epen von 50 Cent und Eminem, ist differenziert und geschichtsbewusst, eloquent und unterhaltsam zugleich. Bestes Beispiel: der Song "The Corner", für den sich der als Lonnie Rashid Lynn geborene Künstler die Last Poets ins Studio holte. Die Spoken-Poetry-Künstler schufen in den Sechzigern mit einer Mischung aus Jazz, Pop und kritischer Lyrik eine Frühform des Rap. Auf "The Corner", das vom Großstadt-Alltag erzählt, erklären sie im Refrain: "The corner was our magic, our music, our politics." Hier ist die Straßenecke nicht der Ort, wo Gangster-Mythen entstehen, sondern ein Raum der Nachbarschaft, ein sozialer Brennpunkt, der gefährlich und heimelig, traurig und glücklich sein kann. Vielleicht kommt ja mal die eine oder andere Stretchlimousine vorbei, bepackt mit schweren Jungs und leichten Mädchen, Bullterriern und Bling. Doch die fahren zum Glück weiter - ins nächste 50-Cent-Album.

Roy Ayers: "Virgin Ubiquity 2" (BBE/Rough Trade)

Vor zehn Jahren gab Roy Ayers ein Konzert in München, und die "Süddeutsche Zeitung" war einfach nur genervt: Eine Welt aus "feel good", "sunshine" und "lalala" sei da zu hören gewesen, breiig gemischter "Schmusefunk", "akustische Pomade". Man muss diese Vorwürfe nur ein wenig abwandeln, und schon hat man eine treffende Beschreibung der Ästhetik von Ayers' großartiger Musik. Wohlgefühl weiß dieser Sound seit den späten Sechzigern zu vermitteln, als sich der Jazz nach der Spaltung der Bürgerrechtsbewegung in zwei Richtungen zu bewegen begann. Während der Free Jazz in Gestalt von John Coltrane und Albert Ayler mit radikaler Experimentierwut dem breiten Publikum den Rücken kehrte, probte Ayers' Fusion den Schulterschluss mit dem Mainstream. Sonnenschein, ein Gefühl von Helligkeit und Optimismus, sind die Ingredienzien dieses Sounds, den Ayers 1970 mit Ubiquity, seiner ersten Band, aus der Taufe hob. Das mal sanft, mal energisch schwingende Vibraphon, unterstützt vom markanten Timbre des Rhodes-Pianos, machte den Jazz durchlässig für Soul und Funk und bereitete die afroamerikanische Popmusik für die Hitparaden vor.Und "lalala" könnte, positiv gewendet, für die Lust an der Wiederholung stehen, anders gesagt: für das Moment der hartnäckigen Wiederkehr, die das Wesen des Grooves ausmacht. Auf repetitiven Strukturen fußt die gesamte Dance- und HipHop-Kultur, und Ayers, einer der meist gesampelten Musiker des Jazz, war einer ihrer frühen Gewährsmänner. Konsequent also, wenn er jetzt mit altem Material zurückkommt: Auf dem kleinen feinen BBE-Label erscheint eine Auswahl von Songs, die in den Siebzigern in die Archive wanderten. Dabei haben die wunderbar elegant orchestrierten Songs durchaus das Zeug zum Klassiker: "Holiday", eine entspannte Reflexion über Martin Luther King und die Notwendigkeit, ihm einen Feiertag zu widmen; "Funk in The Hole", ein mit knackigen Hörner-Arrangements verschärftes Instrumental, "The Third Time" mit der späteren Earth Wind & Fire-Sängerin Carla Vaughn: Dies sind nur drei Beispiele von Ayers' unübertrefflichem Swing. Wie sagte er, nach dem Geheimnis seiner Musik gefragt, einmal: "Alles, was wir damals getan haben, war zu grooven."





Kool Savas: "The John Bello Story"
(Optik Records/Groove Attack)

Liegt's am "Unterschichten-Fernsehen", jener Spaßvokabel, die Harald Schmidt so lässig in die Runde warf und die ihn mittlerweile selber nervt, weil sie zum feuilletonistischen Passepartout-Begriff verkommt? Die so genannte Unterschichtenkultur jedenfalls ist das neue heiße Ding und die Rap-Szene der Hauptstadt ihr augenfälligster Vertreter. Spätestens seit Flers "Neue Deutsche Welle" durch die Radios schwappt, ist klar: Die Jungs aus Wedding, Neukölln und dem Märkischen Viertel geben den Ton an im deutschen HipHop-Geschäft.Dass viele von ihnen mit ihren Produktionen vom Studio gleich auf den Index wandern, berichtet diese Woche auch der "Stern". Die neue Berliner Härte, personifiziert von Rappern wie Sido und Bushido, spielt mit wenigstens obszönen, schlimmstenfalls frauen- und schwulenfeindlichen Motiven - der Bildungsbürger darf sich, leicht angegruselt, seinen eigenen kulturpessimistischen Reim drauf machen.Kool Savas, obwohl Berliner Battle-MC der ersten Stunde und als Chef von Optic Records einer der Protagonisten des Hauptstadt-HipHop, hat sich aus der ganzen Kontroverse um Nationalismus und Chauvinismus bis jetzt herausgehalten. Vielleicht hatte er einfach keine Zeit, die Debatte mit ein paar scharfen Sprüchen zu befeuern; der Mann arbeitet schließlich auf Hochtouren und legt jetzt, kaum zwei Monate nach seiner exzellenten Kollaboration mit Azad auf dem Album "One", schon wieder eine Platte vor."The John Bello Story" gibt sich als "Original Motion Picture Soundtrack", als Rap-Blockbuster, dessen Hauptrollen hochkarätig besetzt sind. Hamburgs Star-Reimer Samy Deluxe tritt auf, ebenso der 3P-Veteran Illmatic, dazu diverse US-Kollegen wie Cam'Ron und Juelz Santana, der für seine "'Turkish People from Berlin' exklusive Rhymes spittet" (Pressemitteilung). Hinzu kommen das Debüt von Savas' 17-jährigem Bruder Sinan, der an dieser Stelle total unkrass als Jungtalent bezeichnet sei, oder, wie George Duke, Roy Ayers und die ganzen Jazz-Haudegen sagen würden, als Cat.Die schärfste Cat ist natürlich Savas selber, dessen "Urteil" das Finale dieses HipHop-Films bildet. Kein Happy-End, dieser Song, mit dem der Optic-Boss seinen ehemaligen Schützling Eko Fresh in Grund und Boden schmäht. 100.000 Mal wurde die wortmächtige Abrechnung bei Erscheinen heruntergeladen; angeblich legte der Ansturm zeitweise diverse HipHop-Websites komplett lahm. Das dazugehörige Video hielt drei Wochen den ersten Platz der MTV-Video-Charts und bewies, dass Authentizität und Erfolg, Kommerz und Kreativität im HipHop sehr wohl zusammen passen.

George Duke: "Duke"
(Dome/

Am 11. Juli soll er beim Jazzfest in Montreux auftreten, und für die Jüngeren, die wegen Craig David oder Incognito an die Schweizer Riviera pilgern, wird er kaum ein Begriff sein: George Duke, geboren 1946, ist hierzulande ein Insider-Tipp geblieben, ein Special-Interest-Künstler. Anders als Roy Ayers wurde er in den Neunzigern nicht von Club-DJs wieder entdeckt, seine Songs taugten nicht zum Samples-Steinbruch für HipHop- und R'n'B-Produzenten.Dabei hat der Pianist, Sänger und Produzent bereits eine gut vier Jahrzehnte währende Karriere hinter sich und allein 30 Alben unter eigenem Namen herausgebracht. Duke ist tatsächlich ein Duke, ein Hocharistokrat des Jazz und Pop, der von Herbie Mann bis Quincy Jones, Anita Baker bis Dianne Reeves mit den Größten seiner Zeit zusammengearbeitet hat. In den Siebzigern musste ihn ein Frank Zappa noch anrufen und um eine Mitarbeit bei den Mothers of Inventions betteln. "George, ich möchte, dass du The Mothers beitrittst", soll Zappa gesagt haben. "The Who?", war die Antwort des Duke, der lieber zur Bebop-Legende Cannonball Adderly ging. (Duke unterstützte Zappas Band dann doch noch, allerdings erst zwei Jahre später.)Heute ist der Duke eine Ikone, deren umstrittene Anfänge als Jazz-Funker allenthalben zu Anekdoten taugen. Als er in den siebziger Jahren seinen Crossover-Stil bei den Berliner Jazztagen präsentierte, wurde er ausgepfiffen; Zuhörer bewarfen ihn mit Obst. Käme er heute in die Hauptstadt, seine Musik gälte als edle Designer-Ware, die man mit dezentem Fußwippen quittiert. So ist auch "Duke", das neue Album, eine Sammlung kultivierter Grooves, zu deren Verfertigung der Meister den einen oder anderen Star vorgelassen hat. Da bedient Prince-Percussionistin Sheila E die Congas und Soul-Crooner Eric Benet steuert ein paar Vocals bei, ansonsten dominieren elegante Keyboard-Sounds. Die Kompositionen stammen fast alle vom Duke, mit Ausnahme eines Stevie-Wonder- und eines Burt-Bacharach-Stücks ("Super Woman", "In Between The Heartaches"). Adel verpflichtet eben: Man ist nicht irgendwer - und spielt auch nicht irgendwas.

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