
Entdeckung Wolf-Ferrari: Ein Sturm legt los
Violinkonzerte mit Pop-Glanz Endlich mal ein paar Ferrari
Es beginnt wie eine Brise, doch sehr bald schon bricht ein veritabler Sturm los: Das Violinkonzert in D-Dur von Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948) verliert wenig Zeit, der Solist muss aus dem Stand höchste Brillanz zeigen. 1946 wurde das Werk uraufgeführt, doch es klingt wie eine Mixtur aus Klassik, Romantik, Spätromantik, sogar Spuren von Barock lassen sich finden. "Warum immer alles umstoßen, was gut war?" sagte der Meister Wolf-Ferrari aus Venedig einmal. Und damit war er einer der Unangepassten seiner Musikergeneration, die meist atonal, wienerschulisch oder zumindest wie Strawinsky schrieben.
Wolf-Ferrari wurde als Hermann Friedrich Wolf geboren, von seiner Mutter Emilia Ferrari übernahm er den Namenszusatz. Er schrieb während seines unsteten Lebens neben Konzerten auch Opern, Klavier- und Kammermusik. Und er litt wie viele Künstler unter Nazis und italienischen Faschisten. Daher pendelte Wolf-Ferrari häufig zwischen München, Salzburg und Zürich, bevor er später in seine Geburtsstadt Venedig zurückkehrte, wo er 1948 starb. Komponisten, die im 20. Jahrhundert an der Tonalität festhielten, galten nicht gerade als fortschrittlich. Doch Wolf-Ferrari pflegte mit Hingabe das spätromantische Erbe. Seine Konzerte klingen in Teilen so unwiderstehlich wie Popmusik.
"Ein fast zu schönes Konzert"
Wolf-Ferraris Violinkonzert, gewidmet der seinerzeit berühmten US-Geigerin Guila Bustabo, präsentiert sich denn auch als das Gegenteil hermetischer Kunst: Es überwältigt mit Wohlklang, mit offensiven rhythmischen Reizen, starken Kontrasten in Klangfarbe und Dynamik, es versteht sich so herrlich von selbst. Diese extrovertierte Vordergründigkeit war nie ein Verbrechen, Musik durfte immer plakativ und selbsterklärend sein. Giacomo Puccini und seine Opern sind es schließlich allesamt.
Es braucht für die Klangwelt Wolf-Ferraris aber Musiker, die mit Opulenz etwas anfangen können. Benjamin Schmid, Violine, und der Dirigent Friedrich Haider sind solche Künstler. Sie haben das Violinkonzert jetzt neu aufgenommen, nach dem Motto: Wer wagt, gewinnt. Dass man inmitten dieses Ferrari-Feuerwerks an Melodien und technischen Höchstleistungen nicht den Hauch einer Anstrengung spürt, überzeugt umso mehr.
Was sind bei einem solchen Stück die besonderen Herausforderungen für einen Interpreten? "Generell: ein fast zu schönes Violinkonzert nicht sentimental, sondern sensibel klingen zu lassen", sagt Benjamin Schmid. "Im Detail: die Form des ersten Satzes logisch vorzuführen, im zweiten Satz der Größe einer beeindruckend warmherzigen und gleichzeitig perfekten Komposition gerecht zu werden und im dritten Satz die sehr evidente Virtuosität funkeln zu lassen, ohne sie zur musikalischen Hauptsache zu machen."
"Das erinnert an den Maler El Greco"
Der Wiener Violinist Benjamin Schmid (Jahrgang 1968) ist nicht jedem Konzertgänger bekannt, doch seit vielen Jahren gehört er zu den gefragtesten und versiertesten Interpreten. Werke von Schönberg oder Korngold gehören ebenso wie das übliche klassische Programm zu seinem Repertoire. Auszeichnungen durch das britische Fachmagazin "Gramophone", der deutsche Echo sowie der Schallplattenpreis dokumentieren seinen Rang - wie auch inzwischen rund 40 CDs. Kein Mann des Boulevard-Ruhms, aber ein Könner von Rang. Er stammt aus einer musikalischen Familie: "Zum Geigen hat mich mein Großvater mit seinen herrlichen ungarischen Melodien gebracht, und mein erstes nachhaltiges Konzerterlebnis war ein Klavierkonzert", erinnert sich Schmid.
Der Dirigent Friedrich Haider leitete seit seinem Debüt 1984 vor allem Opernproduktionen in Wien, München, New York, Berlin, dazu Orchester von Mailand, Tokio und Paris bis Prag, Wien und Salzburg. Sieben Jahre war Haider Chef der spanischen Oviedo Filarmonia, mit der er auch die aktuelle Wolf-Ferrari-CD einspielte. Bei Wolf-Ferraris Violinkonzert ist Haider Überzeugungstäter: "Es ist ein absolutes Meisterwerk, das ich ohne zu Zögern in die vorderste Reihe der großen Solo-Violinliteratur stelle", sagt er. "Voll von betörend schönen Eingebungen, unendlich reich an Nuancen und mit grandioser Orchestration."
Haider bedauert, dass Wolf-Ferrari heute wenig geschätzt und selten aufgeführt wird. "Das erinnert an den Maler El Greco, der 200 Jahre nach seinem Tode langsam wiederentdeckt wurde und erst dann eine adäquate Einschätzung erhalten hat", sagt er. "Ein Kunstwerk steht eben immer ganz für sich alleine; und es befindet sich außerhalb dessen, was manche Kunsttheoretiker mit ihrem Metermaß meinen, nachmessen zu können."
CD. Ermanno Wolf-Ferrari: Wolf-Ferrari Violinkonzert, FARAO Musikproduktion, 19,90 Euro (im SPIEGEL-Shop erhältlich)