
Festival Pop-Kultur: Die neue Berliner Mauer
Anti-Israel-Protest beim Festival Pop-Kultur Es läuft alles schief
Die Gäste des Eröffnungsempfangs vom Festival Pop-Kultur in Berlin hörten in den Reden ein Wort immer wieder: Dialog, Dialog, Dialog. Und Diversity. Das Festival schwimme "gegen den Strom" und bilde Vielfalt auch auf der Bühne ab, sagt Kultursenator Klaus Lederer. Die Festival-Kuratorin Katja Lucker spricht von "Haltung" und "Dialog". Und Martin Eifler vom Bund beteuert, dass Boykott der falsche Weg sei.
Der Kultur-Pop muss sehr viel schultern, wonach ihn keiner gefragt hat, der Kulturpolitkersprech müffelt derweil nach Gemeindezentrum und wirkt wie aus einer anderen Zeit. Die Gegenwart aber lässt nicht lange auf sich warten, sie kommt im Kleid der Eskalation.

Festival Pop-Kultur: Die neue Berliner Mauer
Das Rumpelstilzchen ohne Namen: Die Aktivisten von BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen). Das weltweite anti-israelische Netzwerk, dessen Berliner Facebookgruppe überschaubare Mitgliederzahlen hat, ruft erneut zum Boykott des Festivals auf und setzt Musiker unter Druck, weil die israelische Botschaft einen Reisezuschuss von 1200 Euro zu Pop-Kultur beisteuert. Lärm und einige Absagen gab es schon letztes Jahr. Neu sind die vielen Plakate in der Stadt, die den Schriftzug des Festivals kopieren, eine apokalyptische Stadt zeigen und behaupten: "Pop-Kultur. Sponsored by Apartheid."
Hasserfüllte Sprachfetzen
Das Festival beginnt um 20 Uhr mit einer Diskussion unter dem englischen Titel "Boycott". Der Saal ist voll. Vorne sitzt die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron. Ihre letzten Bücher, die die Schwierigkeit der Annäherung an die palästinensische Seite auch emotional beschreiben, erscheinen zuerst auf Deutsch. Auf Hebräisch und Englisch ist das vielen zu riskant.
Als zweiter Gast auf dem Podium: Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer, der eben noch von Diversity sprach und nun in einer Runde sitzt, in der eine palästinensische oder arabische Stimme fehlt. Eine Steilvorlage für die vielen Aktivistinnen und Aktivisten des BDS im Raum.
Nach wenigen Minuten schreit der erste im Publikum das Podium nieder. Auf Englisch, dann Hebräisch. Er schreit "Apartheid", zeigt auf Doron und auf Lederer. Die Linke solle sich schämen, heißt es andauernd im einstündigen Störchor. Dabei kommt es zu kleinen Handgreiflichkeiten, größere werden von viel Sicherheitspersonal verhindert.
Zu etwa 90 Prozent hört man bloß hasserfüllte Sprachfetzen: "Sie sind Rassisten, die das Apartheidregime unterstützen"; "Sie sind der wahre Antisemit"; "Sie sind ein Krimineller"; "Wegen Linken wie Ihnen unterstütze ich den BDS". Klaus Lederer musste sich bestimmt noch nie so viele Beleidigungen auf einmal anhören.
Es läuft alles schief. Lederer redet sich um Kopf und Kragen, als er von "strukturellem Antisemitismus" der BDS spricht. Udi Aloni, israelischer Filmemacher und BDS-Unterstützer, flippt im Publikum aus und fordert von Lederer eine Entschuldigung: Ein Deutscher, der einen israelischen Juden als Antisemiten bezeichne?
Das hat Lederer streng genommen nicht getan, aber fast jede seiner Wortmeldungen macht es noch schlimmer. Im Vergleich zu den wenigen BDS-Aktivisten, die es mit Argumenten versuchen, wirkt Lederer in der Folge wie eine Fehlbesetzung, eine seltene Erfahrung für den rhetorischen Strategen.
Doch das Problem hat früher angefangen. Wie kann man in diesem Konfliktklima eine Diskussion mit dem Titel "Boycott" ansetzen, ohne den Konflikt direkt anzusprechen und ihn auf dem Podium abzubilden? Wer kommt auf die Idee, das Thema "übergeordnet" zu verhandeln, wie die Festivalleitung auf Anfrage schreibt?
Übergeordnet heißt hier: der Sache nicht gewachsen. Dieser Konflikt lässt sich nicht mehr mit Watte abtupfen in geschlossenee Gesellschaft mit Bändchen und Gratisbier. "Das macht keinen Spaß so", sagte die Moderatorin Shelly Kupferberg wiederholt. Sollte es das denn?
Komplexität der Konfliktlinien
Das Geschäft der BDS sind die Störung und autoritärer Druck auf alle, die sich ihren Interessen widersetzen. Dass man die Aktivisten hierzulande nur so kennt, hat aber auch damit zu tun, dass man sie nicht in den Dialog zwingt, von dem die Kulturfunktionäre immerzu sprechen. Die Mehrheit des BDS hat sich als Gesprächspartner diskreditiert, von selbstgerechten Zwanzigjährigen bis zu brabbelnden Alt-Alt-Achtundsechzigern tummelt sich da Einiges.
Aber es gibt sie, die Klugen, die Informierten, wer weiß: die Moderaten. Man muss die Komplexität der Konfliktlinien aushalten und sie sichtbar machen, auch wenn das gerade nicht zum Kamingespräch taugt. Nur so kann der Kulturbetrieb verhindern, dass er davon gespalten wird. Denn es gibt Leute, die haben die Absicht, eine Mauer zu bauen.