Antisemitismus in Deutschland "Wenn der deutschen Politik nicht bald was einfällt, wird ein Exodus stattfinden"

Nach dem Echo-Skandal hat sich der jüdische Rapper Ben Salomo aus der Hip-Hop-Szene verabschiedet. In seiner Autobiografie berichtet er nun von Diskriminierungen und Provokationen. Welchen Einfluss hat Battle-Rap wirklich?
Antisemitische Schmierereien an einer Gedenkstätte

Antisemitische Schmierereien an einer Gedenkstätte

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Zur Person
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Ben Salomo, 1977 in Israel als Jonathan Kalmanovich geboren, wuchs in Berlin auf. Mit seiner Battle-Rap-Reihe "Rap am Mittwoch" erreichte der jüdische Rapper Millionen Views bei YouTube. Aufgrund steigender antisemitischer Tendenzen im Deutschrap verkündete er im Mai 2018 seinen Rückzug aus der Hip-Hop-Szene. Nun veröffentlicht er die Autobiografie "Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens".

SPIEGEL ONLINE: Ben Salomo, wie sicher fühlen Sie sich als Jude in Deutschland?

Salomo: Das hängt davon ab, wo ich mich bewege - und wie ich mich bewege. Generell wird man tagtäglich mit Antisemitismus konfrontiert. Zum Beispiel in der U-Bahn, wenn Jugendliche einander als "Jude" beschimpfen.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch schildern Sie viele solcher Fälle. Seit frühester Kindheit wurden Sie diskriminiert, beleidigt und sogar angegriffen. Gibt es ein Erlebnis, das Sie besonders prägte?

Salomo: Mit 16 war ich auf der Party einer Freundin. Dort haben mich drei Typen gefragt, ob ich wüsste, wie die jüdische Nationalhymne geht. Und ich antwortete: "Es gibt nur eine israelische." Dann hielt mir der Anführer der Gruppe ein Feuerzeug unter die Nase, drückte aufs Gas und lachte.

SPIEGEL ONLINE: Hat Sie der Vorfall verändert?

Salomo: Damals realisierte ich, dass sogar dieses Menschheitsverbrechen genutzt wird, um Juden zu demütigen. Und mir wurde klar, dass mir so was überall passieren kann - dass ich es nicht abwenden kann.

SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben, dass sich die Situation für Juden in Deutschland noch verschlimmert hat.

Salomo: Antisemitische Erzählungen sind viel mainstreamiger geworden und werden im Internet tausendfach reproduziert: durch Facebook-Kommentare, Pseudodokus oder andere YouTube-Videos. Und sie kommen immer selbstbewusster und lauter zum Ausdruck, vor allem von drei Seiten: aus einem Teil der Migrantengesellschaft, verstärkt aus der rechten Ecke und auch von linksextremen Kreisen. Sie alle haben eine Schnittmenge: das Phantasma, das die Juden als eine Art Elite betrachtet, die im Stillen hinterlistig die Welt lenkt.

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Salomo, Ben

Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens

Verlag: Europa Verlag
Seitenzahl: 240
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04.06.2023 13.31 Uhr

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SPIEGEL ONLINE: Sie glauben, dass es für Juden bald ratsam werden könnte, Deutschland zu verlassen. So steht es in Ihrem Buch. Ist das nicht zu krass?

Salomo: Ich will kein Schwarzmaler sein, aber wenn der deutschen Politik nicht bald was einfällt, um diese Narrative zurückzudrängen, dann sehe ich innerhalb von fünf bis zehn Jahren eine Situation auf Deutschland zukommen, in der ein Exodus stattfinden wird - wie bei den Juden in Frankreich, von denen bereits derzeit einige das Land verlassen. Und es wird dann auch zu Übergriffen wie dort kommen, bei denen Juden sterben. Schon jetzt denken einige darüber nach, Deutschland zu verlassen.

SPIEGEL ONLINE: Auch Sie?

Salomo: Schon sehr oft. Aber es gab immer irgendwas, das mich zurückgehalten hat: Beruf, Freundin oder jetzt meine Familie.

SPIEGEL ONLINE: Aus der Hip-Hop-Szene haben Sie sich bereits zurückgezogen und im Mai Ihre Battle-Rap-Reihe "Rap am Mittwoch" (RAM) beendet. Sie schreiben, dass mit dem Echo-Skandal das "Ende der Fahnenstange" erreicht war. Wieso erst dann?

Salomo: Meine Entscheidung hatte ich schon ein halbes Jahr vorher getroffen. Aber beim Echo-Skandal war Antisemitismus auf einmal preiswürdig. Und das ist für mich ein Signal, dass wirklich Hopfen und Malz verloren ist - sogar außerhalb der Rapszene. Denn dieser Preis wurde von Jurymitgliedern verliehen und von einer Organisation, die einen Ethikrat hatte. Das Ende der Fahnenstange war vor allem außerhalb des Hip-Hops erreicht.

Kollegah (l.) und Farid Bang beim Echo 2018

Kollegah (l.) und Farid Bang beim Echo 2018

Foto: Jens Kalaene/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Die Preisverleihung wurde mittlerweile abgeschafft, fast alle Medien diskutierten die Lieder von Kollegah und Farid Bang. Warum glauben Sie, dass die Gesellschaft das Problem Antisemitismus im Deutschrap noch nicht erkennt?

Salomo: Inzwischen gibt es zwar mehr Stimmen, die das Problem sehen, und außerhalb des Hip-Hops wird lebhaft darüber diskutiert. Das eigentlich Gefährliche ist aber, dass der Deutschrap den Antisemitismus in der eigenen Szene nicht erkennt - und die Gesellschaft den Einfluss des Hip-Hops unterschätzt. Es gibt Leute, die Mitte dreißig sind und seit mehr als fünfzehn Jahren mit diesen Inhalten aufgewachsen sind. Leute, die vorher vielleicht überhaupt nicht mit Judenhass sozialisiert wurden, aber die nun einige Vorurteile für sich übernommen haben. Und es fehlt eine Idee, wie man das auf breiter Ebene zurückdrängen kann.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie ein Beispiel?

Salomo: Wenn Haftbefehl in seinen Videos von der Rothschild-Theorie spricht, kann ein 13-Jähriger kaum was damit anfangen. Der googelt und bekommt Tausende Ergebnisse - auch Videos, die extrem propagandistisch sind. Ein Clip führt zum nächsten, und so geraten die Leute schnell in einen Sog. Seit 2002 hat sich die Hip-Hop-Szene stark verändert.

SPIEGEL ONLINE: Wenn das Problem so lange besteht, warum brauchte es erst den Echo-Skandal für einen Aufschrei?

Salomo: Zu Beginn haben die Rapper ja nicht "Scheiß Jude" gebrüllt, sondern antisemitische Narrative nur mit unterschwelligen Botschaften in die Szene gebracht. Auf viele Fans wirkte das spannend: Nach Fanta Vier, Samy Deluxe oder Deichkind gab es auf einmal die Aggro-Attitude aus Berlin - und sie wurde immer erfolgreicher. Aber wer sollte auch für den Aufschrei sorgen: die Fanbase? Das sind halt Fans. Die Musikjournalisten?

SPIEGEL ONLINE: Was ist mit den Künstlern, die mit auf der Bühne stehen?

Salomo: Das ist nicht so einfach. Auch viele Künstler, die eher linkspolitisch sind, können sich mit einigen der Sprüche wie "Terrorstaat Israel" ganz gut identifizieren.

SPIEGEL ONLINE: Also haben Sie nicht das Gefühl, dass die Echo-Debatte irgendwas im deutschen Hip-Hop verändert hat?

Salomo: Nein, sie wurde viel zu verkürzt geführt. Es geht doch eigentlich darum, ob wir von einer Provokation reden oder von Ideologien, die verbreitet werden. Bei Kollegah ist das leicht zu beantworten. Er hat als Folge des Skandals Auschwitz besucht; dann gibt er ein Interview und vergleicht die Nazizeit mit dem Nahostkonflikt  - aber das lässt sich nicht vergleichen. Er ist in dieser Hinsicht nicht lernfähig und damit nicht der Einzige. Auch bei RAM gab es einige Künstler, die ihre zweifelhaften politischen Ansichten in grenzwertige Punchlines verpackten.

SPIEGEL ONLINE: Es war Ihre Veranstaltung. Warum haben Sie nichts dagegen unternommen?

Salomo: Bei Grenzfällen habe ich mir immer danach deren Facebook-Seite angesehen. Wenn die Rapper bestimmte Wörter nutzten, haben sie bei mir Hausverbot bekommen. Und das N-Wort, "Moslemsau", "Judenpack" - all das, was sich eigentlich nur im Nazijargon verorten lässt, war bei RAM generell verboten. Aber man muss auch die künstlerische Qualität beachten: Es gibt einen riesengroßen Unterschied zwischen "Du Judensau" und "Ey, du machst mich sauer, ich bin so respektlos und piss an die Klagemauer". Die Line ist zwar blasphemisch, aber nicht rassistisch.

SPIEGEL ONLINE: Feine Nuancen, die vielleicht nicht das ganze Publikum versteht. Am Ende sind es doch auch Zeilen, die hängen bleiben und weitergetragen werden. Warum stellt man nicht auch solche Zeilen infrage?

Salomo: Weil Battle-Rap nun mal Battle-Rap ist - eine Kunstform, bei der es zwei Protagonisten gibt, die einverstanden sind, sich gegenseitig hart zu dissen. Wer wirklich den Hip-Hop-Wertekanon lebt, weiß, dass solche Lines auf der Bühne bleiben und man sie nicht in seinen Alltag und seine Ideologie überträgt.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch stellen sie acht Punkte vor, die helfen sollen, Antisemitismus zu bekämpfen. Was ist der Wichtigste?

Salomo: Das ist wie bei einem Patienten, der an vielen Organen erkrankt ist. Wenn man nur eins heilt, wird nicht der ganze Mensch wieder gesund. Mir ist ein Umdenken in Bezug auf den israelbezogenen Antisemitismus wichtig - ein Einfallstor, durch das der alte Hass neuen Aufschwung bekommt. Auch die Unwissenheit in Bezug auf das Judentum, die Schoa und die Entstehung Israels ist ein Problem. In diesem Vakuum können sich Halbwahrheiten wunderbar breitmachen.

SPIEGEL ONLINE: Um in Ihrem Bild zu bleiben: Wie krank ist der Patient?

Salomo: Er braucht auf jeden Fall eine intensive Chemotherapie.

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