
Ausnahmejazzer Scott Er ist ein Model, und er spielt gut auf
Er hat in mehreren Filmen mitgespielt und posierte als Model für "Vogue"; er ist mit dem Popstar Prince ins Studio gegangen und mit dem Rapper Mos Def aufgetreten. Dabei sind das alles nur Nebenbeschäftigungen. Denn Christian Scotts Metier ist der Jazz. Der Trompeter, Komponist und Produzent wird in seiner Spielweise und in seinem Auftreten mit Miles Davis verglichen. Zweimal wurde Scott für einen Grammy nominiert. Herbie Hancock zählt den 29-Jährigen zu den größten Talenten der Gegenwart.
Scott selbst versteht sich aber nicht ausschließlich als Künstler. "Ich halte Politik für genauso wichtig wie virtuose Trompeten-Technik", sagte er einem Musikjournalisten. Den Zeitpunkt, seitdem er sich für Politik interessiert, kann man genau festlegen: 2005 verwüstete der Hurrikan "Katrina" Scotts Heimatstadt New Orleans, rund 1800 Menschen starben. Die Bush-Regierung reagierte zu langsam, zu unentschlossen. Scott sieht darin ein Indiz für Rassismus, denn die meisten der Opfer waren Schwarze. Zugleich deprimierte ihn, wie seine Landsleute hinnahmen, dass ihnen während der Katastrophe und später so wenig geholfen wurde. "Katrina" und die Verhältnisse in den USA sind seit dieser Zeit ein Thema in Scotts Schaffen. Er spielte auf Benefiz-Konzerten - und polarisierte das Publikum oft schon mit seiner Begrüßung: "Willkommen, Freunde und Feinde". So hatte einst Malcolm X seine Auftritte eingeleitet.
In Häuptlingstracht
In seinem neue Doppel-Album beschäftigt sich Scott nun mit seinen afrikanischen und indianischen Wurzeln. Die 23 Titel, sagt er, "reflektieren einen Abschnitt meiner Ahnenreihe und Abstammung - den Abschnitt vor Scott". Der schwarze Amerikaner nennt sich nun nach zwei afrikanischen Städten "aTunde Adjuah"; für die CD-Hülle ließ er sich in der Tracht eines Häuptlings der "Black Indians" von New Orleans fotografieren. Die Musik auf Scotts Album beschreibt das Fachblatt "Jazz Podium" als "schwarzen Energieausbruch mit magischen Momenten, ein Wechselbad von weicher Schönheit und wildem Zorn".
Mit der Suche nach afrikanischen Wurzeln knüpft Scott an die musikalische Vergangenheitsbewältigung berühmter US-Jazzer an. So komponierte Duke Ellington 1943 die Suite "Black, Brown and Beige" - wie die aus Afrika verschleppten Menschen in der Neuen Welt immer heller werden. Als der von Sklaven gegründete afrikanische Staat Liberia 1947 sein 100-jähriges Bestehen feierte, schrieb Ellington zu diesem Anlass eine "Liberian Suite". Nach der Unabhängigkeitswelle in den sechziger Jahren reisten Max Roach, Art Blakey und viele andere nach Afrika; sie ließen sich von der Musik des Kontinents inspirieren. 2007 nahm Dee Dee Bridgewater in Mali mit US-amerikanischen und afrikanischen Musikern ein Album auf. Sie nannte es nach der für den Kontinent typischen roten Erde "Red Earth". "Als ich in Bamako aus dem Flugzeug stieg", erzählte die Sängerin begeistert, "fühlte ich mich, als sei ich nach Hause gekommen."
Islamisten verhindern "Woodstock in der Wüste"
Als Bridgewater in Mali weilte, regierte in Bamako ein demokratisch gewählter Präsident. Der Staat gehörte zu Afrikas Musterländern, obwohl in seinen nördlichen Regionen eine National-Bewegung der Tuareg für Unruhe sorgte. Die MNLA (Mouvement National de Libération de l'Azawad) fordert einen eigenen Staat für das legendäre Wüstenvolk. Im Januar dieses Jahres eskalierten die Kämpfe. Die MNLA eroberte Nord-Mali. Aber die Macht dort übernahmen fundamental-islamistische Verbündete der traditionell toleranten Tuareg. Die Fanatiker zerstörten Moscheen in Timbuktu, zwangen Frauen, Schleier zu tragen und verboten das Musizieren. Das Desert Festival bei Timbuktu, das sich in den vergangenen Jahren zu einem "Woodstock in der Wüste" entwickelte, kann nicht mehr stattfinden.
Vor den Kämpfen und der Unterdrückung im Norden Malis sind über 300.000 Menschen in den Süden und in die Nachbarländer Niger, Algerien, Mauretanien und Burkina Faso geflüchtet. Ihnen soll der Erlös eines Albums zukommen, das zwei Hilfsorganisationen zusammen mit dem Label Glitterhouse Records produzierten: "Songs For Desert Refugees", eine Sammlung von Musik mit Tuareg-Künstlern. Die haben ihre eigene Folklore mit Rock-, Reggae- und Jazz-Elementen fusioniert, indem sie zum Beispiel E-Gitarren und E-Bässe einführten. Gitarrist Ag Mossa singt in der Tuareg-Sprache Tamaschek; sein Gitarren-Vorbild aber ist Mark Knopfler. Mossa leitet die Band Tamikrest, die es in die europäischen World Music Charts schaffte. Sie ist ebenso auf der CD zu hören wie die durch Gastspiele im Westen bekanntgewordene Band Tinariwen. "Tinariwen" heißt Wüste.