Warteschleifenmusik für die Impfhotline »Beruhigend, ohne gleich nach Fahrstuhl zu klingen«

Nummer 116 117: »Moll ist schwierig, Moll ist immer traurig«
Foto: Sebastian Gollnow / dpaSPIEGEL: Herr Geiger, Sie haben, unter Ihrem Künstlernamen »Chillheimer«, die Musik für die Warteschleife der Impfhotline komponiert. Wie sind Sie an diesen Auftrag gekommen?
Geiger: Mich hat die Firma angerufen, die die Telefonansage für die Hotline gemacht hat. Die brauchten noch Musik, um das ein bisschen freundlicher zu gestalten. Allerdings ging es damals um Hessen. Wieso das nun in Hamburg zu hören ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht.

Bernard Geiger, 41, wusste seit der achten Klasse, dass er Musik machen möchte und ist »dann so reingeschlittert«, wie er sagt. Von seinem Hobby leben kann er seit 2001. Seine ersten Aufträge waren Loops für das Musikprogramm Magix Music Maker, vor zehn Jahren hat er sich dann selbstständig gemacht und vertreibt mit seinem Label Evermusic hauptsächlich GEMA-freie Musik. Von einigen während der Kindheit erlernten Musikinstrumenten spielt er heute nur noch Klavier und Keyboard als Eingabegerät für den Studio-PC, hin und wieder mal Gitarre sowie ab und zu Akkordeon für seine beiden Kinder.
SPIEGEL: Gab es konkrete Vorstellungen, was es für ein Song sein soll, oder haben Sie Vorschläge gemacht?
Geiger: Ich wurde nur gefragt, ob das grundsätzlich möglich wäre mit unseren Musiktiteln, dann wurde über den Preis verhandelt, und danach habe ich nichts mehr gehört. Bis eben wusste ich gar nicht, dass der Auftrag angenommen wurde, und auch nicht, welcher Titel es geworden ist. Aber »Cozy« ist definitiv passend, so etwas hätte ich auch vorgeschlagen: beruhigend, ohne gleich nach Fahrstuhl zu klingen – ein Ohrenschmeichler.
SPIEGEL: Wie ist der Song entstanden?
Geiger: Den habe ich 2006 für ein Computerspiel geschrieben, das leider nie erschienen ist. Der Track war für ein Level, in dem es friedlich zugeht. Der Soundtrack ist komplett fertig und kann auf Spotify angehört werden.
SPIEGEL: Sonst hat er keine große Karriere gemacht?
Geiger: Nein.
SPIEGEL: Freut es Sie, dass jetzt viele Menschen in Deutschland Bekanntschaft machen mit ihrem Lied?
Geiger: Der Kontext ist vielleicht nicht so erfreulich, aber es gefällt mir natürlich immer, wenn meine Musik gehört wird und vielleicht sogar einen positiven Effekt hat. Wobei die Leute ja nicht wissen, dass sie von mir ist. Das ist das Problem in meiner Nische, der Gema-freien Musik: Es ist Funktionsmusik, der Künstler bleibt im Verborgenen. Ich habe nichts dagegen, wenn die Urheberschaft jetzt bekannt wird. Grundsätzlich bin ich aber nicht der Typ, der sich auf die Bühne stellt und groß Trara macht. Ich bin zufrieden, wenn ich zu Hause an meinem Rechner Musik produzieren und davon leben kann.
SPIEGEL: Da wir gerade davon sprechen – sind Sie dann wenigstens reich geworden mit dem Auftrag?
Geiger: Nein. Ich habe hoch gepokert, wurde aber ziemlich runtergehandelt.
SPIEGEL: Was verdient man denn mit so einem Song? Andere Musiker werden ja danach bezahlt, wie oft ihre Songs gespielt werden.
Geiger: Für kleine und mittelständische Unternehmen kostet ein Titel zwischen 19 und 79 Euro. Für große Firmen und Behörden wird der Preis je nach Reichweite verhandelt. Für Hessen war das im mittleren dreistelligen Bereich.
SPIEGEL: Hat denn die Coronakrise auch Auswirkungen auf Ihr Unternehmen?
Geiger: Als es losging, war es richtig hart. Die Aufträge sind um 80 Prozent eingebrochen. Ich bin froh, dass ich damals die Corona-Hilfen gewährt bekommen habe. Wenn das drei, vier Monate so weitergegangen wäre, gäbe es mich jetzt nicht mehr. Es hat sich dann schleichend gebessert, aber trotzdem: Das für mich wichtige Geschäft mit Musik für Weihnachtsmärkte ist komplett weggefallen.
SPIEGEL: Und wie geht es Ihnen aktuell?
Geiger: Die Situation schlägt aufs Gemüt, wie bei jedem anderen auch, und das Arbeiten ist schwierig mit zwei Kindern zu Hause. Ansonsten ist aber alles okay.
SPIEGEL: Sie haben es bestimmt mitbekommen – Menschen, die für sich oder ihre Angehörigen einen Impftermin haben wollen, hängen zum Teil stundenlang in der Warteschleife der 116 117 und sind entsprechend genervt. Wie komponiert man ein Lied, das gute Laune macht oder zumindest zum Durchhalten bewegt?
Bernard Geiger
Geiger: Wichtig ist, dass man selbst gute Laune hat. Und es gibt ein paar Grundregeln: Moll ist schwierig, Moll ist immer traurig. Dann die Klänge, die man auswählt – ein hartes House-Klavier wäre zum Beispiel ungeeignet, das haut einem ins Ohr. Man legt also erst mal eine schön weiche Fläche hin und dämpft vielleicht noch ab mit einem Equalizer. Es sollte auch nicht zu viel passieren, einfach nur ein bisschen Geplänkel im Hintergrund, das aber für Struktur sorgt. Nervig darf die Melodie natürlich auch nicht sein.
SPIEGEL: Haben Sie denn so was wie Hotline-Hits in Ihrem Katalog?
Geiger: Es gibt schon ein paar, die sich gut verkaufen. Generell die Sachen aus dem »Weltreise«-Album, auf dem auch »Cozy« ist, die werden häufig für Telefongeschichten verwendet.
SPIEGEL: Was ist denn Ihr Lieblingswarteschleifensong?
Geiger: Da bin ich überfragt. Ich hänge ja auch nicht die ganze Zeit in Warteschleifen rum. Zum Glück.