Berliner Band Die Türen Hier rockt das Prekariat
Man muss das Auswärtigen einmal versinnbildlichen, wie das so zugeht in Berlin-Prenzlauer Berg: Die Ladenwohnung ist mit ein paar Stühlen und Tischchen zum spartanischen Café hergerichtet, die Wände sind schlicht weiß, die Atmosphäre familiär und auf dem Herd köchelt ein Topf Gulasch. Der Besitzer serviert zur Mittagszeit selbstgebackenen Rahmkuchen und belegte Vollkornbrote, stellt garantiert keine Quittung aus, rechnet nicht eine einzige der vielen Überstunden ab und lebt am Rande des Existenzminimums. Kurz: Kaum drei Kilometer Luftlinie vom Regierungsviertel entfernt erstrahlen selbst prekäre Lebensverhältnisse in nonchalanter Anmut.
Hier - und das ist durchaus programmatisch zu verstehen - laden Maurice Summen und Gunter Osburg am liebsten zum Gespräch. Nennen wir das mal nachbarschaftliche Solidarität. Denn die beiden betreiben zwar eines von Berlins coolsten Plattenlabels und bilden zwei Drittel einer von Berlins coolsten Bands, aber leben wie der Café-Besitzer auch nur von der Hand in den Mund. "Das Spannungsverhältnis zwischen den zentralen Lebensbereichen Arbeit und Freizeit", sagt Summen, "das beschäftigt uns."
Offensichtlich. Denn das neue Werk der Band trägt zwar den etwas eigenwilligen Titel "Popo", stellt aber einen neuen Rekord auf: Niemals zuvor in der eher von der Suche nach zweifelhaften Vergnügungen geprägten Geschichte der Popmusik dürfte so oft das Wort "Arbeit" gefallen sein. "Popo" ist ein - ja, man kommt wohl nicht umhin, das so zu nennen - Konzeptalbum geworden, das das Zusammenfallen von Vergnügen und Arbeit erforscht. Das exakt den Moment markiert, an dem Sex, Drogen und Rock'n'Roll endgültig ins Museum verabschiedet worden sind. Um noch einmal relevant zu werden, das postuliert "Popo", darf Pop nicht mehr Glamour simulieren, sondern muss seine Themen im Alltag finden.
"Die Welt ist schlecht, allein von Arbeit kann man nicht leben"
Und Alltag sieht so aus: Plattenfirma, Band, kleines Büro, Patchwork-Familie, Praktikum und das nächste Projekt kommt bestimmt. "Eigene Lebensmodelle, Kreuz- und Querfinanzierung", beschreibt das Maurice Summen. Nur dass der Lebensentwurf Bohemien heutzutage unweigerlich dem bundesrepublikanischen Realitätstest unterzogen wird. "Label-Besitzer", sagt Osburg und muss erst mal lachen, "ist für uns eigentlich ein Ehrenamt. Der Lohn steht in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand." Wie um das zu illustrieren, ist Ramin Bijan, drittes Drittel von Die Türen, zum Interview verhindert, weil er mal schnell "eine kleine Schicht im Call-Center" einlegen muss.
Dort und in anderen ähnlich ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen finanziert eine ganze Generation um die 30 ihr Leben. Und damit auch die Kultur, die vielleicht noch nicht heute, aber möglicherweise schon morgen die relevante sein wird. Von ihr leben kann der Künstler nur in Ausnahmefällen. Das sind die Existenzrealitäten, die Die Türen auf "Popo" beschreiben in Songs wie "Pause machen geht nicht" ("Wenn der Sport der Bruder der Arbeit ist, dann ist die Kunst die Cousine der Arbeitslosigkeit"), "Der Blues kommt zurück in die Stadt" ("Sei nicht traurig, das letzte Hemd hat keine Taschen, Sei nicht traurig, da ist immer noch genug Pfand auf den Flaschen") oder "Im Norden ist der Süden am schönsten" ("Nur wer Arbeit hat, kann in den Urlaub fahren"). "Ehrliche Arbeit" schließlich lässt sich lesen als ein Beitrag zur Diskussion um den Mindestlohn: "Die Welt ist schlecht, allein von Arbeit kann man nicht leben".
Dieser DGB-Sound hat, man kann es sich denken, natürlich auch seine humoristischen Aspekte. "Popo", das Album, heißt nicht nur "schön knackig" (Summen) "wie ein Hintern" (Osburg), sondern seine Songs sollen auch, so Summen, "Albernheiten mit ernsten Themenkomplexen verbinden", um, ergänzt Osburg, "der Moralin-Falle zu entgehen". So wird Pop, endlich wieder, zur politischen Waffe: Denn Musik, meint Summen, kann immer noch "auf jeden Fall als Gefühlsverstärker funktionieren als Soundtrack für Reklame ebenso wie als Soundtrack zum Protest".
Damit sie gut klingt, diese Protestreklame, haben Die Türen nach zwei hoch gelobten, bisweilen spinnerten Platten aus dem Computer nun erstmals richtig Geld in die Produktion eines Albums investiert. Und das ist gut angelegt: Erstmals haben die Drei, ergänzt von zwei neuen Bandmitgliedern, wie eine klassische Rockband aufgenommen und klingen nun satt und warm, "nicht mehr wie ein kleiner Kutter, sondern wie eine luxuriöse Segelyacht", findet Summen.
Dada-Pop, altmodischer Boogie, Gitarren-Wichs-Solo
Unterstützt von Schlagzeuger Markus Spin und dem ehemaligen Blumfeld-Keyboarder Michael Mühlhaus sind Stücke entstanden, die Udo Lindenberg ebenso zitieren wie Ton Steine Scherben. Und noch viel mehr: "Eier" ist widersinniger Dada-Pop, "Daddy Uncool" ein überzeugt altmodischer Boogie, "Sudoku Mädchen" rockt bisweilen so stumpf wie Status Quo, "Pause machen geht nicht" mutiert zum Disco-Knaller und in "Everybodys Darlehen" wagen sie gar ein übles Gitarren-Wichs-Solo aus den Siebzigern. "Nicht modisch, aber auch nicht rückwärtsgewandt", findet Osburg den Sound, "clever recherchiert" sein Partner Summen.
So ist "Popo" nicht nur zum inhaltlichen Statement geworden, sondern auch zum musikalischen. Das für die Offenheit steht, mit der nicht nur die Band Die Türen, sondern auch Staatsakt, das gemeinsame Label von Summen und Osburg, an Musik herangeht. Vor "Popo" hat man dort bereits The Say Highs veröffentlicht, das Americana-Projekt von Bijan, oder den Prollpunkrock der Cockbirds, bei denen Osburg noch tätig ist. Andere Veröffentlichungen waren das Debüt von Glacier, der Band des Tocotronic-Gitarristen Rick McPhail, und Good Heart Boutique, eine Frauenband aus Frankfurt am Main. Demnächst erscheint auf Staatsakt das erste Solo-Album von Frank Spilker, dem Mastermind von Die Sterne. Die Verkaufszahlen bewegen sich aber trotz zum Teil euphorischer Kritiken traditionell im sehr niedrigen vierstelligen Bereich. Die Diskrepanz zwischen medialer Aufmerksamkeit und kommerzieller Verwertbarkeit, die Staatsakt erfährt, auch die ist rekordreif.
So macht man sich keine realistischen Hoffnungen, dass "Popo" zum Chartstürmer werden könnte. Aber auch ohne kommerziellen Erfolg sind Die Türen die Band, die diese Zeiten brauchen, weil sie die von Wir sind Helden oder Kettcar begonnene Repolitisierung des deutschen Pop auf ein neues Niveau heben. "Wir sind keine ideologische Band, aber wir sind eine politische, weil wir uns Gedanken über Politik im klassischen griechischen Sinne machen", erläutert Osburg, in einem früheren Leben Magister der Philosophie, Politologie und Publizistik, "weil wir über Gesellschaft und Gemeinschaft nachdenken." Die Ergebnisse dieses Nachdenkens mögen nicht immer allzu erfreulich sein. Aber selten klangen sie so gut wie bei Die Türen.
Die Türen: "Popo", Staatsakt/Indigo
Live: 15.11. Köln, 5.12. Leipzig, 6.12. Frankfurt, 7.12. Würzburg, 8.12. Neu-Ulm, 9.12. Wien, 11.12. Stuttgart, 12.12. München , 13.12. Nürnberg, 14.12. Darmstadt, 15.12. Hannover