
Bob Dylan in Berlin: Nostalgie unterm Regenschirm
Bob Dylan in Berlin Wo sind all die Handys hin?
Nostalgie? Pah! Vor kurzem fragte mich ein Musikmagazin nach meinen favorisierten Singer/Songwriter-Alben. Die hinteren Plätze fair zu besetzen, war schwierig, vorne aber, klar, musste Platz für "Blonde On Blonde" sein, Bob Dylans Meisterwerk von 1966, das Album, von dem noch heute jeder junge Mann schwärmen muss, der eine Gitarre in die Hand nimmt, um tiefsinnige, zornige, zynische, vielleicht auch traurige Lieder zu schreiben. Bob Dylan? Immer noch topaktuell.
Unfreiwillig bestätigte das die 18 Jahre alte Schwester meiner Freundin, soeben mit Abitur aus der Schule entlassen. Als wir ihr vom Konzert erzählten, leuchteten ihre Augen: Boah, echt? Würde ich auch gerne hin! Bieber? Flo Rida? Nichts da! Ausgerechnet Dylan, der 71-jährige Troubadour auf endloser Welttournee brachte das Teenager-Herz dazu, schneller zu schlagen. Hat sich Dylan also mit purer Beharrlichkeit aus den Deutungs- und Definitionszwängen der 68er befreit? Würde man am Montagabend in der mittelalterlichen Zitadelle zu Spandau gar eine Art Generationenübergabe erleben?
Kurz gesagt: nicht wirklich. Knapp 8000 Zuschauer hatten sich in der alten Festung versammelt. Anoraks in gedeckten Farben, graumelierte Bärte und Glatzen dominierten das Bild, der eine oder andere Anzugträger raschelte über den Kiesboden, teure Männerhüte ragten aus der Menge, Frauen nippten an Weißwein. Gesittet ging es zu, unaufgeregt. Während Bob Dylan, der seit 1988 kontinuierlich auf Tournee ist und zwischendurch noch Platten aufnimmt, ein rastloser "Rolling Stone" geblieben ist, hat es sich sein Stammpublikum nach dem Marsch durch die Instanzen im Bürgertum bequem gemacht. Wohlstandsbäuche, wohin das Auge blickte. Und Jüngere? Waren auch da. Allerdings kaum Teenies, dafür überraschend viele Mittzwanziger oder -dreißiger, die versuchten, zwischen den Festungsmauern ein wenig Woodstock zu spielen. Gelang natürlich nicht, und Bob Dylan, das muss man sagen, war dabei auch keine große Hilfe.
Der elektrische Klang des Epiliergeräts
Bereits am vergangenen Samstag hatte er ein Festival-Publikum in Kent damit schockiert, dass er sich einen schwarzen Konzertflügel auf die Bühne rollen ließ. Daneben spielte er natürlich auf seinem Korg-Keyboard, auf seiner Mundharmonika und der Gitarre. So auch in Berlin: Bob Dylans Country- und Folk-Revue war in der Stadt! Die Band hatte sich in enge, hellgraue Anzüge gekleidet, und auch Dylan selbst trug, passend zum gleichfarbigen Hut, eines dieser schicken Sakkos, allerdings über seiner gewohnten schwarzen Hose. Und los ging's, mit einer launigen Version des "Blonde On Blonde"-Gassenhauers "Leopard-Skin Pill-Box Hat", gefolgt von einem beschwingten "It Ain't Me, Babe". Jubel im Publikum? Eher anerkennendes Murmeln und Brummen, aber das muss man entschuldigen. Denn wie so oft bei Dylan erkannte man die Stücke erst nach ein paar Strophen, so verlässlich demontiert und rekonstruiert er seine Lieder und hält sie damit lebendig.
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist ein Dylan-Konzert oft eine etwas zähe Angelegenheit, denn die krähende Stimme des Meisters, früher noch zur Modulation fähig, wurde zuletzt auch auf den Alben tiefer und kehliger. Eine Freundin von mir verglich seinen Singsang einst mit dem enervierend monotonen Klang ihres elektrischen Epiliergeräts. Heute erinnert er eher an das trockene Bellen eines Hundes. Wohl auch deshalb fühlte ich mich in der Zitadelle an den pianospielenden Hund Rowlf aus der "Muppet Show" erinnert, und das meine ich ganz liebevoll!
Aber den Liedern hilft der Husten nicht weiter, so dass es Dylans Mundharmonika und der hervorragenden Band überlassen war, mit sehnender Pedal-Steel-Gitarre und entspanntem Country-Sound für Emotionen zu sorgen. Dylan selbst beschränkt sich ja seit Jahren darauf, allerhöchstens mal eine tänzelnde Handbewegung zu machen (bei der wundervoll schwebenden Version von "Tangled Up in Blue") oder keck die Zähne zu zeigen. Mit dem Publikum reden? Kommt gar nicht in Frage.
Böse Blicke für die Ausdruckstänzerin
Im Mittelteil des Konzerts, gefüllt mit neueren und unbekannteren Nummern, machte sich folgerichtig eine gewisse Langeweile breit. Lediglich eine irgendwie jung gebliebene blonde Dame verfiel in einen zuckenden, exaltierten Ausdruckstanz - und schon wehte ein milder Wind der Sechziger durch die Zitadelle. Hätten sich das mal ein paar mehr getraut! Doch die Tänzerin, gleich mit zwei Boyfriends angereist, erntete böse Blicke, vor allem von Damen mit strengen, silbrigen Kurzhaarschnitten, die sich wohl unter Druck gesetzt fühlten. Einer der Männer zog sich, als es kühler wurde, eine Skimütze über das schüttere Haar, darauf prangte Alberto Kordas berühmter Guevara-Kopf. Auf einer Skimütze!
Wie wohltuend dagegen das sehnsuchtsvolle Schauen einer ebenfalls etwas älteren, sehr hübschen Frau hinter mir, die ihr langes Blumenkinder-Haar von einst behalten hatte, als Dylan und Band gegen Ende wieder Fahrt aufnahmen und "Like A Rolling Stone" intonierten, die ewige Hymne des Hobos. Wohl alle 8000 Zuschauer, ob jung oder alt, hätten jetzt mitsingen können. Nur Dylan selbst nicht, weil er seine Stimme beim "How does it feeeel!?" eben nicht mehr in die Höhe schwingen kann - oder will. Der Respekt vor dem Künstler gebot es also, das Singen auf Murmeln und Mitsprechen zu reduzieren. Und so waren Publikum und Sänger im Knurren vereint, als es zu regnen anfing.
Jeder hört seine eigene Version
Eigentlich der perfekte Zeitpunkt für "A Hard Rain's A-Gonna Fall", doch die Nashville-Routine auf der Bühne taugte nicht für Spontaneitäten. "Highway 61 Revisited", "Ballad Of A Thin Man" und, zum Schluss, "All Along The Watchtower" sowie "Blowing In The Wind" rollten als gemächliche Midtempo-Nummern aus den Boxen, als seltsam aseptische Blaupausen, auf die sich jeder sein eigenes Bild malen kann. Und das taten dann auch die meisten, das sah man an den Gesichtern: Jeder hörte seine eigene Version, jeder reiste zurück in eine andere Zeit.
Die Bühne war da schon nicht mehr zu sehen, das verhinderte ein Meer von Regenschirmen - vielleicht kein Wunder, dass die Stimmung nun am besten war. Auffallend, dass weder Ältere noch Jüngere die Show durch den Sucher ihrer Digitalkamera oder das Display ihres Smartphones betrachteten, um den Moment festzuhalten. Alle hatten ihre eigenen Filme oder Bilder vor Augen, jeder steckte unter seiner eigenen Nostalgie-Glocke. Bob Dylan, so scheint es, ist ein Monolith, an dem der Zeitgeist zerschellt.
Kurzum: Ein gutes, beeindruckend entspanntes und musikalisch hochwertiges Konzert eines auch mit 71 Jahren versierten und ungebrochen idiosynkratischen Künstlers, der hoffentlich noch viele weitere Jahre auf "never ending tour" sein wird.
Doch was nimmt jemand davon mit, der zu jung ist, um biografische Verknüpfungen mit Dylan zu haben? Auf dem Nachhauseweg sagte meine Freundin, sie hätte gehofft, am Mythos Bob Dylan teilhaben zu können. Gespürt habe sie den alten, bellenden Mann aber nicht. Ging mir genauso. Aber so ist das nun mal mit Dylan: Den Mythos, den wollte er nie, den wollen nur wir. Weil er so schön wärmt unterm Regenschirm. Nostalgie? Ja.
Bob Dylan auf Deutschlandtournee: 3. Juli Dresden, Junge Garde; 4. Juli Bonn, KunstRasen; 6. Juli Bad Mergentheim, Lieder im Schloss