
Andrea Motis: Spätzchen aus Spain
Jazz-Hoffnung Andrea Motis Vorstadt-Wunder aus Barcelona
Jugendliche und sogar Kinder, die nicht auf Schlager, Disco oder Pop stehen, sondern auf Jazz? Das kaum Vorstellbare gibt es im Sant-Andreu-Viertel von Barcelona. Dort leitet der Jazzbassist und -Saxofonist Joan Chamorro die städtische Musikschule - und begeistert viele für seine Musik. Chamorro und seine Lehrer ermutigen die Schüler nach dem Unterricht auf den verschiedenen Instrumenten zum Zusammenspiel in kleinen Gruppen. So entstand 2006 die Sant Andreu Jazz Band. Das Jugendorchester aus Sieben- bis Zwanzigjährigen erfreute zunächst mit seinem Swing das Stadtviertel; inzwischen wurde es über Spanien hinaus bekannt; im März gibt die Sant Andreu Jazz Band vier Konzerte in Schweden.
Aus Zufall wird ein Mädchen Trompeterin
Das Orchester versteht sich als Amateurband, die Freude an der Musik vermitteln will; doch es öffnet auch Wege ins Berufsleben: 2014 hatten acht Ex-Mitglieder der Sant Andreu Band Jobs als Profis gefunden. Am weitesten brachte es Andrea Motis. Die Tochter eines Angestellten wollte als Siebenjährige in der Musikschule Geige oder Klavier lernen. Weil diese populären Instrumente aber ausgebucht waren, entschied sie sich für die Trompete, später kamen Saxofon- und Gesangsstunden dazu.
Schulleiter Chamorro erkannte ein Ausnahmetalent. Noch als Teenager wurde die Hochbegabte Solistin in der Sant Andreu Jazz Band. Auf einem Festival in Spanien hörte sie 2011 Quincy Jones. Der geniale Produzent, dessen Karriere als Trompeter begonnen hatte, holte die damals 16-Jährige zu einem Auftritt mit seinen Global Gumbo All Stars auf die Bühne. Doch bis Amerika rief, sollte es noch ein paar Jahre dauern.
In denen reiste Andrea Motis im Quintett ihres Lehrmeisters Chamorro durch die Welt und verinnerlichte dabei als Trompeterin und Sängerin den Kanon der Jazzstandards. Zum Repertoire der Band gehören zudem Latin-Songs und neuerdings Lieder in katalanischer Sprache. Die schreibt Motis selbst, denn die inzwischen 21-Jährige ist keineswegs auf Jazz fixiert. "Ich höre gern klassische Musik und Folklore aus Spanien und Irland", sagt sie, "ich mag Bossa Nova und Hip-Hop, alle Arten von guter Musik sind mir willkommen." Up to date hält sich die Musikerin über das Internet. Sie sammelt CDs und bevorzugt dabei die Label Blue Note und Impulse.
Dass sie nun ausgerechnet vom Traditionslabel Impulse nach New York eingeladen wurde und dort mit US-Kollegen ein Album einspielen konnte, beglückt die junge Musikerin. Nach einem halben Dutzend CDs in Spanien ist sie nun Künstlerin auf dem Label von John Coltrane. Impulse freilich angelte sich die junge Spanierin nicht ausschließlich, um ihr Talent zu fördern. Das Unternehmen erhofft sich von Motis einen ähnlichen Auftrieb, wie ihn Blue Note 2002 mit dem Engagement von Norah Jones erlebte.
Teenager-Eindrücke bestimmen den Musikgeschmack
Die Jazz-Branche braucht nämlich dringend junges Blut. Wie die Harvard Business School ermittelte, bleiben die meisten Menschen jenem Musik-Genre ihr Leben lang verbunden, für das sie sich als Teenager und Twens ("in their dating days") begeistert haben. Das erklärt, weshalb das heutige Jazz-Publikum zum großen Teil völlig überaltert ist. Weiterleben könnte der Jazz nur, wenn junge Musiker eine junge Fangemeinde hervorbringen. Doch die heutige akademisch ausgebildete Jazzer-Generation tendiert in ihrer Kunst eher in Richtung Klassik - der anderen Musikrichtung mit Minderheiten-Publikum.
Sind reif gewordene Jazz-Wunderkinder ein Ausweg? Etwa zur gleichen Zeit wie Motis nahm ein anderer europäischer Hoffnungsträger sein erstes Album in Amerika auf. Julian Wasserfuhr aus Hückeswagen bei Köln hatte wie seine Kollegin aus Barcelona den ersten Trompetenunterricht mit sieben Jahren.
Mit 17 nahm er in der Reihe "Young German Jazz" seine erste Platte auf - eine Hommage an sein Idol Chet Baker. Nun hat der inzwischen 28-Jährige mit seinem Piano spielenden Bruder Roman das Album "Landed in Brooklyn" eingespielt. Mit dem Saxofonisten Donny McCaslin und dem Bassisten Tim Lefebvre konnten die Wasserfuhrs zwei Mitglieder von David Bowies letzter Band als Partner gewinnen, und ihre Platte klingt weit druckvoller als das auf Gefälligkeit gebügelte Amerika-Debut von Andrea Motis. Ob das ein Plus für den Markt wird, ist eine andere Frage.