Antje Vollmer über Radioquote "Das ist keine nationalistische Deutschtümelei"

Antje Vollmer, kulturpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, sprach mit SPIEGEL ONLINE über die Forderung nach einer Quote für deutsche Musik im Radio und erklärt, warum sie glaubt, dass nur mit solch drastischen Mitteln die Vielfalt der Musikszene in Deutschland zu retten ist.

SPIEGEL ONLINE:

Bereits 1996 haben deutsche Rockmusiker eine Schutzquote für deutschsprachige Titel im Radio verlangt, aber sind damit auf wenig Gegenliebe gestoßen. Warum wird diese umstrittene Forderung jetzt wieder hervorgeholt?

Antje Vollmer: Die Situation hat sich seitdem dramatisch verschlechtert. Damals glaubten noch alle, dass sich auf dem freien Markt Qualität auch durchsetzen würde. Inzwischen merkt das Publikum, dass wir ein unsägliches Formatradio haben, bei dem uns einige wenige Hits und Oldies bis zum Überdruss vorgedudelt werden. Außerdem haben immer mehr deutsche Musiker verstanden, dass sie auf dem Markt - so konzentriert wie er ist - keinerlei Chance haben, egal wie gut sie sind.

SPIEGEL ONLINE: Welche Musik von welchen Künstlern sollte eine Quote denn überhaupt fördern?

Vollmer: Es gibt einen Aufruf, den inzwischen über 500 Künstler unterschrieben haben. Das reicht von etablierten Leuten wie Peter Maffay und Xavier Naidoo bis zu ganz jungen Immigranten, die sich mittels Musik ausdrücken. Sie alle sagen: Wir wollen, dass die Musik, die hier entsteht, auch via Radio zur Kenntnis genommen werden kann. Dabei haben sie sich allerdings bewusst nicht festgelegt, welche Musikrichtungen gefördert werden sollen, und auch nicht darauf, dass nur Musik mit deutschen Texten gefördert werden soll.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben gesagt: "Wir haben eine kulturelle Tradition zu verteidigen". Wenn wir von Rock- und Popmusik sprechen, verkörpern diese aber eine anglo-amerikanische Tradition, die mit deutschen Texten adaptiert worden ist.

Vollmer: Aber gerade fortschrittliche Menschen müssen doch darauf setzen, dass die Musiker, die in einem bestimmten Land und einer bestimmten Kultur leben, sich spezifisch mit den Eigenheiten dieser Kultur und ihrer eigenen Gesellschaft auseinandersetzen. Ich kann natürlich Madonna oder Sting hören, aber die werden nie einen Song schreiben, der sich kritisch mit dem auseinandersetzt, was in Deutschland geschieht.

SPIEGEL ONLINE: Sicher nicht. Abgesehen davon singen angloamerikanische Künstler natürlich auf Englisch, ihrer Muttersprache.

Vollmer: In seiner Muttersprache ist man doch am präzisesten, kann am besten Gefühle und Zwischentöne ausdrücken. Und wenn ich das fördern will, das ist keine nationalistische Deutschtümelei. Auch in Spanien, Italien oder Litauen wird derzeit intensiv über eine Quotierung zugunsten heimischer Musik diskutiert.

SPIEGEL ONLINE: Was die Idee nicht per se besser macht. Ist die "Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismus", wie es Ihr Kollege, der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, formuliert hat, schuld daran, dass nur so wenig deutsche Musik im Radio gespielt wird? Oder hat das auch etwas mit der Qualität deutscher Musik zu tun?

Vollmer: Das Feindbild "amerikanischer Kulturimperialismus" bemüht schon deswegen niemand, auch nicht Wolfgang Thierse, weil auch in Amerika wichtige Künstler, die etwas zu sagen haben, nicht oder kaum im Radio zu hören sind. Es regiert ein globaler Musiksound, und wir müssen uns fragen: Sind wir zufrieden, wenn die großen amerikanischen Plattenfirmen mit wenigen, durch gigantisches Marketing durchgesetzten Produkten weltweit abgreifen? Oder geben wir der kulturellen Vielfalt und den individuellen Hörgewohnheiten eine Chance? Besonders, wer in regionaler Kultur noch so etwas wie Aufklärung und Widerstandspotential sieht, muss etwas gegen die oligopole Struktur des internationalen Musikgeschäfts und ihrer Reproduktion durch die Medien tun.

SPIEGEL ONLINE: Sie sprechen von regionaler Kultur. Kulturministerin Christina Weiss hat hingegen die Radio-Quote zur Stärkung "unserer nationalen Musikkultur" gefordert. Das ist ein entscheidender Unterschied.

Vollmer: Wir haben zum Beispiel als nationale Tradition in Deutschland die Buchpreisbindung, die so gut wie kein anderes Land in der Welt hat, die uns aber eine vielfältige Verlagslandschaft sichert und dafür sorgt, dass unbekanntere Autoren gedruckt werden und kleine Buchhandlungen überleben können. Wir müssen bei den kommenden GATS-Verhandlungen darauf achten, dass solche Kulturtraditionen nicht als Wettbewerbsverzerrung eliminiert werden. Ich sehe den Kampf für eine Musikquote als ein Äquivalent.

SPIEGEL ONLINE: Die deutsche Literatur hat eine große Tradition, aber wir sprechen über Rock- und Popmusik, die seit den sechziger Jahren importiert und dann oft mehr schlecht als recht eingedeutscht wurde. Warum sollte eine Quotierung auf diese Musik beschränkt bleiben?

Vollmer: Wir beschränken uns nicht auf Pop und Rock, sondern werden bei der Anhörung des Kulturausschusses über Chancengleichheit für in Deutschland produzierte Musik oder Musik mit deutschen Texten sprechen. Absurderweise sind die Chancen, in den Medien gespielt zu werden, für Musik mit deutschen Texten erstaunlich unterschiedlich.

SPIEGEL ONLINE: Das müssen Sie genauer erklären.

Vollmer: Unsere öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bringen im Übermaß die so genannte deutsche Volksmusik, die gar keine originäre Volksmusik ist.

SPIEGEL ONLINE: Große Teile des Fernsehpublikums scheinen genau diese Art Musik zu mögen.

Vollmer: Ich bezweifle das Mandat. Die Programm-Macher ignorieren ihren Kulturauftrag, mit dem allein die Gebühren, die sie bekommen, zu rechtfertigen sind. Warum tun sie so wenig für klassische Musik, für Pop, Rock, für Liedermacher oder Immigrantenmusik?

SPIEGEL ONLINE: Setzt sich nicht Qualität doch oft auch gegen die nach unten nivellierenden Kräfte des Markts durch? Man denke an erfolgreiche deutsch singende Bands wie Wir sind Helden oder Die Fantastischen Vier.

Vollmer: Wir sind Helden sind von einem kleinen unabhängigen Label produziert worden und einem Berliner Regionalsender massiv unterstützt worden, der sich gegen den bundesweiten Trend für eine solche Band engagiert hat. Sie sind der weiße Rabe. Inga Humpe mit ihrer 2Raumwohnung schafft es auch, aber sie muss dafür unentwegt durch Talk Shows tingeln und sich sehr private Fragen stellen lassen, nur um auf ihre Musik aufmerksam zu machen. Sie unterstützt übrigens die Quote.

SPIEGEL ONLINE: Französische Rundfunksender müssen seit 1996 40 Prozent französischsprachige Titel senden. Davon dürfen mindestens 20 Prozent nicht älter als sechs Monate alt sein. Wären Sie auch für eine solche Anti-Oldie-Quotierung in Deutschland?

Vollmer: Auf jeden Fall, darum geht es doch! Es gibt auch etliche Musiker, die nur auf Neuerscheinungen quotieren wollen.

SPIEGEL ONLINE: Derzeit sind minimale 1,5 Prozent der im deutschen Radio gespielten Titel deutschsprachig. Bei einer Quote von 40 Prozent würden rund 30 mal so viele deutschsprachige Titel gespielt werden müssen. Da bekämen wir auch viel Schrott zu hören.

Vollmer: Da bin ich optimistisch, denn wir leben nicht in einer künstlerisch müden Zeit. Es gibt erstaunlich viel Hörenswertes - einzig bei den öffentlich-rechtlichen Sendern hört man nichts davon.

SPIEGEL ONLINE: Warum sollte eine Quote eigentlich nur für öffentliche rechtliche Radiosender gelten?

Vollmer: Sollte sie nicht. Es geht wie in Frankreich genauso um die privaten Sender.

SPIEGEL ONLINE: Wie sollte die Einhaltung einer Quote durchgesetzt werden?

Vollmer: Mit deutlichen Sanktionen bis hin zum Entzug der Sendelizenz.

SPIEGEL ONLINE: Als die Quote in Frankreich eingeführt wurde, geißelte sie die linke Pariser Tageszeitung "Liberation" als "dumm und böse wie jede Zensur".

Vollmer: Eine naive, wirklichkeitsfremde Auffassung. Ist es nicht auch eine Form von Intelligenz-Zensur, wenn uns die Radiosender mit einem immer reduzierteren Programm unterfordern?

SPIEGEL ONLINE: Wie groß sind die Chancen, dass es wirklich zu einer Quotierung kommen wird?

Vollmer: Ich bin optimistisch, dass ein oder zwei Bundesländer vorangehen werden.

SPIEGEL ONLINE: Welche?

Vollmer: Ich sage nur: Freiwillige vor!

Interview: Michael Sontheimer

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