Britney Spears "Welche Zeichen will sie uns schicken?"

Britney Spears bei der Filmpremiere "Once Upon a Time...in Hollywood" (2019)
Foto:Valerie Macon/ AFP
Gerade hat Britney Spears ein Foto von sich als Henna-Tapete gepostet. Sie trägt einen Bikini, ihr Körper ist über und über mit Ornamenten in weißer Farbe bemalt. "Ich glaube, ich habe es ein bisschen mit dem Henna übertrieben", schreibt die Sängerin unter ihr Instagram-Bild, und ihre Follower reagieren darauf, wie sie in diesen Tagen auf jeden kleinen Äußerungsschnipsel der Sängerin reagieren: "Welche Zeichen will sie uns schicken?", fragt der tausendfach gelikte Top-Kommentar, und darunter bieten andere User sogleich ihre Deutungen an: Sieht dieses eine hüftwärtige Henna-Ornament nicht aus wie ein Totenkopf? Und stehen die Zeiger auf ihrer Armbanduhr nicht, wenn man so weit wie möglich in das Foto zoomt und ein wenig die Augen zusammenkneift, auf elf Minuten nach neun – also 9:11, beziehungsweise 911, die amerikanische Notfall-Telefonnummer?
#FreeBritney ist der Hashtag, unter dem sich auf Instagram und Twitter gerade Exegese-Brösel wie diese sammeln, von denen die meisten auf dasselbe abzielen: Spears, die wegen psychischer Probleme seit 2008 unter der Vormundschaft ihres Vaters steht, bittet, so glauben nicht wenige Menschen, mit codierten Hinweisen ihre Fans um Hilfe: die Rettung aus der gerichtsverordneten Gefangenschaft.
Semantische Schnitzeljagd
Dass es ihr gerade nicht wirklich gut geht, legen andere Postings nahe, so kann man vorsichtig sagen, ohne windige Ferndiagnosen anstellen zu wollen: Kleine Filmchen, in denen sie mit schmierkajaligem Schreckblick von links nach rechts irrlichtert; Postings, in denen sie erklärt, dass es ein Zeichen für die Anwesenheit von Engeln sei, wenn einem bei erbaulicher Lektüre plötzlich Rosenduft in die Nase steige. Und ein kurzes Video, in dem sie leicht fahrig vermeintliche Fanfragen beantwortet: Sie gehe jeden Tag zwischen halb elf und zwölf ins Bett, und ihr Lieblingsfilm sei "Frozen" – worauf die FreeBritney-Trüppler in besagtem Disneyfilm sogleich zu Minute 11:10 spulen und dort eine eindeutige Botschaft vernehmen: "Die Prinzessin sagt da: 'Ihr müsst ihnen befehlen, mich gehen zu lassen', und sie trägt dabei Handschellen. Das ist ein Zeichen von Britney!" Berechtigte Sorge um einen augenscheinlich angeknacksten Menschen wird zur semantischen Schnitzeljagd.
Immerhin rattern dieses Mal die Meme-Maschinen nicht. Die mediale Zurückhaltung, die reduzierte Berichterstattung zu Spears aktuellen Strauchlern ermuntert einen beinahe schon zur vorsichtigen Hoffnung, dass sich der öffentliche Blick auf psychische Blessuren tatsächlich geändert haben könnte. Kein Vergleich zur geierigen Belauerung, mit der 2007 und 2008 ihre ersten öffentlichen Zusammenbrüche ausgeweidet wurden, als Fotografen in den Krankenwagen blitzen, der sie abholte, und den Salon belagerten, in dem sie sich die Haare abrasierte. Und als psychische Krankheiten noch als Scherzvorlage und Gagmaterial gesehen wurden, als etwas, das sich auf eine Witztasse drucken lässt, mit der man dann Montags im Büro flachwitzig über den Wochenstart ächzen konnte: "Wenn Britney 2007 überlebt hat, wirst du auch diesen Tag überleben."
Wirkliche Not wurde so zu flamboyanten Schrullen geschrumpft: Wer in der verrückten Showbranche arbeitet, müsse sich eben nicht wundern, wenn er dabei auch selbst verrückt würde, selber schuld. Dass sich Spears Probleme nicht derart lapidar abtun lassen, zeigte sich spätestens im Januar 2019, als sie ihr geplantes Viermonats-Gastspiel in Las Vegas absagte und als Grund angab, sie müsse sich gerade auf ihre Gefühlsgesundheit konzentrieren. Als sie im April in eine psychotherapeutische Klinik eincheckte , ließ sich bereits deutlich mehr Empathie aus der Berichterstattung herauslesen als in den Jahren zuvor: Statt als neu aufgelegtes Spears-Spektakel betrachtete man ihre persönlichen Kämpfe als etwas, das man womöglich nicht verstand, dem man aber dennoch mit Empathie zu begegnen suchte.
Tatsächlich veränderte öffentliche Wahrnehmung
Womöglich liegt der veränderte Blick auf psychisch gebeutelte Berühmtheiten auch an einer zumindest vermeintlich gewachsenen Nähe: Statt auf Klatschblogs von den neuerlichen Eskalationen zu lesen, erlebt man sie über Twitter und Instastorys quasi live mit. Man liest nicht den schnippisierten und spitz gefeilten Kommentar, sondern sieht die Primärquelle, das Rohmaterial, das eben wirklich genau das ist: Rau und ungeglättet, was umso schmerzhafter deutlich wird, weil das Umfeld hier so filterpoliert und zurechteditiert ist.
Das ist nicht immer leicht auszuhalten, weil an solchen Zuständen natürlich nichts Pop ist, weil es hier nichts zu verglammern gibt. Kanye Wests Allmachtsfantasien und Selbstvergoldungen sind amüsant, solange sie nur egomane Auswürfe sind, nicht als mögliches Symptom einer bipolaren Störung. Womöglich ist es ein hoffnungsvolles Indiz einer tatsächlich veränderten öffentlichen Wahrnehmung, wenn seine Frau Kim Kardashian West nach seinen jüngsten verwirrenden Tweets eine höchst verständige Instagram-Botschaft postet: "Dass er mit einer bipolaren Störung lebt, macht seine Träume und kreativen Ideen nicht kleiner oder wertlos, egal, wie groß oder unerreichbar sie manchen erscheinen mögen." Und weiter: "Als Gesellschaft sprechen wir davon, dass wir dem Thema mentale Gesundheit mit Verständnis begegnen. Wir sollten dasselbe Verständnis auch den einzelnen Menschen schenken, die damit leben, und zwar dann, wenn sie es am meisten brauchen."
Paradoxe Umkehr des leuchtenden Starprinzips
Es ist eine fast paradoxe Umkehr des leuchtenden Starprinzips, dass Prominente wie Britney Spears und Kanye West, zu ihren besten Zeiten glorifizierte Podestmenschen, in ihrer Angeknackstheit nun womöglich die wichtigsten Botschaften vermitteln. Wenn Selena Gomez über ihre chronischen Ängste spricht und Justin Bieber ein Selfie aus seiner "Therapy Session" postet, versehen mit einem simplen Text: "it’s cool to have a healthy mind and healthy emotions." Prinz Harry gab vergangenes Jahr bekannt, zusammen mit Oprah Winfrey an einer Doku über psychische Krankheiten zu arbeiten – 2017 erzählte er in einem offenen Interview von seinen eigenen Problemen nach dem Tod seiner Mutter Diana, die er erst 20 Jahre später mit einer Therapie aufarbeiten konnte. Kanye West erklärte einmal, eine bipolare Störung sei nichts anderes als ein "verstauchtes Gehirn": "Eigentlich dasselbe wie ein verstauchter Knöchel. Aber wenn jemand einen verstauchten Knöchel hat, schubst man ihn nicht noch weiter herum. Bei einem verstauchten Gehirn machen die anderen Leute es oft noch schlimmer."
Auch, indem sie Erklärungen und Rechtfertigungen verlangen, die ihnen nicht zustehen, die kein Betroffener liefern muss, auch nicht, wenn er prominent ist. Britney Spears hat es schon 2007 trotzdem versucht, in einem Brief an ihre Fans, veröffentlicht auf ihrer Webseite. "Ich war so verloren", schrieb sie. "Ich war wirklich komplett am Boden. Ich glaube bis heute, dass nicht Alkohol oder eine Depression schuld war. Ich war wie ein schlimmes Kind mit einer Aufmerksamkeitsstörung." 2016 sagte sie in einem Interview, sie leide unter Panikattacken – schon eine widerspenstige Haarsträhne könne einen Angstanfall auslösen.
Es wäre ein Rückschritt, ihre Krankheit mit FreeBritney-Folklore wieder zu einem Spektakel zu machen. Auch wenn der Reflex verständlich scheint, ihre oft rätselhaften Postings mit detailversessener Exegese in sinnhafte Botschaften umdeuten zu wollen. Und natürlich kann man nicht ausschließen, dass Spears tatsächlich mit codierten Disney-Zitaten um Hilfe morst. "What Exactly Is Going On with Britney Spears? ", fragte eine "Vogue"-Überschrift im vergangenen Jahr, und vielleicht ist die Antwort darauf die wichtigste Botschaft: Man weiß es nicht. Man glaubt, diese Personen zu kennen, aber keiner kennt ihre Kämpfe.