David Bowies letztes Album Der Tod als Kunstwerk

Ausnahmekünstler Bowie: Ein Abschiedsgeschenk
Foto: RALPH GATTI/ AFP"Look up here, I'm in heaven", so beginnt der Text von David Bowies neuester Single "Lazarus". Wie wir jetzt wissen, ist es die letzte, deren Veröffentlichung er noch erlebt hat. Nun grüßt er tatsächlich aus dem Himmel: David Bowie ist am 10. Januar 2016 gestorben, zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag, an dem sein letztes Album "Blackstar" erschienen ist.
Seiner offiziellen Facebook-Seite zufolge starb David Bowie nach 18 Monate währendem Kampf gegen den Krebs. Er ließ die Öffentlichkeit nichts von seiner Erkrankung wissen, obwohl er die Aufmerksamkeit der Musikwelt wegen des angekündigten Albums seit Wochen hatte.
Selbst gab er keine Interviews, seit Jahren schon nicht mehr, aber auch alle am Album Beteiligten hielten dicht, weder Produzent Tony Visconti noch die Musiker um den Saxofonisten Donny McCaslin, die ausführlich über die Entstehung von "Blackstar" sprachen, erwähnten Bowies Gesundheitszustand.
Mit dem Wissen um seinen Tod wirken die Umstände, unter denen sein letztes Album veröffentlicht wurde, wie eine finale große Pop-Geste. Dieser Satz klänge bei den meisten anderen Musikern zynisch, aber wir reden hier von dem David Bowie, der seine beliebteste Kunstfigur Ziggy Stardust den "Rock and Roll Suicide" sterben ließ; von dem Bowie, dem wir den Topos, dass Popstars sich beständig neu erfinden, überhaupt verdanken. Es wäre beinahe ein Wunder, wenn einer wie er sich keine Gedanken darüber gemacht hätte, wie er als Künstler abtreten würde.
"Sein Tod war nicht anders als sein Leben - ein Kunstwerk"
Tony Visconti, der Bowie schon seit den späten Sechzigerjahren kannte und bis zuletzt immer wieder der Produzent seiner Wahl war, bestätigt diese Vorstellung in einem Facebook-Post : "Sein Tod war nicht anders als sein Leben - ein Kunstwerk", schreibt Visconti. Er habe seit einem Jahr schon davon gewusst, dass Bowie "Blackstar" als "Abschiedsgeschenk" gedacht habe.
Die Verlockung, nun all die Klassiker aus David Bowies außergewöhnlicher Karriere noch einmal zu hören, ist groß. Doch nur "Blackstar" ist Bowies Abschiedsgeste. Manche Passage gewinnt dadurch eine ganz andere Bedeutung.

David Bowie: Sein Leben in Bildern
Das Video zu "Blackstar", dem Titelsong, eröffnet mit einem Astronauten im Raumanzug, offenbar gestorben auf einem fernen Planeten. Bei Bowie und Astronauten ist es praktisch unmöglich, nicht an Major Tom zu denken, den Raumfahrer aus Bowies erstem Hit "Space Oddity", den er später in "Ashes to Ashes" wieder auftreten ließ. Der zweite Teil des Zehnminutenepos "Blackstar", in dem der rhythmisch nervöse Anfang einer sanften Klarheit der Musik Platz macht, beginnt mit der Textzeile "Something happened on the day he died", doch niemand scheint ihm unersetzlich: "Somebody else took his place, and bravely cried". Tränen hatten am Morgen der Todesnachricht manche in den Augen, und es erscheint undenkbar, dass jemand David Bowie ersetzen könnte.
In dem "Blackstar"-Video trägt er ebenso eine Augenbandage wie auch im zweiten Clip zum Album, dem bereits erwähnten "Lazarus". Optisch erinnert die Maske an die im alten Ägypten bei Mumien genutzten Binden, mit denen die Körper der Verstorbenen bewahrt werden sollten. Auf den einleitenden Gruß aus dem Himmel folgt im Songtext zu "Lazarus" bald die Zeile "Everybody knows me now" - wobei es wohl auch schon vor seinem Tod nur wenige gegeben haben dürfte, denen David Bowie kein Begriff war.
Musikalisch ist "Lazarus" der elegischste Song des Albums, das Saxofon spielt einen melancholischen Lauf, und der Sänger singt "I'll be free" - ich werde frei sein. Der biblische Lazarus wird von Jesus vom Tode erweckt, der reale David Bowie ist nun tatsächlich tot. Doch er sah seinen baldigen Tod voraus, im Video zu "Lazarus" liegt er offenbar auf dem Totenbett, ist aber auch lebendig zu sehen, hektisch kritzelnd - als wolle er alles, was er noch zu sagen hat, schnell noch niederschreiben.
"Blackstar", das letzte Album, umfasst nur sieben Songs, zwei von ihnen waren bereits 2014 als Single zum Best-of-Album "Nothing Has Changed" veröffentlicht worden: "Sue (Or In A Season Of Crime)" und "'Tis a Pity She Was a Whore" - beide wurden allerdings für "Blackstar" neu aufgenommen. Dennoch: Es wirkt aus heutiger Sicht ein wenig so, als sei es Bowie darauf angekommen, unbedingt noch ein finales Statement zu vollenden.
Im Kehrreim des Songs "Dollar Days" wechseln immer wieder die Zeilen "I'm trying to" und "I'm dying to" - was im Englischen zwar "etwas unbedingt wollen" bedeutet, aber im Kontext des Tods eine bemerkenswerte Formulierung ist.
Und auch der letzte Titel des Albums, "I Can't Give Everything Away" beginnt mit den nun noch ominöser klingenden Worten "I know something is very wrong". Der Songtitel lässt sich verstehen, als habe der Sänger ein Geheimnis bewahren müssen - möglicherweise das Geheimnis der tödlichen Erkrankung.
Nach der Todesnachricht an diesem Montagmorgen lässt sich die zweite Strophe dieses musikalisch am versöhnlichsten klingenden Songs des Albums kaum anders als ein Vermächtnis anhören: "Seeing more and feeling less / Saying no but meaning yes / This is all I ever meant / That's the message that I sent".
David Bowie hat zahlreiche Bilder und Zeilen ersonnen, die sich in unser Kollektivgedächtnis eingegraben haben. Doch kann irgendjemand behaupten, sie alle bis ins Letzte, durch und durch entschlüsselt zu haben? Auf seinem letzten Album hat er Hinweise gegeben, Fährten gelegt, von denen sich manche nun, nach seinem Tode, besser deuten lassen. Dass trotzdem einiges offen bleibt, machte immer schon den Reiz des Pop-Künstlers David Bowie aus. Das wird bleiben.
Video: David Bowie ist tot