
Opernhaus-Renovierung: Der Steuerzahler muss blechen
Berliner Staatsoper BER der Kultur
Goethes Faust für die teutonische Tiefe und Robert Schumann fürs romantische Deutschlandgefühl - das Programm ließ zwar künstlerisches Raffinement und konzeptionelle Klarheit vermissen, war dem Anlass aber durchaus angemessen: Der Wiedereröffnung der Berliner Staatsoper zum 3. Oktober, dem Tag der Einheit.
Am Dirigentenpult stand Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, Regie bei der gefälligen Ouvertüre führte der scheidende Staatsoperintendant Jürgen Flimm. Und in der Mittelloge lächelte die Kanzlerin im roten Brokatjäckchen, die Hände zur Merkelschen Raute geformt. "Echtes Schulterreiben mit den Wichtigen und Schönen Berlins", jubilierte das Glamour-Magazin "Harper's Bazaar".
Dann war es auch wieder vorbei mit der großen Oper in Berlins historistischer Mitte. Der grundsanierte Musentempel aus dem friderizianischen 18. Jahrhundert schloss die Türen, die Handwerker legten wieder Hand an. Erst zwei Monate später startete der reguläre Spielbetrieb an der Staatsoper Unter den Linden.
Schleppende Opera buffa
Die Fake-Eröffnung zum Nationalfeiertag passte auch in anderer Hinsicht trefflich. Schließlich war die Sanierung der Staatsoper eine sich über ein Jahrzehnt schleppende Opera buffa, bei der Schein und Sein bis zum Finale nicht zusammenfanden, Politiker sich lächerlich machten und dem Berliner Steuerzahler das Lachen bald verging. Wie in der vorigen Woche, als Berlins Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) im Abgeordnetenhaus einräumte, dass die Sanierung des Opernhauses wohl noch einmal 40 Millionen Euro teurer wird, mindestens. Weniger wäre zwar besser, zufrieden ist die Senatorin dennoch. "Wir haben die Staatsoper auf Weltniveau renoviert", sagte eine Sprecherin, "sie funktioniert und spielt".
Die Mehrkosten sind auch der Opernhaus-Vorpremiere am 3. Oktober geschuldet. Damit das Haus für einen Tag bespielbar wurde, mussten die Handwerker noch einmal ran. Solche Beschleunigungsmaßnahmen mit Sonderschichten lassen sich Bauunternehmen extra vergüten. Dazu kommen eine Reihe von Baurechnungen, die weder geprüft noch beglichen sind. Zudem hat das Senatsamt für Bau noch keinen abschließenden Überblick, wie viele Nachforderungen die Unternehmen noch stellen. Dabei hat die Sanierung der Staatsoper schon jetzt fast das Doppelte gekostet von dem, was der Bauherr anfangs veranschlagt hatte: statt 239 Millionen rund 440 Millionen Euro.
Diese gigantische Kostensteigerung wird ausschließlich der Berliner Steuerzahler begleichen müssen. Denn der Bund hatte rechtzeitig seinen Anteil gedeckelt und private Sponsoren haben gerade mal drei Millionen Euro beigesteuert. Zugesagt hatten sie einst 30 Millionen Euro, doch die sind nie geflossen.
Wenn Berlin nicht Berlin wäre
Zu Beginn sah es aus, als hätte Berlin das große Los gezogen. Die Hauptstadt verfügt über drei Musiktheater, die Komische Oper im Osten, die Deutsche Oper im Westen und die Staatsoper, zu DDR-Zeiten als prestigeträchtige Nationalspielstätte genutzt. Die Sanierung der Staatsoper war somit eine Aufgabe für die gesamte Nation. So sahen das die Kanzlerin und ihr damaliger Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Mit knapp 200 Millionen Euro beteiligte sich der Bund daran, dem spätbarocken Knobelsdorff-Bau den alten Glanz zu verleihen und Bühnentechnik und Akustik heutigen Ansprüchen anzupassen. Die Hauptstadt hätte höchstens noch rund neun Millionen Euro beisteuern müssen. Theoretisch. Wenn die Renovierungsarbeiten nach Plan gelaufen wären - und Berlin eben nicht Berlin wäre.
2015 setzte das Berliner Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsauschuss ein, der klären sollte, warum bei der Sanierung der Staatsoper letztlich so ziemlich alles, was schieflaufen konnte, tatsächlich schief lief. Die Parlamentarier haben sich über ein Jahr lang durch Regalmeter von Akten gearbeitet und Dutzende Zeugen vernommen. Der Abschlussbericht ist über 600 Seiten stark und zeichnet ein Bild von Hybris und Dummheit - mit verantwortlich dafür, dass die Sanierung der Staatsoper erst vier Jahre später abgeschlossen war als geplant und doppelt so viel kostete.

Opernhaus-Renovierung: Der Steuerzahler muss blechen
So manches, was der Untersuchungsausschuss ans Licht brachte, erinnert an den havarierten Berliner Hauptstadtflughafen. Oppositionspolitiker verspotteten die Staatsoper als den "BER der Kultur". Und in der Tat war der Murks in einigen zentralen Punkten derselbe. Auch der politisch Verantwortliche war identisch: Klaus Wowereit, SPD, damaliger Regierender Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion.
Akustik auf Weltniveau
Die Kosten waren bereits 2008 zu knapp kalkuliert. Die staatlichen Bauherren änderten auch bei der Renovierung des Operngebäudes die Pläne, während schon gebaut wurde. Der Raumbedarf wuchs um fast 2000 Quadratmeter, Mehrkosten: 23 Millionen Euro. Und ständig kamen neue Sonderwünsche - vor allem von Generalmusikdirektor Barenboim. Die Decke musste angehoben werden, um die Akustik aufs gewünschte Weltniveau zu heben. Ausschreibungen wurden gekippt, auf einen professionellen Generalplaner verzichtet. Zeitverzug: zwölf Monate. Dann wurde auch noch der Planer für die Technischen Anlagen insolvent.
Doch Termine waren ohnehin meist politisch motiviert und wurden erst verschoben, wenn für jeden offensichtlich war, dass sie nicht zu halten waren. Erst sollte die Staatsoper 2013 wiedereröffnen, dann 2015. Schließlich wurde es Ende 2017. Derweil explodierten die Kosten. Allein jeder Monat Zeitverzug kostete eine Million Euro. Seit Baubeginn 2011 war die Staatsoper schließlich ins Schillertheater ausgelagert. Dazu stiegen die Baukosten. Allein die neuen Metalltore schlugen mit 1,4 Millionen Euro zu Buche - dreimal so teuer wie kalkuliert. Tischlerarbeiten, Außenfenster und Türen überstiegen den Kostenansatz sogar um sagenhafte 550 Prozent.
Prosaische Bauarbeiten
Neben Richard Wagners tragisch-lyrischer Liebesromanze "Tristan und Isolde" stehen inzwischen auch wieder ganz prosaische Bauarbeiten auf dem Spielplan der Staatsoper: das Dach muss noch ausgebessert, die ausgefeilte Bühnentechnik nachjustiert werden. Auch der Opernshop ist noch nicht fertig.
Lompschers Bausenatsamt stimmt sich derweil schon auf die nächste Opernhaus-Renovierung ein. Ab 2022 soll die Komische Oper in Berlin-Mitte grundsaniert werden und der Spielbetrieb ins Schillertheater nach Charlottenburg umziehen. Derzeit ermitteln die Beamten den Umbaubedarf. Die Kosten sind noch nicht bekannt - oder werden zumindest nicht verraten.