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Bob-Dylan-Album: Der affektierte Mr. Dylan

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DEA/ ASSOCIATED PRESS

Bob-Dylan-Album "Another Self Portrait" His Bobness - exklusiv im Stream

Bizarre Coversongs, merkwürdige Eigenkompositionen: Als Bob Dylan 1970 das Album "Self Portrait" auf den Markt brachte, hieß es, er sei erledigt. Aus dem Archiv geborgene Songs jener Ära belegen nun das Gegenteil. Hören Sie selbst: "Another Self Portrait" gibt's hier komplett vorab im Stream.

"What is this shit", giftete der Kritiker Greil Marcus über Bob Dylans Album "Self Portrait" in einem berühmt gewordenen "Rolling Stone"-Verriss. Er habe nur ausdrücken wollen, was die Fans von den neuen Songs hielten, rechtfertigte der Starkritiker Marcus später seine radikale Wortwahl.

Auch in diesem Jahrtausend bleibt "Self Portrait" ein Werk, mit dem viele Dylan-Jünger wenig anfangen können. Das 1970 veröffentlichte Doppelalbum bietet zwei Dutzend Songs und einen exotischen Mix von bizarren Pop-Coverversionen (Paul Simon! Gilbert Bécaud!), alten Country-Songs, merkwürdigen eigenen Kompositionen und schlampig abgemischten Konzertversionen einiger Dylan-Klassiker ("Like a Rolling Stone").

Den Schock perfekt machte Dylans affektierter Crooner-Gesang kombiniert mit überkandidelten Streicher-, Bläser- und Chor-Arrangements. Ganz zu schweigen vom hässlichen, von Dylan persönlich hingepinselten Cover. In einer 1991 veröffentlichten Liste der "Schlechtesten Rock-Platten aller Zeiten" rangierte "Self Portrait" immer noch auf Rang drei - hinter Lou Reeds "Metal Machine Music" und einem Live-Album von Elvis Presley.

Ein Genie im Mystifizieren

Dylans Karriere hat das selbstverständlich nicht weiter beschädigt. Im Gegenteil, es gibt wohl keinen Rockmusiker, dessen Schaffen mit größerer Ehrfurcht betrachtet wird. Umso spannender ist nun die in diesen Tagen veröffentlichte Archivausgabe "Another Self Portrait", die Dylans kontroverses Album um frisch ausgegrabene Musik ergänzt. Über die Distanz von 35 Songs, einige unbekannt, andere in ungehörten Versionen, vom Album "Self Portrait" sowie den unmittelbar davor und danach veröffentlichten Alben "Nashville Skyline" und "New Morning", soll der Blick auf diese umstrittene Phase in Dylans Karriere erweitert werden.

Das Album "Another Self Portrait" hier anhören.  

Die zweite Hälfte der Sechziger verlief für His Bobness turbulent. In nicht viel mehr als zwölf Monaten (1965/66) hatte er mit gleich drei Alben ("Bringing It All Back Home", "Highway 61 Revisited", "Blonde on Blonde") für maximale Furore gesorgt und sich dann in Woodstock versteckt. Nach seinem legendenumwehten Motorradunfall blühten die Gerüchte: Dylan sei tot, unheilbar schwer verletzt oder einfach nur ausgebrannt. Der Künstler schwieg zu allem. Was passte, denn Dylan war auch immer ein Genie im Mystifizieren der eigenen Biografie.

Kitschig, grell, rätselhaft, schlampig

Mit dem brillanten Album "John Wesley Harding" (1967) beruhigte er dann erst mal die Verehrermassen. Aber zunehmend fühlte er sich unwohl in der ihm zugeteilten Rolle als "Stimme einer Generation": "I wished these people would just forget about me", beschrieb Dylan seine Stimmung dieser Tage in einem "Rolling Stone"-Interview. Als dann 1969 das Country-Album "Nashville Skyline" erschien, waren viele seiner Jünger irritiert. Country? Dieser reaktionäre Mist? Und dazu noch sein schrecklicher neuer Gesang!

Aber dann sorgte Dylan mit "Self Portrait" und einem Abschied von seinem alten Sound und den alten Botschaften für wahre Panik unter seinen Getreuen. Darüber, was er mit diesem, nun ja, ungewöhnlichen Album tatsächlich bezweckte, streiten Experten bis heute. Wollte er tatsächlich seine erwartungshungrigen Fans abschütteln? Vermutlich! "We released that album to get people off my back", sagte er zwanzig Jahre später. Aber es gibt auch Spezialisten, die glauben, dass Dylan mit dieser merkwürdigen Musik eigentlich nur den Massengeschmack persiflieren wollte.

Fest steht, dass "Self Portrait" eine radikale Abkehr vom gewohnten Dylan-Sound war: überproduziert, kitschig, grell, rätselhaft, schlampig.

Dylan sei erledigt, hieß es danach. Die neuen, aus dem Archiv geborgenen Songs jener Ära belegen das Gegenteil. Denn ohne die üppigen Arrangements, also entschlackt, klingen viele "Self Portrait"-Songs so wie Dylan eigentlich immer war. So wie "In Search of Little Sadie", das Dylan in Bestform zeigt. Auch der damals ungenutzte Song "Thirsty Boots", geschrieben vom Dylan-Kumpel Eric Anderson, ist toll.

Dass Dylan sowieso unter keiner Schreibblockade litt, belegte auch das exzellente Album "New Morning", das nur vier Monate später erschien. "Another Self Portrait" ist aber auch ein guter Anlass, noch mal dem viel gescholtenen Original eine neue Chance zu geben. Denn dieses lustige, unterhaltsame, zuweilen großartige Album ist eine Wiederentdeckung wert und macht letztlich klar, dass Bob Dylan immer viel mehr Sinn für Humor hatte als alle seine strengen Verehrer.


Bob Dylan: Another Self Portrait (1969-1971) - The Bootleg Series. Doppel-CD, Sony Music; 17,99 Euro.

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