Britpop-Legende Ray Davies "Ich bin kein auffällig guter Gitarrist"
Mit der Band The Kinks hat Ray Davies in den Sechzigern Britpop-Geschichte geschrieben. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview spricht der 65-Jährige über Songwriting im Halbschlaf, ein Kinks-Musical und seine neue Form der Rebellion: ein Chor-Album mit seinen größten Hits.
SPIEGEL ONLINE: Mr. Davies, in den sechziger Jahren wurden Sie und Ihre Band The Kinks mit wüsten Popsongs weltberühmt. Jetzt sind Sie 65 und haben einige Ihrer größten Hits wie "You Really Got Me" mit einem Chor neu eingespielt. Fällt Ihnen nichts mehr ein?
Davies: Blödsinn, der kreative Funke, der Lieder in meinen Kopf zaubert, ist mit 65 noch derselbe wie zu Teenager-Zeiten. Ich hatte nur den Wunsch, diese Lieder mal anders zu hören, Versionen zu schaffen, die so weit wie nur möglich von den Originalen entfernt sind. Das ist mir, glaube ich, gelungen.
SPIEGEL ONLINE: Langweilen Sie die Originalversionen?
Davies: Im Gegenteil, ich liebe die Originale, und es war nie meine Absicht, die Kinks-Platten neu einzuspielen. Ich habe mich mit diesem Projekt schwergetan, habe viel probiert, bis alles zusammenpasste. "Tired Of Waiting For You" zum Beispiel klang mit Chor fürchterlich. "Shangri La" war das erste Lied, mit dessen Resultat ich zufrieden war. Danach kam "Waterloo Sunset", was auch funktionierte, und von da an lief es.
SPIEGEL ONLINE: Was hält Ihr Bruder Dave, mit dem Sie einst die Kinks gründeten, von der Sache?
Davies: Keine Ahnung, wir haben keinen Kontakt. Er schreibt ab und zu - aber nur, wenn er mal wieder Geld will. Wir streiten viel, aber ich vermisse ihn auch sehr.
SPIEGEL ONLINE: In den Sechzigern prügelten Sie sich mit Dave auf der Bühne, noch vor zwei Jahren verfolgten Sie in New Orleans einen Straßenräuber, bis der Ihnen ins Bein schoss. Nun verwandeln Sie Ihre alten Rocksongs in einlullende Kirchenlieder. Sind Sie altersmilde geworden?
Davies: Im Gegenteil, ich bin immer noch ein Rebell, denn Rebellion ist der einzige Weg, um in der Musikindustrie, ja überhaupt in dieser Welt, zu überleben. Aber dummerweise ist Rebellion zumindest in England ausgestorben.
SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie darauf?
Davies: Ich habe bereits 1982 ein Lied über dieses Elend geschrieben namens "Young Conservatives". Warum? Weil ich eine Generation von stromlinienförmigen College-Absolventen bemerkte und mich erschreckte. Als ich in den Sechzigern studierte, wollte jeder meiner Kommilitonen irgendwie radikal sein und mindestens eine kleine Revolution anzetteln. Aber seit den Achtzigern ist aller Widerstand bei der Jugend verpufft. Ich habe den Eindruck, dass die Studenten heutzutage vor allem wild darauf sind, nicht aufzufallen, um möglichst schnell in einem großen Konzern unterzukommen. Es gab mal ein Schimpfwort namens Yuppie - das ist heute das Standardziel der Jugend! Rebellen sind in diesem Jahrtausend wohl uncool.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben mal zu Protokoll gegeben, dass Sie niemals gegen ihre Eltern aufbegehrt hätten. Das klingt auch nicht wirklich aufrührerisch.
Davies: Gegen was hätte ich denn da rebellieren sollen? Meine Eltern waren sehr hart arbeitende Menschen, die alles für mich und meine sieben Geschwister gaben. Ich wollte ihnen lieber mit meiner Musik Freude bereiten, als sie noch mehr zu stressen. Natürlich hasste ich meine Eltern ab und zu mal, aber das tut doch jeder normale Jugendliche.
SPIEGEL ONLINE: Was hielten Ihre Eltern von den Kinks?
Davies: Mein Vater mochte meine Lieder, meine Mutter war eher weniger interessiert. Sie hatte verfügt, dass zu Ihrer Beerdigung nur ein Lied gespielt werden solle, machte aber ein Geheimnis darum, welches. Ich erwartete passende Lieder von mir wie "Waterloo Sunset" oder "Days", aber sie entschied sich für "My Way" von Frank Sinatra. Eine eigenwillige Frau.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind mit sechs älteren Schwestern aufgewachsen und haben selbst vier Töchter. Was haben Sie über Frauen gelernt?
Davies: Meine aktuelle Freundin behauptet, dass ich ein Mann bin, der sich von Frauen kontrollieren lässt. Ein Missverständnis, ich liebe es vielmehr, unter Männern zu sein, so wie in einer Fußballmannschaft oder in einer Rockband. All die vielen Frauen in meiner Familie hat mir der Zufall zugespielt. Deswegen verstehe ich das weibliche Geschlecht noch lange nicht besser. Was ich kapiert habe, ist, dass Frauen mir rätselhaft sind. Männer und Frauen sind so verschieden wie Microsoft- und Apple-Computer.
SPIEGEL ONLINE: Immerhin verstand eine Ihrer Schwestern Sie so gut, dass sie Ihnen Ihre erste Gitarre schenkte.
Davies: Stimmt, meine große Schwester Rene. Zu meinem 13. Geburtstag bekam ich von ihr eine spanische Gitarre - am selben Tag starb sie. Sie hatte einen Herzfehler und immer wieder bekam sie zu hören, dass sie sich schonen solle. An meinem Geburtstag beschloss sie, dass sie nun genug Rücksicht in ihrem Leben genommen habe und ging tanzen. Allein ins Lyceum in London, wo sie einen fremden Mann aufgabelte und ausgelassen herumwirbelte, bis sie umfiel. Klingt traurig, ich fand es aber auch sehr romantisch. Sie ist tanzend gestorben, weil sie es so wollte.
SPIEGEL ONLINE: Klingt wie eine Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald.
Davies: Absolut. Mein Leben bietet unendlich viel Fitzgerald-Kurzgeschichten-Stoff.
- 1. Teil: "Ich bin kein auffällig guter Gitarrist"
- 2. Teil: "Franz Beckenbauer war mein Idol"