Axel Zwingenberger über seinen Bandkollegen Charlie Watts »Als es stadionkompatibel werden sollte, ging der Groove verloren«

Axel Zwingenberger (l.), Charlie Watts (2. v. l.) bei einem Auftritt des ABC&D of Boogie Woogie 2011 in Paris: »Das im Stadion ist Arbeit, und mit uns, das ist Urlaub«
Foto:David Wolff - Patrick / Redferns
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Axel Zwingenberger, 66, erkannte nach Jahren des klassischen Unterrichts mit 17, dass man auch ganz anders Klavier spielen kann: Der gebürtige Hamburger wurde zum Boogie-Woogie-Musiker, spielte schon bald auch mit Größen der US-Jazz-Szene. In Deutschland gab er mit einigen Fernsehauftritten und dem seit dem 8.8.1988 jährlich ausgerichteten Festival The Hamburg Boogie Woogie Connection dem Genre einen Popularitätsschub. Zusammen mit dem englischen Pianisten Ben Waters und den Jugendfreunden Dave Green und Charlie Watts an Bass und Schlagzeug spielte er zwischen 2009 und 2012 Konzerte unter dem Namen The ABC&D of Boogie Woogie.
SPIEGEL: Herr Zwingenberger, wie haben Sie als Hamburger Jazzmusiker Charlie Watts kennengelernt?
Zwingenberger: Das war kurios: Ich wurde 1986 eingeladen, in London an einer Fernsehsendung zur Geschichte des Boogie-Woogie teilzunehmen. Ich wurde als einer der aktiven Protagonisten zu einer Studio-Session eingeladen, gemeinsam mit noch zwei englischen und einem amerikanischen Pianisten. Man sagte mir, es gäbe auch eine Rhythmusgruppe. Boogie-Woogie ist ja von der Basis her erst mal eine Klavier-Solomusik. Und wie sich herausstellte, war die Rhythmusgruppe Dave Green am Kontrabass und Charlie Watts am Schlagzeug. Das kann man heute noch auf YouTube besichtigen . Ich habe dann mit Charlie ein Duo gespielt, nur Schlagzeug, Piano, vor Studiopublikum. Das war das erste Mal, dass wir musikalisch zu tun hatten miteinander.
SPIEGEL: Haben Sie sich damals schon persönlich kennengelernt?
Zwingenberger: Kurz. Ich habe mich eher in den Bereichen klassischer Jazz und Blues bewegt. Da sagten mir die Rolling Stones gar nicht so viel.
SPIEGEL: Ehrfurcht hatten Sie also keine.
Zwingenberger: Mein Produzent Frank Dostal war auch mit damals. Wir kamen also in diesem Studiogebäude an, gingen in den Aufzug. Und dann hat sich noch ein grauhaariger, sehr distinguierter älterer Herr dazugesellt. Er hat gesagt, er sei der Drummer für die Show, ob wir zusammen spielen wollen. Und ich so: »Yes, we can try«. Mein Produzent ist fast in Ohnmacht gefallen: »Weißt du überhaupt, wer das ist?« Und ich so: »Nö« – »Charlie Watts, der Drummer von den Rolling Stones« – »Ah? Ja?«
SPIEGEL: Wie war Ihr Eindruck, als Sie mit ihm gespielt haben? Ganz ordentlicher Drummer?
Zwingenberger: Dass wir nur mit Piano und Schlagzeug gespielt haben, war für ihn eine Herausforderung, weil er es gewohnt war, mit Bassisten zu spielen. Wir haben uns aufeinander eingelassen, das ging unheimlich gut.
SPIEGEL: Jahre später hatten Sie dann die gemeinsame Band mit Charlie Watts: The ABC&D of Boogie Woogie. Wie passte das zu den Stones?
Zwingenberger: Das war zwischen 2009 und 2012, als die Stones nicht auf Tour gingen. Mit unserem Projekt haben wir zum Beispiel im St.-Pauli-Theater gespielt, ganz bewusst. Für Charlie war das wieder so wie in der Anfangszeit, als man auf Tuchfühlung war, auch musikalisch miteinander auf der Bühne, und gemeinsam improvisierte. Das hat er total genossen. Es war Programm, dass man auch nah an den Fans war. Die fanden das natürlich gigantisch. Wollten immer irgendwelche Infos aus uns rauslocken, ob wir wissen, was die Stones planen.
SPIEGEL: Hat Sie das eher genervt oder fanden Sie es amüsant?
Zwingenberger: Ich fand es amüsant. Viele Fans haben sich natürlich auch gefragt: Wieso spielt der jetzt plötzlich Boogie-Woogie?
SPIEGEL: Was ist Ihre Antwort darauf?
Zwingenberger: Auf den frühen Aufnahmen aus den Sechzigern hört man, wie gut die diesen Chicagoer Blues drauf hatten. Sie haben diese Musik wirklich begriffen. Später, als es stadionkompatibel werden sollte, ging der Groove ein bisschen verloren. Er ist zu subtil, um ihn über die ganz großen Rampen zu bringen. Aber Charlie hat sein Schlagzeugspiel immer beibehalten.
SPIEGEL: Hatten Sie den Eindruck, dass Ihre gemeinsame Band eine bewusste Gegenbewegung für ihn persönlich war?
Zwingenberger: Dazu hat er gesagt: Das im Stadion ist Arbeit, und mit uns, das ist Urlaub. Wir haben über 80 Konzerte gespielt, in Europa und in den USA. Einmal wurden wir für die Hauptbühne des Glastonbury-Festivals angefragt. Charlie hat nur gesagt: »Was sollen wir da? Völliger Quatsch! 100.000 Leute, die an der Rampe stehen, dafür gibt es ja die Rolling Stones.«
SPIEGEL: Wie dachten seine »Arbeitskollegen« bei den Stones darüber?
Zwingenberger: Die sind immer mal zu Konzerten gekommen. Am häufigsten Ron Wood und Bill Wyman. Keith hat uns mal in New York besucht und Mick in London. Die haben die ganze Zeit mitgeshaked. Jammen war aber ausdrücklich nicht erwünscht! Charlie hat gesagt: Nee, das ist meins! Ihr hört zu! Außerdem hat er Übungsmarathons abgelehnt, aber mit Begeisterung live gespielt. Die Stones wussten so also, der bleibt in Form!
SPIEGEL: Wie haben Sie Watts als Menschen erlebt?
Zwingenberger: Er war unheimlich lustig. Er hat sich selber als ganz normales Bandmitglied bei uns definiert. Es hat auch geholfen, dass Dave Green Bass gespielt hat, ein Kindheitsfreund von Charlie. Green ist einer der profiliertesten englischen Jazz-Bassisten geworden und Charlie eben der Schlagzeuger der Stones.
SPIEGEL: Was haben Sie mit den Nachbarsjungs von einst noch erlebt?
Zwingenberger: Was sie begeistert hat, war zum Beispiel ein Geschäft in Wien, wo man seltene Jazz-Schellackplatten bekommen konnte. Aus Sammlungsauflösungen. Stunden haben Dave und Charlie da immer verbracht, die Bestände durchgeflöht und Raritäten besorgt. Bei einer dieser Fahrten haben sie mal nicht das Taxi genommen, sondern die Tram. Charlie war anschließend total begeistert: »Stellt euch vor, ich bin in der Straßenbahn gefahren und niemand hat mich angesprochen!«
SPIEGEL: Wie endete Ihre Zusammenarbeit?
Zwingenberger: 2012 standen die Touren mit den Stones wieder bevor – zum 50-jährigen Bühnenjubiläum. Da war klar, dass für unser Projekt keine Zeit bleibt. Sie sind nicht mehr auf eine Riesenwelttournee gegangen, sondern haben kleinere Touren gemacht, aber dafür eine nach der anderen. In diesem mehr oder weniger andauernden Tourneemodus hat man nicht mehr die Lücken gefunden, um zuverlässig eine Weile zusammenspielen zu können. Jedes Mal, wenn wir miteinander telefoniert haben, ging es natürlich darum: »Mensch, müssen wir unbedingt wieder machen!« Wir hatten auch viele offene Einladungen, aber es ist letztendlich aus Zeitmangel nicht mehr dazu gekommen. Das ist natürlich sehr schade.