Punk-Klassiker »(I'm) Stranded« Chris Bailey ist tot

Chris Bailey bei einem Auftritt: Klang wie Punk, aber sah nicht aus wie Punk
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Eine der einflussreichsten Singles der Rockgeschichte wurde mit dem Schiff nach London geliefert: 1976 hatte die australische Band The Saints auf ihrem extra dafür gegründeten eigenen Label die Single »(I'm) Stranded« veröffentlicht. 500 Exemplare, 400 davon verschickt, wie sie selbst einmal sagten. Ein Exemplar fand den Weg in die Redaktion des englischen Musikwochenblatts »Sounds«, wo es der Autor John Ingham als »Single of this Week (and every week)« feierte.
In London breitete sich Ende 1976, Anfang 1977 Punk als Sound der unzufriedenen Jugend rasant aus – und es war eine sensationelle Nachricht, dass am anderen der Welt ebenfalls junge wütende Männer ihr Gefühl, daheim in der Vorstadt wie Außerirdische angesehen zu werden, in kurze, einfache Songs mit lauten Gitarren packten.
Die Saints kamen aus Brisbane, der Hauptstadt des als besonders konservativ verschrienen australischen Bundesstaats Queensland. Auftritte bekamen sie damals kaum, von einem Plattenvertrag war höchstens zu träumen, weshalb sie selbst mit ihrer Single initiativ wurden. Nach der »Sounds«-Kritik und Airplay bei BBC-Radio-DJ John Peel wies die britische Plattenfirma EMI ihre australische Abteilung an, diese Saints schnellstens unter Vertrag zu nehmen.

The Saints um 1977 mit Sänger Bailey (2. von links) und Gitarrist Ed Kuepper (ganz links): »Eine der besten Partnerschaften«
Foto: Michael Ochs Archives / Getty ImagesThe Saints wurden angeführt von dem Sänger Chris Bailey und dem Gitarristen Ed Kuepper – für Robert Forster von der ebenfalls aus Brisbane stammenden Band The Go-Betweens »eine der besten Partnerschaften im australischen Rock, wenn nicht im Rock ’n’ Roll überhaupt«. Während Kuepper eher introvertiert war, aber den unter die Haut gehenden Gitarrensound der Band prägte, war Bailey ein echter Showman mit intensiver Stimme und großen Rock'n'Roll-Gesten. Gemeinsam war beiden, dass sie aus Immigrantenfamilien stammten, Kuepper aus Deutschland, Bailey aus Irland.
Mitte 1977 wurden die damals 18-, 19-jährigen nach England eingeflogen, wo ihnen die Plattenfirma eine eigene Wohnung stellte. Nach wenigen Tagen spielten sie im Roundhouse mit den New Yorker Bands Talking Heads und Ramones – ein Gipfeltreffen des internationalen Punk. 1978 traten die Saints in der wichtigsten britischen Musikfernsehsendung »Top of the Pops« auf, der Song »This Perfect Day« platzierte sich in der dortigen Single-Hitparade.
Dennoch: Die modebewussten englischen Punks störten sich am relativ unspektakulären Aussehen der Australier. Chris Bailey sagte einmal: »Wir hatten offensichtlich die falschen Frisuren und Hosen und machten auch noch die falsche Musik.« Als sie dann bei ihren zweiten und dritten Alben auch noch die bei den Punks verpönten Bläser einsetzten, war es vorbei. Kuepper und Bailey gerieten sich wegen musikalischer Differenzen in die Haare, woraufhin Kuepper 1978 die Band verließ und nach Australien zurückkehrte. Die Plattenfirma warf die Band aus dem Vertrag und der Wohnung heraus.
Chris Bailey blieb in Europa und behielt den Bandnamen Saints bei. In Frankreich fand er Unterstützung durch das Independent-Label New Rose, das seine Platten veröffentlichte. Neben mehreren Saints-Alben, auf denen teilweise auch wieder der Bassist und Schlagzeuger der Originalbesetzung, aber nicht Gitarrist Kuepper mitspielten, veröffentlichte Bailey auch Soloplatten.
Sein Einfluss auf Punk und Rockmusik manifestierte sich durch Respektsbezeugungen anderer Musiker: Die australische Rockband INXS ließ Bailey bei ihrer Welttournee 1993 im Vorprogramm spielen; Bruce Springsteen coverte einen Bailey-Song; Die Toten Hosen luden Chris Bailey als Gastsänger ein; und Nick Cave nahm mit Bailey ein Duett auf, den Song »Bring It On«. Cave bekannte, seine Landsleute von den Saints 1977 live gesehen zu haben, habe sein Denken für immer verändert – schon bald sollte auch er mit seiner Band The Birthday Party nach London gehen.
2007 waren Chris Bailey und Ed Kuepper wieder vereint auf einer Bühne, vor Tausenden Fans in ihrer Heimatstadt Brisbane gaben sie ein Festivalkonzert, das als furios beschrieben wurde. Es gab weitere Saints-Auftritte der beiden in den folgenden Jahren, doch die alten persönlichen Differenzen traten bald wieder zutage.
very sad to confirm the news about Chris Bailey dying on the weekend. Chris and I met when we were about 14 during detention at Oxley High School and became close friends which later developed into what I always thought was an extremely strong artistic partnership, 1/2 pic.twitter.com/hQVKKHYgzT
— Ed Kuepper (@EdKuepper) April 10, 2022
Wie die Band am Montag auf ihrer Facebook-Seite bekannt gegeben hat, ist Chris Bailey am 9. April im Alter von 65 Jahren gestorben. Auch Ed Kuepper bestätigte den Tod seines einstigen Songwritingpartners. »Ich hätte mir keinen besseren Sänger erhoffen können«, schrieb Kuepper in einer Nachricht auf seinem Twitter-Account.