Protestsänger Billy Bragg "Ich mag erwachsene Männer weinen sehen"
SPIEGEL ONLINE: Mister Bragg, sind Sie zahm geworden?
Bragg: Weil ich auf meinem neuen Album über Beziehungen singe?
SPIEGEL ONLINE: Ja.
Bragg: Ich bin kein politischer Songwriter, sondern ein wütender. Die Basis für all meine Lieder, persönliche wie politische, ist Frustration.
SPIEGEL ONLINE: Also frustriert Sie Ihre Beziehung?
Bragg: Es gibt in Partnerschaften immer Dinge, die einen ärgern. Man muss hart kämpfen, damit in einer langen Beziehung alles gut bleibt.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie mal ein Beispiel aus dem Alltag?
Bragg: In meinem neuen Song "Handyman Blues" (den Bragg exklusiv für SPIEGEL ONLINE gespielt hat, das Video finden Sie ein paar Zeilen weiter unten und auch hier) fragt mich meine Partnerin, ob ich etwas im Haus reparieren kann. Warum sollte ich? Ich kann andere Sachen viel besser. Songs schreiben zum Beispiel.
SPIEGEL ONLINE: Und das tun Sie dann, anstatt Ihrer Frau zu helfen?
Bragg: Das ist doch für alle besser! Einmal sollte ich ein Bild aufhängen und sie drückte mir einen Bohrer in die Hand. Keine gute Idee. Ich habe die Wand dermaßen beschädigt, dass wir am Ende ein größeres Bild kaufen mussten. Inzwischen fragt sie nicht mehr.
Das Video "Handyman Blues" hier ansehen.
SPIEGEL ONLINE: Das ist also das Geheimnis einer guten Beziehung.
Bragg: Das Geheimnis sind getrennte Badezimmer. Männer tun an diesem Ort andere Dinge als Frauen.
SPIEGEL ONLINE: Welche denn?
Bragg: Dinge, mit denen man seine Partnerin nicht behelligen sollte. Glauben Sie mir, es zahlt sich aus. Wir sind jetzt seit zwanzig Jahren zusammen.
SPIEGEL ONLINE: Sie bezeichnen sich selbst gern als "shepherd of heartbreak", als Hirte der gebrochenen Herzen. Das passt gar nicht zu Ihrer Vorzeigeliebe.
Bragg: Na ja, mein Song "Chasing Rainbows" handelt zum Beispiel davon, dass man die sonnigen Tage einer Beziehung nur genießen kann, wenn man die bewölkten aushält.
SPIEGEL ONLINE: Mit gebrochenen Herzen haben Beziehungsprobleme aber nicht viel zu tun.
Bragg: Stimmt. Und die Inspiration eines gebrochenen Herzens ist einmalig. Das Gute ist: Wenn man das einmal gefühlt hat, kann man es immer wieder fühlen.
SPIEGEL ONLINE: Und das soll gut sein?
Bragg: Fürs Schreiben schon.
SPIEGEL ONLINE: Was war eigentlich das Dümmste, das Sie je aus Liebeskummer getan haben?
Bragg: Ich habe eine Frau angerufen.
SPIEGEL ONLINE: Langweilig.
Bragg: Nein, nein, warten Sie's doch ab! Ich rief aus Dunedin an, in Neuseeland. Und zwar, weil der Ort auf der ganzen Welt am weitesten entfernt von London sein soll - wo sie gerade mit ihrem neuen Freund zusammenzog. Ich habe noch die Telefonrechnung über 273 Neuseeländische Dollar. Es war furchtbar. Aber immerhin hat mir diese Beziehung ein Break-up-Album beschert.
SPIEGEL ONLINE: Sie meinen "Workers Playtime"?
Bragg: Genau, purer Herzschmerz. Zuvor war ich viel zu fokussiert aufs Politische.
SPIEGEL ONLINE: Und alles endete mit Ihrem Anruf?
Bragg: Schlimmer, auf einer Brücke in London. Ich gab ihr das Tape vom Album und sagte, dass ich es für uns geschrieben habe. Sie nahm die Kassette und warf sie in die Themse. Ist das nicht toll? Es ist toll. Genau so muss es sein.
SPIEGEL ONLINE: Hm.
Bragg: Ich nutze Musik zum Ausgleich. Wenn ich ein Konzert gebe und alle klatschen, fühle ich mich nicht mehr so schlecht. Das ist wie eine Therapiesitzung.
SPIEGEL ONLINE: Auch für Ihr Publikum?
Bragg: Ein guter Songwriter gibt einem zumindest das Gefühl, dass man nicht der Einzige ist, der mal eine Beziehung versaut hat. Die Menschen brauchen das. Sie kaufen kaum noch Musik, aber sie gehen zu Konzerten - gemeinsames Fühlen ist wie eine Umarmung.
SPIEGEL ONLINE: Klingt ein wenig esoterisch.
Bragg: Ein Billy-Bragg-Gig ist wie ein Treffen der anonymen Romantiker. Alle klatschen und schluchzen: "Ja, das habe ich auch gemacht!" Das mag ich sehr. Ich mag erwachsene Männer weinen sehen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben sich ja vor Ihrem neuen Album gefragt, ob es heutzutage überhaupt Platz für einen alten Billy Bragg gibt.
Bragg: Die Musikindustrie hat sich in den letzten zehn Jahren extrem verändert. Ich war mir nicht sicher, ob sich noch irgendwer für mich interessiert.
SPIEGEL ONLINE: Und?
Bragg: Komischerweise ja. Anscheinend wollen die Leute hören, was ich zu sagen habe. Ist das nicht irre? Es ist dreißig Jahre her, dass mein erstes Album rauskam.
SPIEGEL ONLINE: Wie sehen die nächsten dreißig Jahre aus?
Bragg: Es wird sich viel verändern, unser Sohn geht bald zur Uni. Das wird eine spannende Zeit für uns.
SPIEGEL ONLINE: Endlich sturmfrei?
Bragg: Juliet und ich würden gerne zusammen reisen und Neues entdecken. Unterwegs werde ich natürlich heimlich Notizen für neue Songs machen.