Fotostrecke

Charlie Hadens "Sophisticated Ladies": Hoffnungslos romantisch

Foto: Thomas Dorn

Charlie-Haden-Album Romantik ist die bessere Antwort

In seinen wüsten Zeiten gehörte der Bassist Charlie Haden zu den Erfindern des Free-Jazz. Für sein neues Album hat er mit Pop- und Jazz-Sängerinnen ein Werk der sanften Töne aufgenommen.

Eines - das muss man gleich zu Beginn sagen - hat der Bassist Charlie Haden dem Pianisten Herbie Hancock schon mal voraus. Wer von Haden als Gast-Musiker ins Studio eingeladen wird, schafft es auch auf die Platte. Auf Hancock ist da nicht immer Verlass.

Diana Krall

Norah Jones

Das neue Album des amerikanischen Ausnahme-Bassisten heißt "Sophisticated Ladies". Er nahm es mit seinem "Quartet West" auf und lud dafür - der Name der Platte verrät es - eine beachtliche Reihe von Sängerinnen ein, darunter , Cassandra Wilson, oder Hadens Ehefrau Ruth Cameron. Sie tragen zu dem Album Evergreens wie "A love like this", "My love and I" oder "Goodbye" bei.

Als Hancock vor drei Jahren das Album "River - The Joni Letters" einspielte, lud auch er eine Menge Damen ein, um der Singer-Song-Writerin Joni Mitchell und ihrem Werk ein Denkmal zu setzen. Damals war die Sängerin Melody Gardot mit von der Partie, die unter der Ägide von Hancock und seinem Saxophonisten Wayne Shorter ein bezauberndes "Edith and the Kingpin" interpretierte. Doch nicht Gardots Version schaffte es auf Hancocks CD, sondern die wohl verkaufsträchtigere Variante der Soul- und Rockröhre Tina Turner. Melody Gardot war damals noch eine Exotin, kaum bekannt, sie hatte gerade mal ein Debüt-Album mit knapp 40 Minuten Laufzeit veröffentlicht. Hancock entschied sich für die sichere Bank.

Warum denken Jazzmusiker so oft, Streicher würden ihren Stücken mehr Ausdruck verleihen?

Diesen Fehler beging Haden nicht, was nicht heißt, dass das neueste Werk des ehemaligen Revoluzzers gänzlich fehlerfrei ist. Gleich zu Beginn begrüßt Gardot den Hörer mit dem Klassiker "If I'm lucky" - und es ist ihr anzumerken, dass sie mehr als glücklich ist, von einem Jazz-Granden wie Haden als eigenständige Künstlerin wahr- und ernst genommen zu werden. Das ist natürlich kein Fehler. Eher schon die Streicher, die Gardots zarte Stimme umhüllen, um nicht zu sagen, verhüllen. Auch von den lockeren Läufen des Pianisten Alan Broadbent lenken sie ab. Selbst der sonore und erdige Sound von Hadens Stamm-Saxophonisten im "Quartet West", Ernie Watts, hat kaum eine Chance gegen das liebliche Gesäusel von Geige, Cello und Bratsche.

Warum eigentlich? Warum meinen Jazzmusiker so oft, ein Streicher-Arrangement würde ihren Stücken mehr Ausdruck verleihen? Klar, wie schon alle sechs Vorgänger-Alben des Mitte der achtziger Jahre in Los Angeles gegründeten "Quartet West", verschreibt sich auch "Sophisticated Ladies" den eher wohligen Klängen, den balladesken, den sinnlichen, ganz in der Film-noir-Zeit verhafteten. Im Hollywood der vierziger und fünfziger Jahre wurden die Filmmusiken nun mal mit Streichern untermalt. An der Reminiszenz auf diese Epoche ist nichts auszusetzen. Doch die Live-Auftritte von Haden, Broadbent, Watts und Drummer Lawrence Marable beweisen, dass das Quartett ein Streichorchester gar nicht nötig hat. Man kann sich auch ohne Geige rückbesinnen - auf der Bühne beweisen sied das eindrucksvoll.

Auch auf "Sophisticated Ladies" kann man sich davon überzeugen, dass weniger oft mehr ist. Jene Stücke, die in klassischer Quartett-Formation eingespielt wurden, sind die stärksten, etwa "Ill Wind" mit Norah Jones, "My old flame" oder "Broken Shadows", jene beiden Instrumental-Stücke, bei denen Hadens unverwechselbar nonchalant und reduziert singender Ton am besten zur Geltung kommt.

Ornette Coleman

Keith Jarrett

Haden war einst ein zorniger Mann. In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren erfand er mit dem Altsaxophonisten quasi im Alleingang den Free-Jazz. Mit seinem Liberation Music Orchestra rebellierte er gegen ein profitorientiertes, kriegslüsternes und gefühlskaltes Amerika. Doch Haden scheint kapituliert zu haben. Je verquerer die Lage in seinem geliebten, aber politisch gespaltenen Heimatland wird, desto sanfter wird der Bassist. Tea Partys, andauernde Kriege, Gier an den Finanzmärkten - früher bekämpfte der Bassist solche Auswüchse wütend mit für viele disharmonisch klingender Musik, heute liebt er es hemmungslos romantisch. Erst vor kurzem spielte er die wunderschöne Duo-Platte "Jasmine" mit seinem alten Weggefährten ein. Nun die melodiöse CD "Sophisticated Ladies". Vielleicht ist Romantik die bessere Antwort.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten