Elbphilharmonie-Premiere Happy Birthday mit Hannigan

Barbara Hannigan
Foto: Elmer de HaasNiemand ging! Das bekannte Elbphilharmonie-Syndrom des Publikumssschwundes in der Pause fand diesmal nicht statt. Offenbar waren nur wenige Zuhörer per Zufall und Kartenglück in den Genuss dieses interessant programmierten Konzertes geraten. Aber schließlich stand als Solistin auch die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan auf dem Programm.
Noch dazu mit einer durchaus fordernden Erstaufführung des italienischen Komponisten Salvatore Scirarrino, der mit der hochdramatischen Rilke-Vertonung "La nuova Euridice secondo Rilke" zu seinem 70.Geburtstag gefeiert wurde. Barbara Hannigan darf auch feiern: Ihre Hamburger "Lulu" in der Inszenierung von Christoph Marthaler wurde soeben von den Kritikern des Fachmagazins "Opernwelt" zur Insznenierung des Jahres gekürt.
Temperamentvoller Ausdruck
Hannigan, die auch als Dirigentin erfolgreich international aktiv ist, stürzte sich mit Feuereifer und temperamentvollem Ausdruckswillen in das schwierige Stück, das ihr alles an deklamatorischer Kraft und stimmlicher wie darstellerischer Gestaltungsfähigkeit abverlangte.

Salvatore Sciarrino
Foto: Luca CarraSciarrino, der sein Werk eine "dramatische Kantate" nennt, hatte aus Rainer Maria Rilkes Versen über den antiken Eurydike-Mythos von Liebe, Kunst, Verlangen und Verlust den Teppich gewebt, auf dem eine selbstbewusste Künstlerin wie Hannigan flott und mitreißend abheben konnte.
Sie ging mit dem rezitativischen Konzept Sciarrinos frei und extroviertiert um, griff bei allen kantablen Parts stimmlich fest zu und machte aus der Lyrik-Partie ihr ureigenes Stück: So rechtfertigte sich diese Erstaufführung als im besten Sinne künstlerisch eigenwillige und dem Werk angemessenen Version.
Erfindungslust und neue Klangwelten
Die Musik des 1947 in Palermo geborenen Salvatore Sciarrino fordert den Zuhörer zu großer Aufmerksamkeit und Lust aufs Detail, denn der Komponist erforscht mit Akribie und großer Erfindungslust neue Klangwelten, von der Stille bis zum emotionalen Ausbruch. Sein überaus vielfarbiges Werk - er schrieb Orchesterwerke, Kammermusik, zahlreiche Opern - erforschte beständig die Grenzen zwischen Stille und Klang. Niemals wollte Sciarrino übliche Musik erschaffen, und diese Freiheit nutze er mit Einfallsreichtum und auch mit Humor, wie sein Spiel mit den Effekten des Orchesterklanges zeigt.
Der New Yorker Dirigent David Zinman, langjähriger, prägender Chef des Zürcher Tonhalle-Ochesters, erwies sich als stilsicher lenkender Kapellmeister für diese Erstaufführung, denn seine sichere, aber nicht einengende Führung erzeugte pure Entdeckerfreude im NDR Elbphilharmonie Orchester.

David Zinman
Foto: Priska KettererDie dynamischen Gegensätze, die filigranen Verästelungen des Orchestersatzes wirkten zudem in ihrer Komplexität der analytischen Akustik des Elbphilharmie-Saales angemessen. Das Orchester hat zudem offenbar inzwischen besten Zugang zu den klanglichen Gegebenheiten der Elbphilharmonie, so dass man sich in Sciarrinos Welt sofort ebenso zuhause fühlte, wie die hinreißend klingende Barbara Hannigan.
Apollinische Klassik
Umrahmt wurde die Premiere zunächst durch Igor Strawinskys Streicher-Huldigung "Apollon musagète", die als Ballett konzipiert war und mit ihrer Referenz an die griechische Götterwelt inhaltlich mit Sciarrinos Eurydike korrespondiert. Strawinskys Werk stammt aus seiner neoklassizistischen Phase, in der er sowohl mit klassischen Strukturen, aber sich auch mit dem reinen Klang der Streicher-Ensembles aufs Neue auseinandersetzte.

NDR Elbphilharmonie Orchester
Foto: Michael Zapf/ NDRDazu inspirierte ihn das Apollinische bestens, volksliedhafte Elemente, gepaart mit durchsichtigem Klang mischen sich zu einer bildhaften Musik des Balletts. Wunderbar sanglich geriet in diesem Kontext das Solo des Konzertmeisters Roland Greutter, das dem Klangideal Strawinskys perfekt gerecht wurde.
Ein Fetzer zum Finale
Zum Abschluss duften die NDR-Philharmoniker mit Hector Berlioz' üppiger Orchestersuite aus seiner Oper "Die Trojaner" losfetzten - aber immer dankenswerterweise mit gebremstem Schaum, wofür wiederum der zügelfeste David Zinman sorgte.
Das "Sklavenballett" und die "Königliche Jagd und Gewitter" ließen die instrumenten Farben lodern, und im finalen "Trojanischem Marsch" zeigten Zinman und das von ihm stets mit optimal geführte Orchester, dass Intensität durchaus nichts mit Lautstärke und Effekthascherei zu tun haben muss. Ein schöner stilistischer Bogen von Strawinskys Intimität über Sciarrinos kapriziösem Detailreichtum zu Berlioz' Glanz. Eine gelungene Geburtstagsparty!