CD-Kritik Westbam: "We'll Never Stop Living This Way"

Schön schief: Maximilian Lenz beweist geistige Potenz und macht aus Techno Funk.
Von Michael Pilz

Berlin im Herbst 1997. Westbams CD gehört. Gestaunt. "We'll Never Stop Living This Way" ist produziert als einstündig durchgängiges Opus, das den deutschen DJ-Meister weit von seinem Techno entrückt. Es ist das Album nach den machtvollen Liebesparaden. Da tänzelten sie zu Hunderttausenden, den Berliner Beton unter den Füßen, den Schweiß unter den Achseln und die Sonne im Herzen. Dr. Motte befahl: "Habt euch alle lieb!" und schenkte seiner Love Parade ihren Soundtrack. Dr. Motte und DJ Westbam schufen "Sunshine", den Hit als Souvenir des Umzugs.

Immerhin trug das Stück Westbam wieder auf den Gipfel der Charts. Zum zweiten Mal in diesem Jahr nach "Sonic Empire", der Hymne zum Mayday-Spektakel. Beide Nummern schlugen ein als übliche Techno-Tracks. Sie waren weitgehend frei von überraschenden Momenten und gewagten Angriffen auf die Partyidylle. Westbam stellte für den Herbst ein neues Album in Aussicht und drohte, beide Hits zu berücksichtigen.

Unter den Titeln auf diesem Album sind "Sunshine" und "Sonic Empire". Im zurückhaltenden Vier-Minuten-Remix bleiben die Schlager allenfalls leichtfertige Zäsuren im Fluß dieser elektronischen Tanzmusik - die mitunter nicht einmal das ist. Im Entwurf "Die Dunkelsequenz" verirren sich die erwarteten Marschtakte in finstrem Dub und veschwinden unter den Verwerfungen von Drum 'n' Bass.

Später sind nervenzerrende Dauertöne und röchelnde Sumo-Ringer zu hören. Westbam gönnt seinen Stücken wieder mehr Zeit, sich behutsam aufzubauen, Erwartungen zu schüren, hinzuhalten und bei Bedarf zu betrügen. Ein sehr gescheites Spiel mit Sampler und Sequencer, mit Pult und Plattenspieler. "We'll Never Stop Living This Way" als Rechtfertigung? Die Platte als Nachweis der geistigen Potenz des Techno?

Westbam ist eine V.I.P., und er bezieht seine Berühmtheit aus jenem beliebten Zwiespalt: Helge Schneider ist eigentlich ein begnadeter Musiker. Christoph Schlingensief ist eigentlich ein ausgesucht netter Mensch. Und hinter Westbam steckt eigentlich der kluge Kopf Maximilian Lenz. Und macht trotzdem Techno. Der nannte Alben "Bam Bam Bam" und schrieb Manifeste ins Beiheft mit Fußnoten und Adorno-Syntax. Zum Gewährsmann seiner Klugheit wurde der Dichter Rainald Goetz. Mit ihm verfaßte er das Buch "Mix, Cuts & Scratches". Darin steht ein bemerkenswerter Satz, der auch auf der CD notiert ist: "Funk ist immer, wenn etwas schief geht."

Techno geht zunehmend schief. Westbam macht Funk und kommt so versonnen zu sich: zum Elektro-Funk Africa Bambaataas, von dem der Westfale einst den Suffix seines Künstlernamens stahl. Aus der uniformen Maschinenmusik erwächst nun eine zeitgenössische Discomusik. "Wieder so eine Art Ursuppe", erklärt Westfalia Bambaataa in Buch und Booklet. Kraftwerk kommt vor; "Born To Bang" beruht auf der siebziger Jahre-Altlast "Born To Be Alive" von Patric Hernandez. In "Free Me" deliriert die Gruppe Visage neoromantisch aus dem Sampler. Und all das ohne Quellenangabe in anarchischer DJ-Piraterie auf einem Album jenseits von Love Parade, Volksrave und Technostadl. Man höre und staune.

Westbam: "We'll Never Stop Living This Way" (Low Spirit/BMG Ariola)

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